Hamburgs Schuljahr-Statistik 2024/25 ist da!
In der dazu veröffentlichten Pressemitteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung heißt es zum Thema Inklusion:
„Hamburgs Inklusionsquote, also der Anteil der Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, der an Regelschulen unterrichtet wird, nimmt weiter stetig zu.“
Auch auf dem Instagram-Account der Schulbehörde wird die steigende Inklusionsquote als Erfolg der schulischen Inklusion in Hamburg präsentiert:

Doch Vorsicht:
Inklusionsquoten allein liefern keine verlässlichen Aussagen über den Erfolg von Inklusion.
Sie sagen nur, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen zunimmt.
Ob damit verbunden die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen sinkt, sagen sie nicht.
In Hamburg gibt es nach wie vor ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem mit insgesamt 31 Sonderschulen.
Die Zahl der an Sonderschulen unterrichteten Kinder und Jugendlichen geht seit dem Schuljahr 2018/19 nicht mehr weiter zurück.
Im Gegenteil: Seit drei Jahren zeichnet sich sogar ein leichter Aufwärtstrend ab.

Auch der Anteil der Sonderschüler an der Gesamtzahl aller Schüler in Hamburg wird nicht weniger.
Seit dem Schuljahr 2022/23 liegt die Exklusionsquote fest bei 2,2 Prozent.
Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten.
Selbst der Hamburger Senat geht davon aus, dass die Exklusionsquote bis 2035 nicht weiter sinken wird.

Im Klartext heißt das:
Die Inklusion in Hamburgs Schulen schreitet nicht voran – sie hat sich festgefahren.
Und das bereits seit mehreren Jahren.

Wie passt das mit den von der Schulbehörde präsentierten Zahlen zusammen?
Die Schulbehörde suggeriert mit ihrer Interpretation der Inklusionsquote, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen dem Zuwachs von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen und dem Rückgang an Sonderschulen.
Doch diesen Zusammenhang gibt es nicht.
Zwischen 2012 und 2024 ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf an Regelschulen um 3.496 gestiegen.
Gleichzeitig ist die Zahl aller Sonderschüler nur um 1.095 gesunken.

Tatsache ist:
Seit Einführung der schulischen Inklusion wird bei immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert.
Denn mehr Kinder mit bescheinigtem Förderbedarf bedeuten für Schulen in der Regel mehr Ressourcen.
Meist handelt es sich um einen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung, vielen bekannt unter der Abkürzung LSE.
Im Schuljahr 2014/15 hatten noch 5.732 Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung.
Im laufenden Schuljahr 2024/25 sind es bereits 8.124.
In der gleichen Zeit ist die Zahl von Schülerinnen und Schülern mit speziellen Förderbedarfen an Regelschulen nur um 205 gestiegen.

Unter „speziellem Förderbedarf“ werden in Hamburg die sonderpädagogischen Förderbereiche körperlich-motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sehen, Hören und Autismus zusammengefasst.
Hier sind Kinder und Jugendliche verortet, die im klassischen Sinn als „behindert“ gelten.
Und die damit eigentlich die Haupt-Zielgruppe von Inklusion sein sollten.
Doch diese Schülerinnen und Schüler nehmen nach wie vor kaum teil an inklusiver Bildung.
Die meisten von ihnen werden exklusiv an Sonderschulen unterrichtet.
In diesem Schuljahr sind es 2.620 junge Menschen, denen die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung so verwehrt bleibt.
Zu Beginn der schulischen Inklusion in Hamburg (2012/13) waren es übrigens erst 1.986.

Die aktuellen Zahlen für das Schuljahr 2024/25 zeigen erneut, dass Hamburg immer noch weit entfernt ist von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert.
Nämlich EINEM Schulsystem für alle, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen.
Daran ändert auch nichts, dass Senat und Schulbehörde weiterhin vom Erfolg der schulischen Inklusion überzeugt zu sein scheinen.

Noch ein paar Gedanken zum Schluss:
Inklusion auf Erfolgskurs zu sehen, weil immer mehr Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischer Förderbedarf haben – diese Sicht greift nicht nur zu kurz.
Sie blendet auch entscheidendes aus.
Dazu zählt die Frage, warum immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf bescheinigt wird.
Geht es ausschließlich um mehr Ressourcen?
Oder gibt es tatsächlich immer mehr Kinder und Jugendliche, die mit dem jetzigen System von Schule nicht mehr Schritt halten können?
Seit einiger Zeit verlassen immer mehr Schülerinnen und Schüler die Grundschulen, ohne ausreichend lesen, schreiben und/oder rechnen zu können.
Im Sommer 2024 beendeten 1.110 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne einen Abschluss.
Das sind 6,3 Prozent aller Schulentlassenen.
Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen hatte einen sonderpädagogischen Förderbedarf.
Es wird dringend Zeit, Schule neu zu denken und zu gestalten.

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