Digitalisierung in der Bildung konsequent inklusiv denken und umsetzen

Corona hat Schule verändert. Im Lockdown fand Schule plötzlich digital zu Hause statt und nicht mehr in Präsenz im Klassenzimmer.

Die Schule unseres Kindes gehörte zu den Vorzeigeschulen in Hamburg. Relativ schnell waren alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet. Der Schul-Server wurde genutzt, um Aufgaben und Arbeitsmaterialien zu übermitteln. Unterrichtsstunden fanden in Form von Zoomkonferenzen statt. Das war wirklich beeindruckend.

Allerdings: Der differenzierte Unterricht blieb auf der Strecke. Unser Kind saß vor dem Bildschirm und verstand kaum noch etwas. Das war nicht gut für das Selbstwertgefühl und auch nicht gut für die Stimmung.

Dabei bietet Digitalisierung gerade für die inklusive Bildung vielfältige Möglichkeiten:

  • Schüler*innen ohne eigene Lautsprache können über Apps mit anderen kommunizieren.
  • Schüler*innen mit Leseproblemen können sich über Smartphones und Tablets Texte vorlesen lassen.
  • Schüler*innen mit Schwierigkeiten im Schreiben können Texte diktieren.
  • Unterrichtsmaterialien lassen sich mi Hilfe von Apps gezielt auf individuelle Lernbedürfnisse zuschneiden. So lassen sich beispielsweise mit Book Creator Lernbücher erstellen, in denen Bilder, Filme oder Ton verschiedene Sinne ansprechen.

Eine nicht inklusiv gedachte Digitalisierung führt dagegen dazu, dass verschiedene Gruppen von Schülern erneut ausgegrenzt werden:

  • Schulplattformen wie I-Serv sind für Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten ohne fremde Hilfe kaum zugänglich.
  • Aufgabenformate im digitalen Unterricht, die sich überwiegend auf Lesen und Schreiben beschränken, hängen Schüler*innen mit Migrationshintergrund ebenso ab wie Schüler*innen mit Leserechtschreibschwäche, mit Sehbehinderung oder kognitiven Einschränkungen.
  • Unter dem verstärkten Druck, die Lernziele eines Jahrgangs zu erreichen, finden Differenzierung und Individualisierung im Lernen kaum noch Raum.

Hamburg hat das Recht auf inklusive Bildung gesetzlich festgeschrieben. Damit dies auch in der Praxis gut gelingen kann, gilt es, Digitalisierung konsequent inklusiv zu denken und barrierefrei zu gestalten.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Inklusive Bildung und Digitalisierung konsequent zusammen denken und umsetzen!

Wie alles begann – oder: „Auf welche Schule soll unser Kind?“

Füße in roten Turnschuhen stehen mit Zehenspitzen auf einem Geländer


Frühjahr 2012, Schuleingangsuntersuchung im Gesundheitsamt Bergedorf

Nach der Untersuchung und Testung unseres sechsjährigen Pflegekindes teilte uns die zuständige Ärztin mit:

„Also, auf einer normalen Schule sehe ich ihr Kind nicht. Da kommt es nicht mit.

Auf der Sprachheilschule sehe ich es auch nicht. Dafür ist es sprachlich zu fit.

Auf der Sonderschule sehe ich es auch nicht. Dazu ist es nicht behindert genug.“

Die Förderschule war nach Einführung der Inklusion gerade aufgelöst. Die ging also auch nicht.

Ich fragte nach: „Auf welche Schule soll unser Kind denn dann? Schließlich gibt es in Deutschland eine allgemeine Schulpflicht.“

Die Ärztin reagierte mit einem Schulterzucken und antwortete: 

„Ja, das weiß ich auch nicht.“

Frühjahr 2021

Seit drei Jahren wissen wir: Unser Pflegekind hat eine Fetale Alkohol-Spektrumstörung (FASD).

Bei seiner Einschulung 2012 haben wir uns für den inklusiven Weg entschieden. Nun liegen vier Jahre Grundschule und fünf Jahre Stadtteilschule hinter uns. 

Viele tolle Lehrerinnen und Lehrer haben sich auf unser Kind eingelassen und tragfähige Bindungen zu ihm aufgebaut. Durch seine offene und zugewandte Art hat es sich einen festen Platz in der Klassengemeinschaft erobert. Seine Stärken werden gesehen. Ihm wird etwas zugetraut. 

Allerdings: 

Das Lernen ist auf der Strecke geblieben. Ein individualisierter Unterricht funktioniert bis heute nicht. Immer noch wissen Lehrerinnen und Lehrer zu wenig über die Behinderung unseres Kindes. 

Regelmäßig müssen wir als Eltern mit dem Regionalen Bildungs- und Beratungszentrum und der Schulbehörde um eine ausreichende Unterstützung für unser Kind ringen. Die Schulbegleitung wurde jährlich gekürzt. Der Sonderpädagoge ist zu selten in der Klasse.

Unser Akku als Eltern ist so gut wie leer. Inzwischen geht es nur noch darum, das letzte Schuljahr an der Stadtteilschule so gut wie möglich hinter uns zu bringen. Für unser Kind wird das bedeuten, möglichst viele Praktika zu machen, während sich seine Klassenkameraden auf den ersten und zweiten Schulabschluss vorbereiten. 

Fazit

Die passende Schule für unser Kind gibt es bis heute nicht.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Ein inklusives Schulsystem, das sich den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung anpasst!