„An der Sonderschule ist ihr Kind am besten aufgehoben. Denn dort erhält es die bestmögliche Förderung – abgestimmt auf seine ganz besonderen Bedarfe.“
Solche Sätze hören Eltern von Kindern mit Behinderungen immer wieder.
Und zwar nicht nur in Hamburg, sondern überall in Deutschland.
Doch stimmt das überhaupt?
Meistens wird Eltern schon vor der Einschulung ihrer Kinder zur Sonderschule geraten.
Meinen Mann und mich traf es erst relativ spät.
Unser Kind mit Behinderung ging bereits in die 6. Klasse einer Stadtteilschule.
Und ich hatte mich beschwert, weil es mit dem zieldifferenzierten Unterricht nicht klappte.
Da hieß es auf einmal:
„Sie müssen sich entscheiden: Entweder Sie wollen Inklusion – dann lassen Sie ihr Kind in der Stadtteilschule.
Oder Sie wollen die bestmögliche Förderung für Ihr Kind – dann geben Sie es in die Sonderschule.“
Wir blieben auf dem inklusiven Weg.
Verbunden mit dem Bemühen, die „bestmögliche Förderung“ auch an der Regelschule zu erstreiten.
Damals habe ich mich noch nicht gefragt:
Fördert die Sonderschule tatsächlich besser als die Regelschule?
Ichwar einfach davon ausgegangen.
Heute weiß ich es besser.
Inzwischen kenne ich viele Eltern mit Kindern an Sonderschulen.
Von ihnen habe ich erfahren:
Auch an der Sonderschule gibt es keine am Kind ausgerichtete, individuelle Förderung.
Therapien fallen regelmäßig aus oder werden erst gar nicht angeboten.
Eltern werden immer wieder gebeten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wenn Lehrkräfte oder Assistenzkräfte fehlen.
Die Betreuung im Ganztag und während der Ferien reicht vorne und hinten nicht aus und ist außerdem völlig unzuverlässig.
Räume und Ausstattung der Sonderschulen sind meistens alt und marode. Selbst Fahrstühle sind nicht selbstverständlich.
Selbst auf den Fahrdienst hin und zurück zu den Sonderschulen ist mittlerweile kein Verlass mehr. Darum haben Eltern einer Hamburger Sonderschule mit dem Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ erst vor kurzem einen Brandbrief an Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) geschrieben.
Bereits Ende 2023 mahnte der Kreiselternrat in einer Pressemitteilung:
„Das Recht auf Bildung wird Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Hamburg mittlerweile regelmäßig verwehrt.“
Schuld daran ist vor allem der stetig zunehmende Fachkräftemangel.
Klassen werden immer größer, der Personalschlüssel dagegen immer kleiner.
Das hat Auswirkungen – und zwar auf alle.
Viele Schülerinnen und Schüler zeigen inzwischen ein deutlich herausforderndes Verhalten. Andere reagieren mit Selbstverletzungen, Krampfanfällen oder laufen weg.
Für die meisten Schülerinnen und Schüler ist Lernen kaum noch möglich. Einige von ihnen verlieren sogar bereits erlernte Fähigkeiten.
Lehrkräfte und Therapeuten melden sich immer öfter und länger krank. Damit nehmen Notbetreuungen und Anrufe an Eltern weiter zu.
Inzwischen stehen viele Eltern und Familien am Rand ihrer Belastungsgrenze und können schlicht nicht mehr.
Wenn euch also demnächst jemand sagt:
„An der Sonderschule ist ein Kind mit Behinderung am besten aufgehoben. Denn dort erhält es die bestmögliche Förderung – abgestimmt auf seine ganz besonderen Bedarfe.“
Dann glaubt das nicht!
Fragt stattdessen nach:
„Wann waren Sie das letzte Mal in einer Sonderschule und konnten sich von der besseren Förderung dort selbst überzeugen?“
Fragt außerdem:
„Wissen Sie, dass die allermeisten Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen ohne Schulabschluss bleiben?“
„Ist Ihnen klar, dass der Besuch einer Sonderschule fast immer direkt in eine Werkstatt für behinderte Menschen führt?“
„Wissen Sie, dass die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen besonders niedrig ist?“
„Ist Ihnen bekannt, dass es auffällig viele Jungen sind, die Sonderschulen besuchen?“
“Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Kinder mit Behinderungen an Sonderschulen unsichtbar bleiben für Kinder ohne Behinderungen?“
Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt vor:
Jedes Kind hat das Recht auf bestmögliche Bildung – unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht.
Gleichzeitig sollen alle Kinder gemeinsam lernen.
Denn nur so lässt sich die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung verwirklichen.
Immer am 9. September wird weltweit auf die meist unsichtbare Behinderung FASD (Fetale Alkohol-Spektrum-Störung) aufmerksam gemacht.
Auch in Deutschland gab es diesmal Aktionen und Veranstaltungen.
Und das gleich an mehreren Orten, darunter Hamburg.
Denn FASD ist bei uns inzwischen um einiges bekannter geworden.
Dank dem engagierten Einsatz vieler Adoptiv- und Pflege-Eltern gibt es immer häufiger Berichte und Filme über FASD und die Menschen, die davon betroffen sind.
Die Zahl der Selbsthilfe-Gruppen für Eltern und Betroffene wächst.
Neue Beratungsstellen und Fachzentren entstehen.
Es gibt jetzt eine spezielle FASD-Fachkraft-Ausbildung.
Und seit neustem auch einen Bundesverband FASD.
Alles in allem eine tolle Entwicklung, sollte man meinen.
Und trotzdem bin ich besorgt.
Mich sorgt die Art und Weise, wie bei uns in Deutschland über Menschen mit FASD gesprochen wird.
Immer wieder lese oder höre ich:
Menschen mit FASD sind „geschädigt“ und „krank“, weil ihre Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben.
Sie haben bereits vor der Geburt eine „irreparable Hirnschädigung“ erworben, unter der sie ein Leben lang „leiden“ werden.
Ohne Aussicht auf „Heilung“.
Und mit „fatalen Folgen“:
Menschen mit FASD können „nicht eigenständig leben“.
Sie bleiben ein Leben lang auf Unterstützung angewiesen.
Sie zeigen deutliche Verhaltensauffälligkeiten.
Sie können nicht lernen.
Sie schaffen es nicht, einer geregelten Arbeit nachzugehen.
Sie werden kriminell.
Sie landen auf der Straße oder in der Psychiatrie.
Menschen mit FASD werden als „Systemsprenger“ bezeichnet, als „Dorfdeppen“ oder „tickende Zeitbomben“.
Und sie verursachen, so wird behauptet, einen enorm hohen „volkswirtschaftlichen Schaden“.
Teilweise werden sogar konkrete Summen genannt, die die Millionen übersteigen.
Copyright: Inklusion-in-Hamburg.de
Solch eine drastische Darstellung sei notwendig, damit Menschen mit FASD endlich die Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten, die sie benötigten.
Erklären mir einige Aktivisten aus der Adoptiv- und Pflegeeltern-Szene.
Und fordern gleich einen ganzen Katalog von Unterstützungsleistungen für ihre „schwerst- und mehrfach behinderten“ Kinder.
Ich halte diese Sicht auf Menschen mit FASD für äußerst problematisch.
Sie ignoriert das menschenrechtliche Modell von Behinderung.
Sie stigmatisiert und schürt Vorurteile.
Sie setzt auf Defizite und wertet Menschen mit FASD ab.
Siehält Menschen mit FASD klein.
Und sie ist gefährlich!
Unsere deutsche Geschichte zeichnet sich durch einen wenig rühmlichen Umgang mit Menschen mit Behinderungen aus.
In keinem anderen Land der Welt gibt es so alte und ausgeprägte Sonderstrukturen wie bei uns.
Gleichzeitig blicken wir zurück auf eine lange Tradition, den Wert eines Menschen über seine Leistung zu bemessen.
Noch als Kind wurde mir gesagt: „Wer nicht arbeitet, braucht auch kein Essen.“
Bei Menschen mit Behinderungen wurde bereits lange vor den Nationalsozialisten zwischen verschieden Gruppen unterschieden.
Nämlich denen, die „noch bildungsfähig“ seien.
Denen, die „lediglich der Beschäftigung fähig“ seien.
Und den „Pflegefällen“, die nur kosten, aber zu nichts nützten.
Mit der Eugenik setzte sich ab 1900 die Vorstellung durch, dass Behinderungen eine Folge „minderwertiger Erbanlagen“ seien und daher von Generation zu Generation weitergegeben würden.
Als eine der häufigsten Ursache für „Nerven- und Geisteskrankheiten“ und anderen „Missbildungen“ bei Kindern galt der „Alkoholmissbrauch“ der Eltern.
Der Alkoholkonsum von Müttern und Vätern wiederum wurde als Beweis für deren „minderwertige Erbanlagen“ angesehen.
Nach dem 1. Weltkrieg verschärfte sich die eugenische Diskussion.
Mediziner und Juristen begannen damit, intensiv für die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zu werben, um – so die Vorstellung – die „Volksgemeinschaft“ zu stärken und gesellschaftliche Kosten für „Ballastexistenzen“ zu reduzieren.
Menschen mit angeborenen „Gehirnveränderungen“ – auch als „unheilbar Blödsinnige“ oder „geistig Tote“ bezeichnet – standen dabei ganz oben auf der Liste derjenigen, deren „wertlose“ Leben zur „Vernichtung“ freigegeben werden sollten.
Gefolgt von den als „unheilbar“ angesehenen Kranken.
Die Nationalsozialisten griffen schließlich die Forderungen aus der Eugenik auf und rechtfertigten damit die hunderttausendfachen Zwangssterilisationen und „Euthanasie“-Morde an Menschen mit Behinderungen.
Wer glaubt, dass diese menschenverachtenden Vorstellungen von Menschen mit Behinderungen nach dem Ende des 2. Weltkriegs einfach verschwanden, irrt sich gewaltig.
Im Gegenteil.
Noch lange nach Kriegsende galten die an Menschen mit Behinderungen verübten Morde und Zwangssterilisationen bei vielen als gerechtfertigt – wegen der angeblichen „Minderwertigkeit“ der Opfer.
Anfang der 1970er Jahre ging eine Mehrheit aller Deutschen nach wie vor davon aus, dass Eltern an den Behinderungen oder Lernschwierigkeiten ihrer Kinder schuld seien.
Als „Hauptursachen“ galten „Vererbung“, „Trunksucht“ oder „Inzest“.
Aber auch eine „falsche Erziehung“, so meinten nicht wenige, spiele eine Rolle.
Eine erste, zaghafte Aufarbeitung der an Menschen mit Behinderungen verübten Morde und Verbrechen begann erst in den 1980er Jahren.
Sie ist bis heute nicht abgeschlossen.
Erst in den 1990er Jahren setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass die Erfassung, Verfolgung, Zwangssterilisation und Ermordung von Menschen mit Behinderungen ein zentraler Teil der nationalsozialistischen Rassenideologie war.
Trotzdem sind die Opfer bis heute nicht offiziell als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt.
Warum schreibe ich das alle?
Die Art und Weise, wie bei uns in Deutschland über Menschen mit FASD gesprochen wird, weckt bei mir ungute Erinnerungen an das alte, gefährliche Gedankengut.
Natürlich weiß ich, dass das niemals beabsichtigt ist.
Aber es zeigt, wie tief verwurzelt die alten, von Leistung, Eugenik und Faschismus geprägten Denkmuster bei uns in Deutschland immer noch sind.
Um so wichtiger wird es, sich endlich von einem veralteten, von Medizinern geprägten Blick auf Menschen mit FASD und anderen Behinderungen zu verabschieden.
Menschen mit FASD sind nicht behindert – sie werden behindert.
Und zwar durch ein Wechselspiel zwischen individuellen Beeinträchtigungen und umwelt- und meinungsbedingten Barrieren in unserer Gesellschaft.
Wollen wir Menschen mit FASD nachhaltig unterstützen, müssen wir ihnen zunächst helfen, diese Barrieren zu überwinden.
Um sie dann gemeinsam mit ihnen abzubauen.
Das bedeutet auch:
Wir müssen Menschen mit FASD gleichberechtigt mit an den Tisch holen, wenn wir über FASD reden.
„Nichts über uns ohne uns“ – so lautet nicht umsonst eine der wichtigsten Forderungen der Behindertenrechtsbewegung.
In Kanada und anderswo werden Menschen mit FASD am internationalen FASD-Tag gefeiert.
Menschen mit und ohne FASD gehen gemeinsam auf die Straße und setzen sich für Menschenrechte ein.
In Hamburg gab es am 9. September einen Fachtag, an dem Mediziner, Psychologen und Erziehungswissenschaftler Vorträge hielten über FASD, Diagnostik und Therapie.
Bei uns in Deutschland sind Menschen mit Behinderungen nach wie vor viel zu selten sichtbar.
Eine Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen findet kaum statt.
Unbehagen und Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Behinderungen sind weiterhin groß.
Viele glauben immer noch, dass Menschen mit Behinderungen am besten in Sondereinrichtungen wie Sonderschulen, Werkstätten und besonderen Wohnformen aufgehoben sein.
Dazu zählen nicht wenige Adoptiv- und Pflege-Eltern von Kindern mit FASD.
Gleichzeitig ist ein deutlicher Rechtsruck in unserer Gesellschaft spürbar.
Hinzu kommen die aktuellen Debatten darüber, ob sich unsere Gesellschaft einen Sozialstaat noch leisten kann.
Meine Angst wächst, dass es auf einmal heißen könnte:
Wenn Menschen mit FASD nicht lernen können, muss man auch nicht in deren Bildung investieren.
Unterstützungsleistungen für Menschen mit FASD sind zu teuer und lohnen nicht.
Menschen mit FASD gehören in Sonderschulen und Sondereinrichtungen.
Menschen mit FASD brauchen immer jemanden, der für sie die „richtigen“ Entscheidungen trifft.
Hat eine Frau in der Schwangerschaft Alkohol getrunken, sollte sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken.
Ist es überhaupt gut, wenn Menschen mit FASD Kinder bekommen?
Menschen mit FASD sind in erster Linie Menschen – so wie du und ich.
Wir alle haben unsere besonderen Stärken und Schwächen, unsere Wünsche und Träume.
Keiner gleicht dem andern.
Jeder wird wertgeschätzt und erhält die Unterstützung, die er braucht.
In der dazu veröffentlichten Pressemitteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung heißt es zum Thema Inklusion:
„Hamburgs Inklusionsquote, also der Anteil der Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, der an Regelschulen unterrichtet wird, nimmt weiter stetig zu.“
Auch auf dem Instagram-Account der Schulbehörde wird die steigende Inklusionsquote als Erfolg der schulischen Inklusion in Hamburg präsentiert:
Inklusionsquoten allein liefern keine verlässlichen Aussagen über den Erfolg von Inklusion.
Sie sagen nur, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen zunimmt.
Ob damit verbunden die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen sinkt, sagen sie nicht.
In Hamburg gibt es nach wie vor ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem mit insgesamt 31 Sonderschulen.
Die Zahl der an Sonderschulen unterrichteten Kinder und Jugendlichen geht seit dem Schuljahr 2018/19 nicht mehr weiter zurück.
Im Gegenteil: Seit drei Jahren zeichnet sich sogar ein leichter Aufwärtstrend ab.
Auch der Anteil der Sonderschüler an der Gesamtzahl aller Schüler in Hamburg wird nicht weniger.
Seit dem Schuljahr 2022/23 liegt die Exklusionsquote fest bei 2,2 Prozent.
Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten.
Selbst der Hamburger Senat geht davon aus, dass die Exklusionsquote bis 2035 nicht weiter sinken wird.
Im Klartext heißt das:
Die Inklusion in Hamburgs Schulen schreitet nicht voran – sie hat sich festgefahren.
Und das bereits seit mehreren Jahren.
Wie passt das mit den von der Schulbehörde präsentierten Zahlen zusammen?
Die Schulbehörde suggeriert mit ihrer Interpretation der Inklusionsquote, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen dem Zuwachs von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen und dem Rückgang an Sonderschulen.
Doch diesen Zusammenhang gibt es nicht.
Zwischen 2012 und 2024 ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf an Regelschulen um 3.496 gestiegen.
Gleichzeitig ist die Zahl aller Sonderschüler nur um 1.095 gesunken.
Tatsache ist:
Seit Einführung der schulischen Inklusion wird bei immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert.
Denn mehr Kinder mit bescheinigtem Förderbedarf bedeuten für Schulen in der Regel mehr Ressourcen.
Meist handelt es sich um einen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung, vielen bekannt unter der Abkürzung LSE.
Im Schuljahr 2014/15 hatten noch 5.732 Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung.
Im laufenden Schuljahr 2024/25 sind es bereits 8.124.
In der gleichen Zeit ist die Zahl von Schülerinnen und Schülern mit speziellen Förderbedarfen an Regelschulen nur um 205 gestiegen.
Unter „speziellem Förderbedarf“ werden in Hamburg die sonderpädagogischen Förderbereiche körperlich-motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sehen, Hören und Autismus zusammengefasst.
Hier sind Kinder und Jugendliche verortet, die im klassischen Sinn als „behindert“ gelten.
Und die damit eigentlich die Haupt-Zielgruppe von Inklusion sein sollten.
Doch diese Schülerinnen und Schüler nehmen nach wie vor kaum teil an inklusiver Bildung.
Die meisten von ihnen werden exklusiv an Sonderschulen unterrichtet.
In diesem Schuljahr sind es 2.620 junge Menschen, denen die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung so verwehrt bleibt.
Zu Beginn der schulischen Inklusion in Hamburg (2012/13) waren es übrigens erst 1.986.
Die aktuellen Zahlen für das Schuljahr 2024/25 zeigen erneut, dass Hamburg immer noch weit entfernt ist von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert.
Nämlich EINEM Schulsystem für alle, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen.
Daran ändert auch nichts, dass Senat und Schulbehörde weiterhin vom Erfolg der schulischen Inklusion überzeugt zu sein scheinen.
Noch ein paar Gedanken zum Schluss:
Inklusion auf Erfolgskurs zu sehen, weil immer mehr Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischer Förderbedarf haben – diese Sicht greift nicht nur zu kurz.
Sie blendet auch entscheidendes aus.
Dazu zählt die Frage, warum immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf bescheinigt wird.
Geht es ausschließlich um mehr Ressourcen?
Oder gibt es tatsächlich immer mehr Kinder und Jugendliche, die mit dem jetzigen System von Schule nicht mehr Schritt halten können?
Seit einiger Zeit verlassen immer mehr Schülerinnen und Schüler die Grundschulen, ohne ausreichend lesen, schreiben und/oder rechnen zu können.
Im Sommer 2024 beendeten 1.110 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne einen Abschluss.
Das sind 6,3 Prozent aller Schulentlassenen.
Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen hatte einen sonderpädagogischen Förderbedarf.
Es wird dringend Zeit, Schule neu zu denken und zu gestalten.
Es geht um die Bundestagswahl im Februar und um die Bürgerschaftswahl Anfang März.
Was die Bürgerschaftswahl angeht, hat sich die Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW Hamburg) vor kurzem klar positioniert.
In einer Liste von Leitlinien stellt sie ihre bildungspolitischen Forderungen an die Hamburger Parteien vor.
Das erschreckende daran:
Die GEW Hamburg ignoriert das Menschenrecht auf inklusive Bildung!
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich Bund und Länder dazu verpflichtet, Bildung und Schule in Deutschland inklusiv zu gestalten.
Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und das deutsche Institut für Menschenrechte haben mehr als einmal klargestellt:
Sonderschulen sind nicht vereinbar mit dem Menschenrecht auf inklusive Bildung und müssen abgeschafft werden.
Trotzdem fordert die GEW Hamburg, Sonderschulen als „wertvolle und gleichwertige Bestandteile des Schulsystems“ nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken.
Es verstößt gegen das Menschenrecht auf inklusive Bildung.
Und ist unvereinbar mit unserem Grundgesetz.
Das Grundgesetz sagt:
Kein Mensch darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.
Durch den Besuch einer Sonderschule werden Kinder und Jugendliche mit Behinderungen strukturell benachteiligt.
Das ist wissenschaftlich belegt.
Die meisten jungen Menschen, die in Sonderschulen beschult werden, verlassen die Schule ohne einen Abschluss und beginnen eine Ausbildung in einer Sondereinrichtung.
Zum Beispiel in einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Hier verdienen sie deutlich weniger Geld.
Im Anschluss haben sie kaum Chancen auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die meisten von ihnen bleiben ein Leben lang „aussortiert“.
Auch in Hamburg verlässt der Großteil aller Schülerinnen und Schüler die Sonderschulen ohne einen Abschluss.
Generell ist an den meisten Hamburger Sonderschulen entweder gar kein oder nur ein erster allgemeinbildender Schulabschluss möglich.
Das Abitur ist an Sonderschulen grundsätzlich nicht möglich.
Quelle: Das Schuljahr 2023/24 in Zahlen, Hamburg 2024.
Doch zurück zu den bildungspolitischen Leitlinien der GEW Hamburg.
Neben der Stärkung der Sonderschulen fordert die GEW Hamburg in ihren Leitlinien auch eine „inklusive“ Schule als „Eine Schule für alle“.
Allerdings soll diese „Schule für alle“ ausschließlich die unterschiedlich begabten Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschulen und Gymnasien zusammenführen.
Schülerinnen und Schüler der Sonderschulen bleiben außen vor.
Dieses Bündnis war 2016 angetreten mit der Forderung nach einer Schule für alle, in der Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet werden.
Ein Jahr später beschloss die große Mehrheit aller Delegierten des 28. Gewerkschaftstag der GEW in Freiburg:
„Das Parallelsystem von Förder-/Sonderschulen und allgemeinen Schulen ist schrittweise aufzuheben. Der Transformationsprozess in eine inklusive Schule ist in den Schulgesetzen aller Bundesländer zu verankern.“
Acht Jahre später scheint das die GEW Hamburg nur noch wenig zu interessieren.
Wie kann es sein, dass die GEW Hamburg im Jahr 2025 Heterogenität und Vielfalt als große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit bezeichnet?
Und gleichzeitig Schülerinnen und Schüler „mit besonderem und umfassendem Förderbedarf“ von dieser Bildungsgerechtigkeit ausschließt?
Jeder junge Mensch hat besondere Fähigkeiten und Talente, von denen alle profitieren können.
Wann wandeln sich „unterschiedliche Begabungen und Talente“ in einen „umfassenden Förderbedarf“?
Wer entscheidet darüber, ob ein Kind inklusiv beschult wird oder die Sonderschule besucht?
In Hamburg ist man stolz auf das Elternwahlrecht, an dem Senat und Schulbehörde nach wie vor festhalten.
Allerdings ist das Menschenrecht auf Bildung kein Recht der Eltern, sondern ein Recht des Kindes!
Der Staat steht in der Verantwortung, jedem Kind den gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu ermöglichen.
Pflege und Erziehung von Kindern ist das natürliche Recht der Eltern.
Aufgabe des Staates ist es, Kindern alle Lebensbedingungen zu sichern, die für ein gesundes Aufwachsen und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit erforderlich sind.
Dazu zählt auch der gleichberechtigte Zugang zu Bildung.
Darum gibt es in Deutschland die allgemeine Schulpflicht.
Interessant ist auch, dass es gerade die GEW Hamburg ist, die bildungspolitisch die Rolle rückwärts vollzieht und eine Stärkung von Sonderschulen fordert.
Nach wie vor gilt Hamburg als Vorbild für eine gelingende schulische Inklusion.
Blickt man allerdings etwas genauer hin, stellt man schnell fest:
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Die meisten Kinder und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen werden hier unterrichtet.
Eine Änderung daran ist nicht in Sicht.
Und scheint nun auch von Seiten der Gewerkschaft GEW Hamburg nicht mehr länger gewollt.
Das ist für mich ein Armutszeugnis im Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte.
Am 6. September tagte der Hamburger Schulausschuss.
In einer öffentlichen Sitzung im Rathaus ging es um den Stand der Inklusion in Hamburgs Schulen.
Sechs Experten waren geladen.
Aus den Bereichen Schule, Wissenschaft, Sonderpädagogik, Zivilgesellschaft und Elternvertretung.
So sollte eine fachlich fundierte und differenzierte Diskussion ermöglicht werden.
Tatsächlich ging es in der gesamten Sitzung sehr fachlich zu.
Viele wichtige Aspekte wurden behandelt.
Und es gab viele kluge Fragen und Antworten.
Hamburg wurde gelobt für sein klares Bekenntnis zur Inklusion.
Und für die Fortschritte, die die Stadt im Bereich der schulischen Inklusion bereits erzielt habe.
Hamburg wurde aber auch aufgefordert, in Sachen Inklusion nicht stehen zu bleiben.
Denn trotz der vielen Ressourcen, die Hamburg in den letzten Jahren in den inklusiven Umbau seines Schulsystems investiert hat, arbeiten noch längst nicht alle Schulen inklusiv.
Eins allerdings wurde in der gesamten Debatte außer acht gelassen.
Nämlich die Frage:
Was bedeutet eigentlich Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention?
Und was genau heißt das für Schulen?
Beider Staatenprüfung vor einem Jahr in Genf hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehr deutlich erklärt:
Deutschland hält nach wie vor an seinen Sondersystemen für Menschen mit Behinderungen fest.
Damit verstößt Deutschland gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Auch Hamburg hat nach wie vor ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen (einschließlich der Bildungsabteilungen an den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren) und 5 privaten Sonderschulen.
Dass dieses Sondersystem nicht vereinbar ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention, dazu gab es in der gesamten Sitzung kein einziges Wort.
Weder von den geladenen Experten noch von den Mitgliedern des Schulausschusses.
Im Gegenteil:
Einige Experten lobten ausdrücklich „Hamburgs großartiges Elternwahlrecht“.
Dabei haben das Deutsche Institut für Menschenrechte und die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention in Berlin längst klar gemacht:
Ein Elternwahlrecht ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Wenn, dann dürfte es höchstens ein Schülerwahlrecht geben.
Und das auch nur, wenn Schülerinnen und Schüler tatsächlich eine echte Wahlfreiheit haben.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention wurde auch die Sicht auf Behinderung neu definiert.
Nicht mehr ein Mensch an sich ist behindert.
Sondern ein Mensch wird behindert.
Und zwar durch das Wechselspiel von individuellen Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.
Diese menschenrechtliche Sicht auf Behinderung wurde in der gesamten Ausschuss-Sitzung viel zu selten berücksichtigt.
Dabei hat sie entscheidende Konsequenzen für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Es geht nämlich nicht mehr länger darum, welche Beeinträchtigungen und Defizite ein Kind hat.
Sondern es geht um die Frage:
Was braucht ein Kind, um bestmöglich an Bildung teilhaben zu können?
Diese Frage muss für jedes Kind gestellt werden. Und zwar unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder eben einer Behinderung.
Denn:
Inklusion unterscheidet nicht mehr nach Kategorien und Gruppen. Inklusion bezieht alle mit ein.
In der Diskussion im Schulausschuss ging es ausschließlich um Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen.
Entweder im Bereich Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung.
Oder im Bereich kognitive und körperlich-motorische Beeinträchtigungen.
Es ging um Diagnostik und um die Zuordnung zu sonderpädagogischen Förderschwerpunkten, die über Art und Umfang der Förderung entscheiden.
Solch ein Ansatz, der zwischen behindert und nicht-behindert unterscheidet, widerspricht den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention.
Ein weiterer zentraler Aspekt fehlte in der gesamten Diskussion:
Inklusion ist keine Frage des Wollens.
Inklusion ist ein Menschenrecht.
Damit steht Inklusion über der Selbstbestimmung von Schulen.
Im Klartext heißt das:
Nicht die einzelne Schule entscheidet darüber, ob sie Inklusion möchte oder nicht.
Jede Schule ist zur Inklusion verpflichtet.
Ein klares Bekenntnis zur Inklusion bedeutet, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umzusetzen.
Dazu gehört auch der Abbau schulischer Sondersysteme.
Diesen Schritt scheint Hamburg nach wie vor nicht gehen zu wollen.
Gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an Arbeit?
Davon sind zu viele Menschen mit Behinderungen in Hamburg immer noch weit entfernt.
Bei der letzten deutschen Staatenprüfung im August 2023 in Genf hat der UN-Fachausschuss erneut scharf kritisiert, dass Menschen mit Behinderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach wie vor benachteiligt werden.
Gleichzeitig forderte der UN-Fachausschuss:
Die in Deutschland immer noch vorherrschenden Sonderstrukturen müssen endlich abgebaut und der Arbeitsmarkt für alle offen und barrierefrei gestaltet werden.
1. Hamburg will Werkstätten für behinderte Menschen weiterentwickeln und stärken.
Es ist kaum zu glauben:
Die meisten der im Landesaktionsplan vorgestellten Maßnahmen zum Handlungsfeld „Arbeit und Beschäftigung“ konzentrieren sich tatsächlich auf die Weiterentwicklung und Stärkung von Werkstätten für behinderte Menschen.
Wie beim Thema Bildung setzt Hamburg also auch beim Thema Arbeit darauf, das Sondersystem umzugestalten und zu „verbessern“.
Anstatt den regulären Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten.
Konkret plant Hamburg folgendes:
Digitalisierung und Kommunikationsmöglichkeiten im Arbeitsbereich der Werkstätten sollen verbessert werden.
Das Mobilitätstraining in Werkstätten soll ausgeweitet werden.
Beschäftigungsangebote und Teilhabe-Ziele der Werkstatt-Beschäftigten sollen besser aufeinander abgestimmt werden.
Es soll feste Quoten geben für Außenarbeitsplätze. Und eine Mindestzahl für Übergänge aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sollen Werkstätten und Inklusionsbetriebe deutlich bevorzugt werden.
Diese Maßnahmen entsprechen nicht den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention!
Um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, muss der gesamte Ausbildungs- und Arbeitssektor in Deutschland umgebaut und inklusiv gestaltet werden.
Segregierende Sonderstrukturen sind und bleiben konventionswidrig.
2. Hamburg will das Budget für Arbeit weiterentwickeln und ausbauen.
Neben der Stärkung von Werkstätten will Hamburg das Budget für Arbeit weiterentwickeln und ausbauen.
Das Budget für Arbeit ist für behinderte Menschen mit einer sogenannten Werkstattberechtigung bestimmt, die nicht oder nicht mehr länger in einer Werkstatt arbeiten wollen.
Eigentlich ist es Aufgabe der Werkstätten, ihre Beschäftigten zu qualifizieren und langfristig auf den regulären Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Allerdings haben es die Werkstätten bis heute nicht geschafft, diesem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden.
Die Vermittlungsquote der Werkstätten liegt nach wie vor bei deutlich unter 1 Prozent.
Das Budget für Arbeit soll Menschen in Werkstätten einen neuen Weg öffnen, um es auf den regulären Arbeitsmarkt zu schaffen.
Und zwar zusätzlich zu dem bislang nicht wirklich erfolgreichen Weg über die Werkstätten.
Interessant ist nun, was Hamburg mit dem Budget für Arbeit vorhat:
Es soll möglich werden, das Budget für Arbeit bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag auch unbefristet zu bewilligen.
Werkstätten und weitere Leistungserbringer der Eingliederungshilfe sollen als Begleitdienste im Budget für Arbeit zugelassen werden.
Die zwei Hamburger Werkstätten für behinderte Menschen (Elbe-Werkstätten GmbH und alsterarbeit gGmbH) sollen das Budget für Arbeit bei Arbeitgebern bekannter machen.
In einem Modellprojekt sollen zwei ausgelagerte Arbeitsgruppen der Elbe-Werkstätten in reguläre Arbeitsverhältnisse überführt werden. Außerdem soll mit beiden Werkstätten vereinbart werden, wie viele Werkstatt-Beschäftigte in ein Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden müssen.
Die Sozialbehörde plant eine Öffentlichkeitskampagne zum inklusiven Arbeitsmarkt.
Die Stadt Hamburg als öffentlicher Arbeitgeber will im Rahmen des Budgets für Arbeit mehr Arbeitsplätze für behinderte Menschen einrichten.
Die letzten beiden Punkte sollen vermutlich ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Werkstätten umgesetzt werden.
Hamburg dreht damit in seinen Plänen einen entscheidenden Teil des Budgets für Arbeit einfach um.
Anstatt neue Alternativen zu den Werkstätten zu fördern und zu stärken, soll das Budget für Arbeit eng an die Werkstätten geknüpft werden.
Die Werkstätten sollen dafür zuständig werden, das Budget für Arbeit zu bewerben und umzusetzen.
Werkstatt-Beschäftigte, die auf den regulären Arbeitsmarkt vermittelt werden, sollen im Unterstützungssystem der Werkstätten eingebunden bleiben.
So werden die alten Sonderstrukturen erhalten und für die Zukunft gesichert.
Das widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
3. Behinderung wird weiterhin als Einschränkung gesehen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention macht deutlich:
Ein Mensch ist nicht behindert. Er wird behindert.
Diese Aussage kennzeichnet ein neues Verständnis von Behinderung.
Behinderung wird nicht mehr als Defizit eines Menschen betrachtet.
Behinderung entsteht, wenn ein Mensch durch das Zusammenwirken von persönlichen Merkmalen und gesellschaftlichen Barrieren von gleichberechtigter Teilhabe ausgeschlossen wird.
Die im Hamburger Landesaktionsplan 2023 vorgestellten Maßnahmen im Handlungsfeld „Arbeit und Beschäftigung“ dagegen gehen weiterhin davon aus, dass Menschen mit Behinderungen per se eingeschränkt sind.
Und damit nicht so gut funktionieren wie Menschen ohne Behinderungen.
Zwar wird betont, dass Menschen mit Behinderungen durchaus Kompetenzen haben können.
Trotzdem wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie in ihrer Leistungsfähigkeit nicht mit Menschen ohne Behinderung mithalten können.
Daraus wird gefolgert:
Menschen mit Behinderungen brauchen einfache Aufgaben und Arbeitsabläufe.
Menschen mit Behinderungen brauchen dauerhafte Unterstützung.
Und: Ihre Arbeit muss auf Dauer subventioniert werden.
Hier wird an ein altes, immer noch tief verwurzeltes medizinisch geprägtes Bild von Behinderung angeknüpft.
Diese Sicht auf Behinderung entspricht nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
4. Mein Fazit: Entscheidendes fehlt!
Der Hamburger Landesaktionsplan 2023 zeigt:
Hamburg hält am Sondersystem der Werkstätten fest und erklärt die Umsetzung des Budgets für Arbeit zum Ziel seiner inklusiven Arbeitsmarktpolitik.
Das ist erschreckend wenig und wird kaum dazu beitragen, den Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten.
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt funktioniert nur, wenn sich der Arbeitsmarkt an sich verändert.
Barrieren müssen abgebaut und der Arbeitsmarkt für alle zugänglich werden.
Gleichzeitig müssen die nach wie vor bestehenden Sonderstrukturen zügig abgebaut werden.
Das bedeutet zum Beispiel:
Menschen mit Behinderungen müssen ihre Arbeit frei wählen können.
Sie müssen die Chance erhalten auf eine anerkannte Ausbildung im Regelsystem.
Behinderung darf nicht mehr länger als Einschränkung und Last verstanden werden.
Alle Menschen haben Potentiale, die es für den Arbeitsmarkt zu entdecken und zu erschließen gilt.
Daraus folgt auch: Die Arbeit von Menschen mit Behinderungen muss endlich angemessen entlohnt werden, damit sie ihren Lebensunterhalt darüber bestreiten können.
Zu all dem verliert der Hamburger Landesaktionsplan kein einziges Wort.
Übrig bleibt noch eine letzte Frage:
Wie konnte es passieren, dass die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention für einen inklusiven Arbeitsmarkt im Hamburger Landesaktionsplans 2023 so falsch verstanden wurden?
Alle Maßnahmenvorschläge, die Werkstätten für behinderte Menschen betreffen, wurden von der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen eingereicht.
In der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen haben sich die beiden Hamburger Werkstätten für Menschen mit Behinderung (alsterarbeit gGmbH und Elbe-Werkstätten GmbH), der Bergedorfer Impuls gGmbH, arinet, die Stiftung Rauhes Haus und die Hamburger Arbeitsassistenz gGmbH als Leistungsanbieter der Eingliederungshilfe zusammengeschlossen.
Auf ihrer Website hebt die Landesarbeitsgemeinschaft hervor, wie eng sie mit den Leistungsträgern der Eingliederungshilfe und Rehabilitation und mit den relevanten Akteuren aus Politik und Verwaltung zusammenarbeitet.
Wie erfolgreich sie dabei ist, zeigt sich am Hamburger Landesaktionsplan.
Hier wurde auf eine schlagkräftige Lobby-Vereinigung gehört – und nicht auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Oder auf Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertretungsorganisationen.
Die Überraschung war groß, als ich vor einigen Tagen unseren Briefkasten öffnete.
Ein Brief vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales lag darin.
Mit der lange ersehnten Antwort auf unseren Offenen Brief!
Ich bin ehrlich: Ich selbst hatte eine Antwort längst abgeschrieben.
Immerhin ist es fast ein halbes Jahr her, dass wir unseren Offenen Brief in Berlin übergeben haben. Und zwar an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und an das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Doch nun ist die Antwort darauf endlich da. Und das ist gut so.
Zwar steht in der Antwort nicht:
Die Bundesregierung plant, bis 2030 alle Förderschulen in Deutschland abzuschaffen.
So etwas zu erwarten, wäre auch nicht realistisch gewesen.
Aber die Antwort zeigt:
Beide Bundesministerien haben sich bewegt!
Beide Bundesministerien haben unser Anliegen und damit das Menschenrecht auf inklusive Bildung doch noch ernst genommen und nicht mehr länger ignoriert.
Beide Bundesministerien haben miteinander gesprochen und tatsächlich gemeinsam geantwortet.
Beide Bundesministerien geben zu, dass Deutschland auch 15 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention immer noch „vor wesentlichen Herausforderungen auf dem Weg in ein durchweg inklusives Bildungssystem “ steht.
Beide Bundesministerien scheinen die Abschließenden Bemerkungen aus Genf ernst zu nehmen.
Und: Es heißt nicht mehr länger „Bildung ist ausschließlich Ländersache“.
So wie noch vor wenigen Monaten.
Stattdessen erklären die Vertreterinnen beider Bundesministerien:
„Die Bundesregierung unterstützt die Länder nach Kräften bei der Umsetzung der inklusiven Bildung.“
Fachlich zuständig für Inklusive Bildung ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Konkret unternommen hat dieses Ministerium bislang kaum etwas, um die Umsetzung von inklusiver Bildung in Deutschland voranzutreiben.
In der Antwort aus Berlin wird darauf hingewiesen, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung gezielte Forschungsförderung betreibe im Bereich der inklusiven Bildung.
Doch Forschungsförderung alleine reicht nicht aus, um inklusive Bildung endlich umzusetzen.
Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat in seinen abschließenden Bemerkungen konkrete nächste Schritte vorgeschlagen.
Die Antwort aus Berlin weist auf den demnächst beginnenden Follow-upProzess hin.
Im Follow-up Prozess wird die Umsetzung der UN-Empfehlungen genau überprüft.
Und zwar unter enger Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen und der Zivilgesellschaft.
Und das sind auch wir!
Hier werden wir als Eltern weiter ansetzen und euch auf dem laufenden halten.
Versprochen!
Wir Eltern von #WirWarenInGenf werden dran bleiben und nicht locker lassen.
Am 26. März 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet.
15 Jahre später ist unser Land immer noch meilenweit entfernt von einer erfolgreichen Umsetzung vieler der in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Menschenrechte.
Darum habe ich heute folgende Pressemitteilung zum Stand der inklusiven Bildung in Hamburg verschickt:
Pressemitteilung
22. März 2024
15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention, 15 Jahre inklusive Bildung
In Hamburg immer noch kein Grund zum Feiern
Hamburgs Schulen sind noch weit davon entfernt, tatsächlich inklusiv zu sein
Was die Umsetzung von inklusiver Bildung angeht, gilt Hamburg im Vergleich zu anderen Bundesländern als sehr erfolgreich.
Trotzdem ist die Stadt auch 15 Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention immer noch weit entfernt von einem inklusiven Bildungssystem für alle.
Seit mehreren Jahren stagniert Hamburgs Exklusionsquote. Die Schulbehörde geht davon aus, dass sich hieran bis 2035 nichts ändern wird.
Die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die in Hamburg inklusiv beschult werden, besuchen Grundschulen und Stadtteilschulen. An Gymnasien findet Inklusion nach wie vor kaum statt.
Immer noch gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem. Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Mehr als die Hälfte aller Hamburger Schülerinnen und Schüler mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen besucht nach wie vor eine Sonderschule.
Entscheiden sich die Eltern dieser Kinder für eine inklusive Beschulung, stehen ihnen dafür nur sogenannte Schwerpunktschulen offen.
Nur 68 von 380 Hamburger Regelschulen sind Schwerpunktschulen. Nur wenige davon haben sich bislang intensiv damit beschäftigt, schuleigene Konzepte für eine inklusive Schule und eine individualisierte Unterrichtsgestaltung zu erarbeiten. Die Gefahr ist groß, dass die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen zu einer neuen Sonderform wird in einem ansonsten weiterhin nicht inklusivem Regelsystem.
Der neue Hamburger Landesaktionsplan 2023 zeigt: Hamburg will weiterhin am sogenannten Elternwahlrecht und damit am schulischen Sondersystem festhalten. Anstelle eines inklusiven Umbaus des gesamten Bildungssystems plant die Stadt, ihr schulisches Sondersystem zu überarbeiten und zu „verbessern“.
Erst im vergangenen Sommer ist Deutschland von der UNO zum zweiten Mal in einer Staatenprüfung heftig kritisiert worden:
Nach wie vor gebe es in Deutschland zu viele Sonderschulen und zu viele Probleme bei der inklusiven Beschulung von Kindern mit Behinderungen.
Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung hat die Bundesregierung mit Nachdruck dazu aufgefordert, den inklusiven Umbau des gesamten Bildungssystems deutlich zu beschleunigen.
Vor allem die Bundesländer müssten endlich konkrete Aktionspläne erstellen, die tatsächlich mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmen.
Dies kommt einer beispiellosen Bloßstellung der Länder gleich.
Die Länder haben der UN-Behindertenrechtskonvention bereits am 19. Dezember 2008 einstimmig und verbindlich im Bundesrat zugestimmt. Trotzdem verzögern und verschleppen sie seitdem in ihrer Schulpolitik die notwendige inklusive Schulreform.
Eltern behinderter Kinder aus mehreren Bundesländern haben jüngst in einem Offenen Brief – unterstützt von mehr als 140 Organisationen – die Bundesregierung aufgefordert, Druck auf die säumigen Landesregierungen aufzubauen.
Erst vor wenigen Tagen hat der Europarat seinen Staatenbericht zur Menschenrechts-Lage in Deutschland veröffentlicht. Darin kritisiert er, dass ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen und die Inklusion in Deutschland nach wie vor durch ausgrenzende Strukturen wie Sonderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen äußerst erschwert sind.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland habe ich bei der 2. deutschen Staatenprüfung 2023 vor der UN in Genf demonstriert. Gleich mehrere Mitglieder des Uno-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen solidarisierten sich mit uns. Hier der Schweizer Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. (Copyright Inklusion-in-hamburg.de)
Immer mehr Eltern in Hamburg kehren der schulischen Inklusion den Rücken zu.
Zu wenig Ressourcen, zu wenig Förderung und zu wenig Verlässlichkeit, so heißt es von allen Seiten.
Gleichzeitig bemängeln erste Eltern an Sonderschulen, dass auch dort immer mehr Sonderpädagogen und Fachkräfte fehlen.
Dies zeigt:
Ein dauerhaftes Vorhalten von Sondersystem und Regelsystem, wie es Hamburg langfristig plant, ist angesichts von Lehrermangel und knapper Kassen zum Scheitern verurteilt.
Außerdem verstößt es gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Hamburgs Senat ist aufgefordert
sich klar zur UN-Behindertenrechtskonvention zu bekennen und sich mit Nachdruck und verbindlich für die vollständige Umsetzung von inklusiver Bildung einzusetzen.
das Ergebnis der Staatenprüfung ernst zu nehmen und einen wirksamen Aktionsplan fürden Ausbau inklusiver Schulen vorzulegen.
Dieser Aktionsplan muss einen konkreten Zeitplan enthalten, bis wann der inklusive Umbau des gesamten Schulsystems abgeschlossen sein soll.
Er muss die notwendigen Maßnahmen für Schulentwicklung, Qualität und Personal enthalten und koordinieren.
Und er muss klare Verantwortlichkeiten für die Steuerung der inklusiven Entwicklung benennen sowie eine ausreichende Finanzierung hinterlegen.
Alle Bundesländer – und damit auch Hamburg – müssen endlich die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllen und den Übergang vom Sonderschulsystem in ein inklusives Regelschulsystem zeitnah und verbindlich umsetzen.
Nach der letzten Staatenprüfung im August 2023 zeigte sich der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen äußerst besorgt über die unzureichende Umsetzung von inklusiver Bildung in Deutschland.
Ganz besonders kritisierte er die weite Verbreitung von Förderschulen und Förderklassen.
Und die vielen Probleme, auf die behinderte Kinder, Jugendliche und ihre Familien stoßen, wenn sie sich für eine inklusive Beschulung entscheiden.
Im Landesaktionsplan wird zunächst die Entwicklung der schulischen Inklusion seit ihrer Einführung im Jahr 2012 vorgestellt.
Das ganze liest sich wie eine reine Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich hat Hamburg im Vergleich mit anderen Bundesländern eine bemerkenswerte Entwicklung hingelegt.
Allerdings:
Die Stadt ist immer noch weit entfernt von einem inklusiven Schulsystem für alle.
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem. Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Hier werden rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen unterrichtet. Mit steigender Tendenz.
Die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die in Hamburg inklusiv beschult werden, besuchen Grundschulen und Stadtteilschulen. An Gymnasien findet Inklusion dagegen nach wie vor kaum statt.
Bereits seit mehreren Jahren stagniert die jährliche Exklusionsquote. Das heißt: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen geht im Vergleich zu allen Hamburger Schülern nicht weiter zurück.
Die Hamburger Schulbehörde geht davon aus, dass sich hieran bis mindestens 2035 nichts ändern wird.
Die meisten Kinder und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen nehmen an inklusiver Bildung nach wie vor nicht teil.
Als Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen werden sie überwiegend an Sonderschulen unterrichtet.
Im Schuljahr 2023/24 besuchten 2588Schüler mit speziellen Förderbedarfen Sonderschulen.
Nur 1650 Schüler mit speziellen Förderbedarfen wurden inklusiv an Regelschulen unterrichtet.
Zum Vergleich:
Zu Beginn der schulischen Inklusion 2012/13 besuchten 1986 Schüler mit speziellen Förderbedarfen Sonderschulen und 1326 Regelschulen.
Außerdem steigt seit einigen Jahren die Zahl autistischer Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen.
Das gleiche gilt für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Emotional-soziale Entwicklung, unter ihnen viele mit FASD.
Nur Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache konnten bislang mehrheitlich von der schulischen Inklusion profitieren. Sie werden inzwischen überwiegend an Regelschulen unterrichtet.
Dies alles zeigt:
Hamburgs angeblich so erfolgreiche Inklusion ist bislang nur eine sehr eingeschränkte Inklusion.
Weite Teile des Hamburger Schulsystems sind weiterhin auf Absonderung und Trennung ausgerichtet.
Was plant Hamburg in Sachen schulische Inklusion?
1. Hamburg will an seinen Sonderschulen festhalten.
Damit Eltern behinderter Kinder weiterhin eine Wahl haben zwischen Sonderschule und Regelschule, will Hamburg am Sonderschulsystem festhalten.
Dies steht im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt klar und deutlich:
Alle Kinder und Jugendlichen sollen gemeinsam unterrichtet werden.
Nach der Staatenprüfung im August 2023 hat der UN-Ausschuss Deutschland dazu aufgefordert, einen umfassenden Plan zu erstellen, wie der Übergang vom Sonderschulsystem in ein inklusives Regelschulsystem möglichst zügig umgesetzt werden kann.
Und zwar mit einem konkreten Zeitrahmen.
Mit der Zuweisung von personellen, technischen und finanziellen Ressourcen.
Und mit klaren Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Überwachung.
Darüber verliert der Hamburger Landesaktionsplan kein einziges Wort.
Stattdessen reduziert sich Hamburgs Planung darauf, „dass der Besuch einer allgemeinen Schule einen Mehrwert gegenüber anderen Schulformen bieten muss – durch konsequent gelebte Inklusion und ein positives Schulerlebnis besonders auch für Menschen mit Behinderungen.“
Als Mutter eines Kindes mit Behinderung bin ich fassungslos.
Bei inklusiver Bildung geht es um viel mehr als „positive“ Schulerlebnisse für Menschen mit Behinderungen.
Es geht um bestmögliche Bildung für alle.
Damit alle jungen Menschen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll entfalten können.
2. Hamburg will Schwerpunktschulen weiter stärken.
Hamburg hat das Recht auf inklusive Beschulung in seinem Schulgesetz festgeschrieben.
Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass behinderte Kinder und deren Eltern die freie Schulwahl haben.
Kinder und Jugendliche mit speziellen Förderbedarfen sollen an sogenannten Schwerpunktschulen unterrichtet werden.
Schwerpunktschulen sind Schulen, die als besonders erfahren und ausgestattet gelten, was den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen angeht.
Fast alle Schwerpunktschulen haben bereits vor Einführung der Inklusion mit Integrationsklassen und integrativen Regelklassen gearbeitet.
Insgesamt gibt es in Hamburg 68 Schwerpunktschulen.
Nämlich 40 Grundschulen und 28 Stadtteilschulen, die sich sehr ungleichmäßig über das Stadtgebiet verteilen.
183 Grundschulen, 55 Stadtteilschulen und 74 Gymnasien sind keine Schwerpunktschulen.
Das bedeutet:
Nur jede 5. Hamburger Schule ist eine Schwerpunktschule.
Bereits der Landesaktionsplan 2019 sah vor, Schwerpunktschulen zu stärken.
Unter dem Namen „möglichmacher*“ entwickelte die Schulbehörde ein Modellprojekt, um ausgewählte Schwerpunktschulen bei ihrer inklusiven Schulentwicklung zu stärken und zu unterstützen.
An diesem Projekt beteiligten sich bislang 7 Grundschulen und 4 Stadtteilschulen.
Im neuen Landesaktionsplan bleibt offen, ob die Maßnahme „Schwerpunktschulen stärken“ diesmal alle Schwerpunktschulen mit einschließt.
Oder ob sie sich erneut nur auf ausgewählte Schwerpunktschulen konzentriert.
Sicher ist:
Nur ein kleiner Teil aller Hamburger Schwerpunktschulen scheint sich bislang intensiv damit beschäftigt zu haben, schuleigene Konzepte für eine inklusive Schule und eine individualisierte Unterrichtsgestaltung zu erarbeiten.
Dies erklärt auch, warum Eltern von inklusiv beschulten Kindern immer wieder über Schwierigkeiten berichten: bei Nachteilsausgleichen und Förderplanung, beim zieldifferenzierten Unterricht, bei der Zuweisung von Ressourcen oder der Zusammenarbeit mit Therapeuten.
Grundsätzlich halte ich das Konzept der Schwerpunktschulen für problematisch.
Zum einen geht es von einem medizinisch geprägten Behinderungsbegriff aus, der Beeinträchtigungen als Defizite ansieht.
Aufgrund dieser „Beeinträchtigungen“ sollen Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen nur an besonders ausgestatteten Schulen oder spezialisierten Sonderschulen unterrichtet werden.
Zum andern ist die Gefahr groß, dass Schwerpunktschulen zu inklusiven Sonderformen werden in einem ansonsten weiterhin nicht inklusivem Regelsystem.
3. Verbesserung der Beratungs- und Bildungsangebote
Der Landesaktionsplan 2023 sieht vor, Beratungsangebote und Bildungsangebote für Familien mit behinderten Kindern deutlich zu verbessern.
Und zwar über einen auf 5 Jahre angelegten Organisationsentwicklungsprozess.
Zuständig für den geplanten Organisationsentwicklungsprozess sind die speziellen Sonderschulen, die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren und das Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit/Autismus.
Ziel des Organisationsentwicklungsprozesses ist es, Strukturen und Prozesse der speziellen Sonderschulen und Beratungszentren zu überarbeiten und neu aufzustellen:
um individuelle und flexible Bildungsverläufe zu ermöglichen und Bildungschancen zu vergrößern,
um die Teilhabe an Bildung und sozialem Miteinander zu verbessern,
und um die Zusammenarbeit untereinander sowie mit verschiedenen Professionen zu intensivieren und zu erweitern.
Es sollen also die speziell für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen gedachten besonderen Bildungs- und Beratungsangebote neu gestaltet und verbessert werden.
Allerdings: So funktioniert keine Inklusion.
Inklusion bedeutet nicht, das Sondersystem umzugestalten.
Inklusion bedeutet, das Gesamtsystem Schule von Grund auf umzubauen und inklusiv zu gestalten.
4. Verbesserung der Barrierefreiheit
Bereits der erste Landesaktionsplan aus dem Jahr 2012 sah vor, die bauliche Barrierefreiheit an Hamburgs Schulen zu verbessern.
Seitdem betont der Senat gerne und regelmäßig, dass er jedes Jahr sehr viel Geld investiert, um Hamburgs Schulgebäude barrierefreier zu machen.
Als konkrete Maßnahme im Landesaktionsplan 2023 ist vorgesehen, alle Schulneubauten nach DIN 18040-1 barrierefrei zu planen und zu errichten.
Bei Sanierungen und Umbauten sollen zusätzliche Leistungen zur Barrierefreiheit nach individuellem Bedarf und entsprechend der DIN umgesetzt werden.
Damit knüpft der Landesaktionsplan 2023 nahtlos an die bisherige Schulpolitik des Senats an.
Doch was heißt das genau?
Werden Schulen in Hamburg neu gebaut, erhalten sie gemäß DIN 18040-1 automatisch Aufzüge, barrierefreie Zugänge und behindertengerechte WCs.
Neu gegründete Schwerpunktschulen erhalten außerdem eine zusätzliche Fläche von 24 Quadratmetern pro Zug. Hier können bei Bedarf Pflegeräume eingerichtet werden.
Weitere Bedarfe an Barrierefreiheit sollen zu Beginn der Bauvorhaben in Abstimmung mit der Schule ermittelt werden.
An dieser Stelle lohnt es, etwas tiefer zu gehen.
Und zwar mit der Frage: Welche Kriterien wendet Hamburg an bei der Gestaltung von Barrierefreiheit an Schulen?
In Hamburg werden Schulen als halb-öffentliche Gebäude betrachtet.
Es gibt den öffentlichen Bereich einer Schule. Nämlich das Schulbüro, Gemeinschaftsflächen und die Sporthalle.
Alle übrigen Schulräume werden in erster Linie von Schülern und Lehrern genutzt.
Damit gelten diese Räume aus Sicht der Schulbehörde als nicht öffentlich.
Entsprechend reduzieren sich die Anforderungen an Barrierefreiheit.
Was das bedeutet, zeigt sich bei der Sanierung bereits bestehender Schulen.
Werden bereits bestehende Schulen saniert, erhalten sie behindertengerechte Zugänge zu allen öffentlichen Bereichen.
Also zu Sporthallen, Schulbüros und Gemeinschaftsflächen. Außerdem soll mindestens ein behindertengerechtes WC je Schule geschaffen werden.
Für bestehende Schwerpunktschulen sind darüber hinaus behindertengerechte Zugänge zu Fachräumen, Ganztagsflächen und zu einzelnen Klassenräumen vorgesehen.
Dabei ist jede Schwerpunktschule aufgefordert, geschaffene barrierefreie Räume – je nach Bedarf – bestimmten Klassen oder Jahrgängen zuzuordnen.
Dies bedeutet: Einzelne Gebäude einer Schwerpunktschule müssen nicht unbedingt einen Aufzug erhalten. Oder einen barrierefreien Zugang.
In einem dreigeschossigen Klassenhaus einer bestehenden Schwerpunktschule reicht es zum Beispiel aus, wenn Klassenräume im Erdgeschoss von Schülerinnen und Schülern mit Rollstuhl erreicht werden können.
Insgesamt ist die bauliche Barrierefreiheit an Hamburgs Schulen also erheblich eingeschränkt.
Sie konzentriert sich nur auf ausgewählte schulische Räume.
Und sie konzentriert sich auf ausgewählte Schulen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention dagegen fordert klar und deutlich:
Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen müssen gleichberechtig Zugang haben zu allen Schulen und zu allen von Schülern genutzten Räumen.
Von einer umfänglichen Barrierefreiheit, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, sind Hamburgs Schulen also noch weit entfernt.
Werden die im Landesaktionsplan 2023 vorgesehenen Maßnahmen ausreichen, um Hamburgs Schulen inklusiver zu machen und so der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein gutes Stück näher zu kommen?
Meine Antwort darauf lautet: NEIN.
Denn Hamburg weigert sich weiterhin, sein Sonderschulsystem aufzugeben.
Gleichzeitig baut Hamburg mit seinen Schwerpunktschulen ein neues, vermeintlich inklusives Sondersystem aus.
Beides hat zur Folge, dass an den meisten Hamburger Schulen nach wie vor keine Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen zu finden sind.
In Hamburg startet das neue Startchancen-Programm der Bundesregierung.
Es spült der neuen Schulsenatorin Ksenija Bekeris in den nächsten 10 Jahren insgesamt 215 Millionen Euro in die Kasse.
Mit dem Geld sollen sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler beim Lernen der Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik sowie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden.
Für mehr Bildungsgerechtigkeit und gute Startchancen für alle.
Geld für Bildung an sich ist eine gute Sache.
Gute Bildung bedeutet mehr gesellschaftliche Teilhabe und bessere Lebenschancen.
Das stärkt die Demokratie und sichert die Zukunft unseres Landes.
Allerdings:
Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen werden im bundesweiten Startchancen-Programm – wieder einmal – vergessen.
Gute Startchancen für Menschen mit Behinderungen interessieren die Bundesregierung anscheinend nicht.
Obwohl das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an Bildung für Menschen mit Behinderungen seit 15 Jahren gesetzlich festgeschrieben ist.
Geht es um inklusive Bildung, dann heißt es derzeit von der Bundesregierung:
„Bildung ist Ländersache“.
Gleichzeitig zeigen das Startchancen-Programm und der Digital-Pakt:
Die Bundesregierung kann durchaus Verantwortung übernehmen in Sachen bundesweite Bildung.
So sie denn will.
Seit 4 Monaten warten 140 namhafte Vereine und Verbände und über 1.400 Einzelpersonen vergeblich darauf, dass die Bundesregierung den Offenen Brief #InklusiveBildungJetzt!beantwortet.
In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit und einer gleichzeitigen Radikalisierung in unserer Gesellschaft ein denkbar schlechtes Zeichen.
Dabei bietet inklusive Bildung den Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit für alle.
Copyright Inklusion-in-hamburg.de
Übrigens:
Inzwischen habe ich zwei blaue Briefe geschrieben und verschickt.
An die Bundesminister Hubertus Heil und Bettina Stark-Watzinger.
Eltern erhalten „blaue Briefe“ von der Schule, wenn die Versetzung ihrer Kinder gefährdet ist.
Meine blauen Briefe zeigen meine große Enttäuschung über das Schweigen der zwei Minister.
Es kann und darf nicht sein, dass in einem freiheitlich-demokratischen Land wie Deutschland das Menschenrecht auf Inklusion einfach ignoriert wird.
Wollt ihr auch blaue Briefe nach Berlin schicken?
Alle Informationen dazu und auch einen Beispiel- Brief findet ihr hier:
Zwischen März 2021 und Juni 2022 hatte die Hamburger Sozialbehörde ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren durchgeführt.
Die Sozialbehörde wollte wissen:
Wie kann Inklusion in Hamburg verbessert werden?
Viele Menschen mit und ohne Behinderung haben darauf geantwortet.
Über 1.800 Vorschläge kamen so zusammen.
Dann begann das lange Warten.
Über ein Jahr lang waren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Hamburger Fachbehörden beschäftigt.
Sie haben die über 1.800 Vorschläge gesichtet, geordnet, zusammengefasst, gewichtet und bewertet.
Am Ende übrig blieben 66 konkrete Maßnahmen, verteilt auf 8 zentrale Handlungsfelder.
Das ist nicht gerade viel.
Hinzu kommt:
Auch die Inhalte vieler Maßnahmen sind mager bis enttäuschend.
Einiges deckt sich nicht mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Und auch nicht mit den Empfehlungen aus der 2./3. deutschen Staatenprüfung 2023 in Genf.
Mit meiner Kritik bin ich nicht alleine.
Die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, Ulrike Kloiber, mahnt in ihrer Stellungnahme zur Neufassung des Landesaktionsplans 2023:
Bei den meisten Maßnahmen fehlen konkrete Ziele.
Bei den meisten Maßnahmen fehlen konkrete Zeitangaben, ab wann sie beginnen sollen und bis wann sie umgesetzt sein sollen.
Generell fehlen Angaben und Vorschläge, wie sich Eignung und Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen lassen.
Es wird nicht deutlich, welche tatsächlichen Fortschritte Hamburg bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bislang gemacht hat.
Es fehlen konkrete Ansprechpartner, die für die Umsetzung der Maßnahmen zuständig sind.
Auch die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. hat sich zur Neufassung des Landesaktionsplans 2023 geäußert.
Sie lobt: Mit dem Beteiligungsverfahren konnten viele Betroffene erstmals ihre Erfahrungen und Forderungen vortragen.
Dann führt sie kritisch an:
Weiterhin bestehen in Hamburg zu viele Hürden für Menschen mit Behinderungen.
Betroffene wünschen sich endlich spürbare Verbesserungen in ihrem Alltag.
Der Landesaktionsplan bleibt hinter den Erwartungen vieler Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen zurück.
In diesem Bericht kommen ausschließlich Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertreter zu Wort.
Sie stellen vor, wie ein inklusives Hamburg in ihren Augen aussehen sollte.
Und sie werden klar und deutlich Stellung beziehen zum jetzt vorgelegten Landesaktionsplan 2023.
Übrigens:
Bereits bei der Vorstellung des Landesaktionsplans 2023 auf der Landespressekonferenz Hamburg war zu spüren, welchen Stellenwert der Hamburger Senat dem Landesaktionsplan und seiner Umsetzung einräumt.
15 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland und 11 Jahre nach dem ersten Landesaktionsplan in Hamburg führte Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer tatsächlich an:
„Jetzt bedeutet ein Inkrafttreten nicht immer notwendigerweise, dass man sofort Maßnahmen aus einer gesetzlichen Regelung umsetzen kann.“
Zuvor hatte die Sozialsenatorin den neuen Landesaktionsplan damit beworben, dass auch Menschen ohne Behinderung von den Maßnahmen profitieren würden.
Außerdem erinnerte sie daran: Jeden kann irgendwann eine Behinderung treffen.
Dies zeigt mir:
Der Hamburger Senat hat den Kern der UN-Behindertenrechtskonvention nicht verstanden. Oder er will ihn nicht verstehen.
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention braucht keine Rechtfertigung.
Sie ist eine Verpflichtung.
Denn es geht um Menschenrechte.
Als Mutter eines Kindes mit Behinderung in Hamburg erwarte ich deutlich mehr von der Hamburger Politik als das, was der Hamburger Senat mit dem neuen Landesaktionsplan 2023 geliefert hat.
Mehr zu einzelnen Inhalten des neuen Landesaktionsplans finden Sie hoffentlich möglichst bald hier in meinem Blog.
Den gesamten Landesaktionsplan 2023 zum Nachlesen finden Sie hier.
Wie ist Hamburg bei der Umsetzung von Inklusion in seinen Schulen im Jahr 2023 vorangekommen?
Die Stadt gilt nach wie vor als Vorbild, was schulische Inklusion angeht.
Und im Vergleich mit anderen Bundesländern ist Hamburg sicherlich schon weit gekommen.
Trotzdem ist die Stadt noch weit entfernt von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.
Nämlich einem Schulsystem, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen. Und zwar in einer Schule für alle.
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Hier wurden im Schuljahr 2022/23 mehr als 4400 Schülerinnen und Schüler exklusiv unterrichtet.
Das waren rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen.
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten und speziellen Förderschwerpunkten sind hier zusammengefasst.
An diesen Zahlen hat sich in den letzten fünf Jahren nicht wirklich etwas verändert.
Und so wird es wohl auch in Zukunft bleiben.
Bildungsforscher gehen davon aus, dass die Exklusionsquote in Hamburg bis 2035 bei 2,66 stehen bleibenwird.
Die Exklusionsquote gibt den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen an, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden. Und zwar gemessen an allen Schülerinnen und Schülern mit Vollzeitschulpflicht (Jahrgangsstufen 1 bis 9 bzw. 10).
Bei ihren Berechnungen für Hamburg stützen sich die Bildungsforscher auf Zahlenmaterial, das von der Hamburger Schulbehörde für die Kultusministerkonferenz der Länder zusammengestellt wurde.
Klaus Klemm: Inklusion in Deutschlands Schulen: Eine bildungsstatistische Momentaufnahme 2020/21, Gütersloh 2022, S. 18.
Die Zahlen zeigen:
Bis 2035 wird in Hamburg ein großer Teil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen weiterhin an Sonderschulen unterrichtet werden.
Damit scheint die Hamburger Politik zufrieden.
Denn:
Hamburg hat zwar das Recht auf Inklusion in seinem Schulgesetz verankert.
Allerdings will die Stadt ihr Sonderschulsystem nicht aufgeben.
Eltern sollen auch in Zukunft wählen können, ob ihr behindertes Kind in einer Regelschule oder in einer Sonderschule beschult wird.
Das verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin stellte bereits 2017 klar:
Die Aufrechterhaltung zweier Schulsysteme lässt sich menschenrechtlich nicht über das Elternwahlrecht rechtfertigen.
Der Staat darf seine Verantwortung für einen schulischen Systemwechsel nicht an Eltern abgeben.
Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht. Warum es die inklusive Schule für alle geben muss (Position Nr. 10), Berlin 2017.
Besonders Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen werden in Hamburg nach wie vor an Sonderschulen unterrichtet. Und zwar mit steigender Tendenz.
Das zeigt die Schulstatistik 2022/23:
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023.
Unter speziellen Förderbedarfe werden die Förderschwerpunkte geistige Entwicklung, körperlich-motorische Entwicklung, Hören, Sehen und Autismus zusammengefasst.
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023.
In der Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen befinden sich mehrheitlich Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen.
Also genau die Kinder und Jugendlichen, die eine zentrale Zielgruppe bei der Umsetzung von inklusiver Bildung sein sollten.
Doch die meisten dieser Kinder und Jugendlichen nehmen an Inklusion nach wie vor nicht teil.
Im Gegenteil.
Im Schuljahr 2022/23 wurden in Hamburg deutlich mehr Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen exklusiv an Sonderschulen unterrichtet als zu Beginn der schulischen Inklusion.
Nach der Einführung der schulischen Inklusion haben vor allem Schülerinnen und Schüler mit sogenannten geistigen Behinderungen an Sonderschulen zugenommen.
Gleiches gilt für Schülerinnen und Schüler, die sich keinem der klassischen Förderschwerpunkte zuordnen lassen. Hierunter fallen auch Schülerinnen und Schüler mit Autismusspektrumstörungen.
Außerdem stieg die Zahl der Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Emotional-soziale Entwicklung, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden.
Profitieren von der Inklusion konnten dagegen Schülerinnen und Schüler mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen und Sprache. Sie werden in Hamburg inzwischen meist an Regelschulen unterrichtet.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich übrigens auch in den anderen Bundesländern.
Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder (Hrsg.):
Sonderpädagogische
Förderung in Schulen
2011 bis 2020, Berlin 2022.Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder (Hrsg.):
Sonderpädagogische
Förderung in Schulen
2011 bis 2020, Berlin 2022.
Neben seinem Sonderschulsystem hat Hamburg nach Einführung der schulischen Inklusion auch an einem zweigliedrigen Schulsystem ab Klasse 5 festgehalten.
Stadtteilschulen nehmen seitdem die meisten Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen auf.
In Gymnasien dagegen fand auch im Schuljahr 2022/23 Inklusion kaum statt.
Diese Mischung von Inklusion und Exklusion in Hamburgs Schulen widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Im August 2023 prüften die Vereinten Nationen in Genf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Das Ergebnis war beschämend.
In fast allen Lebensbereichen ist Deutschland in den letzten 14 Jahren mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kaum vorangekommen.
Das gilt auch für die inklusive Bildung.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Deutschland nach wie vor in Sonderschulen unterrichtet.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland demonstrierte ich im August 2023 vor dem Uno-Hauptsitz in Genf. Zur gleichen Zeit fand drinnen die deutsche Staatenprüfung statt.
Was genau geschehen muss, damit Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen endlich in ganz Deutschland gemeinsam lernen können, hat der UN-Fachausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen klar benannt.
In diesen abschließenden Bemerkungen fordert der UN-Fachausschluss die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen dazu auf:
konkrete Zeitpläne zu erstellen, bis wann schulische Sondersysteme vollständig abgebaut sind.
konkrete Pläne zu erstellen, wie gemeinsame Schulen für alle möglichst zügig umgesetzt werden. Und zwar mit klaren Ressourcenzuweisungen, was Menschen, Technik und Geld angeht.
klar zu benennen, wer für die Umsetzung und Überwachung der Inklusion in Schulen zuständig ist.
Sensibilisierungs- und Bildungskampagnen zu starten. Um inklusive Bildung auf Gemeindeebene und bei den zuständigen Behörden zu fördern.
endlich sicherzustellen, dass alle Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können.
Bund und Länder und damit auch Hamburg sind nun gefordert.