Immer am 9. September wird weltweit auf die Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) aufmerksam gemacht – und zwar bereits seit 1999.
FASD ist eine lebenslange Behinderung. Sie entsteht, wenn das Gehirn eines Kindes bereits vor seiner Geburt durch die toxigenen Bestandteile von Alkohol dauerhaft verändert wird.
In englischsprachigen Ländern wird der 9. September als FASD Awareness Day bezeichnet. Oder auch schlicht als FASD DAY. Übersetzt heißt das „FASD Bewußtseins-Tag“ oder einfach „FASD Tag“.
In Deutschland heißt der 9. September „Tag des alkoholgeschädigten Kindes“. Und genau das sollten wir schleunigst ändern!
Denn: Bezeichnungen sagen viel über Haltungen, die sich dahinter verbergen.
Unser Kind hat FASD. Wenn wir unserem Kind sagen würden: Du bist alkoholgeschädigt, würde es garantiert wütend protestieren:
„Ich bin doch kein Alkoholiker!“
„Ich bin doch nicht kaputt!“
„Ich habe doch keinen Schaden! Und erst recht keinen Dachschaden!“
Auch ich sehe unser Kind nicht als Menschen, dem ein Schaden zugefügt wurde.
Schaden – das bedeutet Beeinträchtigung, Benachteiligung, Störung, Beschädigung, Defekt, Fehler, Mangel, Gebrechen oder Leiden.
Hat etwas einen Schaden, heißt dies fast immer, es hat weniger Wert.
Überdies wird der Mensch, dem der Schaden zugefügt wurde, auf die Rolle eines Opfers reduziert.
Unser Kind ist weder beschädigt, kaputt, gebrechlich oder mangelhaft. Auch ist es kein „armes Opfer“. Und vor allem ist es eins nicht: weniger wert!
Unser Kind hat eine angeborene Behinderung. Durch den Kontakt mit Alkohol hat sich sein Gehirn im Mutterleib anders verdrahtet und verschaltet als üblich. Dadurch tickt es anders. Das macht manche Dinge kompliziert, sowohl für unser Kind wie auch seine Umwelt.
Trotzdem ist unser Kind ein wunderbarer, selbstbestimmter Mensch. Ein Mensch mit Stärken und Schwächen. So wie jeder und jede von uns.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir den „Tag des alkoholgeschädigten Kindes“ dringend umbenennen sollten.
Dort, wo es einen Geschädigten gibt, gibt es meist auch jemanden, der den Schaden verursacht hat. Der – absichtlich oder unabsichtlich – Schuld an dem Schaden hat. Das wäre bei einem Kind mit FASD seine leibliche Mutter, die während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat.
Allerdings ist solch eine Sichtweise wenig hilfreich für den Umgang mit FASD.
Keine schwangere Frau trinkt mit der Absicht, ihrem ungeborenen Kind bewusst zu schaden.
Schwangere Frauen trinken
- weil sie sich amüsieren wollen und noch nicht wissen, dass sie schwanger sind.
- weil ihnen immer noch Menschen sagen: „Ein oder zwei Schlückchen in der Schwangerschaft schaden doch nicht.“
- weil sie gefangen sind in Drogen- oder Alkoholsucht.
- weil sie andere schwerwiegende Probleme haben und dringend Unterstützung bräuchten.
Verurteilen wir leibliche Mütter von Kindern mit FASD, führt dies nur dazu, dass sie den Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft verschweigen. Dadurch wird den betroffenen Kindern der Zugang zu Diagnose und notwendiger Unterstützung erheblich erschwert.
Um FASD zu verhindern und Menschen mit FASD zu unterstützen, hilft keine Stigmatisierung von Müttern. Entscheidend ist es,
- das Bewusstsein für die Gefahren von Alkohol während einer Schwangerschaft immer wieder zu schärfen.
- schwangere Frauen so zu unterstützen und stärken, dass sie während der Schwangerschaft auf Alkohol verzichten können.
- leiblichen Müttern vorurteilsfrei zu begegnen und ihnen zusammen mit ihren betroffenen Kindern einen schnellen Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen.
Von daher schlage ich vor:
Lasst uns den 9. September einfach FASD-Tag nennen!
An was denken Sie bei der Bezeichnung „alkoholgeschädigtes Kind“?