Ich habe mich entschieden. Mein persönliches Unwort des Jahres 2021 lautet: Lernrückstände.
Spätestens seit Ende des zweiten Lockdowns wird in ganz Deutschland intensiv über das Ausmaß der „Lernrückstände“ diskutiert, die durch die pandemiebedingten Schulschließungen entstanden sind.
Ganz konkret geht es um Lücken in Deutsch und Mathematik, die um so größer ausfallen, je schwieriger die soziale Lage der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist.
Die soziale Ungleichheit im Bereich von Schule und Bildung hat sich also deutlich verschärft.
Darauf hinzuweisen ist wichtig und gut.
Allerdings:
Kaum jemand scheint sich bewusst, wie exkludierend die Diskussion über Lernrückstände ist!
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland für die Einführung eines inklusiven Bildungssystems entschieden.
Grundlegend für inklusive Bildung ist ein ganzheitlicher, personenbezogener Ansatz.
So unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Arten zu lernen und sich zu bilden.
Hierauf müssen Bildungssysteme eingehen.
Über flexible Lehrpläne, Lehr- und Lernmethoden muss jeder Mensch die Möglichkeit erhalten, sein ihm eigenes Potential bestmöglich zu entfalten.
Bildungssystem müssen sich also an die Bedürfnisse aller Lernenden anpassen.
Nicht mehr die Lernenden an ein bestehendes, starres System.
Der in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion genutzte Begriff der Lernrückstände geht dagegen von einem für alle verbindlichen Bildungsplan als „Sollstand“ aus.
Dies widerspricht dem Grundgedanken von inklusiver Bildung!
Die aus diesen „Bildungsrückständen“ abgeleiteten Fördermaßnahmen schließen alle Schülerinnen und Schüler von vornherein aus, die lernzieldifferenziert unterrichtet werden. Sowohl an Sonderschulen wie auch an inklusiven Regelschulen.
In Hamburg bedeutet das: Für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, die nicht im Rahmen des Bildungsplans unterrichtet werden, sehen Schulbehörde und Schulsenator weder Lernferien noch Klassenwiederholungen oder andere Förderprogramme vor.
Dabei haben gerade diese Kinder und Jugendlichen in unserer Stadt massiv unter den Schulschließungen gelitten:
- Schulbegleitungen durften zu Hause nicht unterstützen.
- Differenzierte digitale Lernangebote fehlten.
- Die eh schon große soziale Isolation vieler dieser Schülerinnen und Schüler wurde nochmals verschärft. Soziales Lernen war nicht möglich.
Hier gilt es dringend gegenzusteuern!
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