„An der Sonderschule ist ihr Kind am besten aufgehoben. Denn dort erhält es die bestmögliche Förderung – abgestimmt auf seine ganz besonderen Bedarfe.“
Solche Sätze hören Eltern von Kindern mit Behinderungen immer wieder.
Und zwar nicht nur in Hamburg, sondern überall in Deutschland.
Doch stimmt das überhaupt?

Meistens wird Eltern schon vor der Einschulung ihrer Kinder zur Sonderschule geraten.
Meinen Mann und mich traf es erst relativ spät.
Unser Kind mit Behinderung ging bereits in die 6. Klasse einer Stadtteilschule.
Und ich hatte mich beschwert, weil es mit dem zieldifferenzierten Unterricht nicht klappte.
Da hieß es auf einmal:
„Sie müssen sich entscheiden: Entweder Sie wollen Inklusion – dann lassen Sie ihr Kind in der Stadtteilschule.
Oder Sie wollen die bestmögliche Förderung für Ihr Kind – dann geben Sie es in die Sonderschule.“
Wir blieben auf dem inklusiven Weg.
Verbunden mit dem Bemühen, die „bestmögliche Förderung“ auch an der Regelschule zu erstreiten.
Damals habe ich mich noch nicht gefragt:
Fördert die Sonderschule tatsächlich besser als die Regelschule?
Ich war einfach davon ausgegangen.
Heute weiß ich es besser.

Inzwischen kenne ich viele Eltern mit Kindern an Sonderschulen.
Von ihnen habe ich erfahren:
- Auch an der Sonderschule gibt es keine am Kind ausgerichtete, individuelle Förderung.
- Therapien fallen regelmäßig aus oder werden erst gar nicht angeboten.
- Eltern werden immer wieder gebeten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wenn Lehrkräfte oder Assistenzkräfte fehlen.
- Die Betreuung im Ganztag und während der Ferien reicht vorne und hinten nicht aus und ist außerdem völlig unzuverlässig.
- Räume und Ausstattung der Sonderschulen sind meistens alt und marode. Selbst Fahrstühle sind nicht selbstverständlich.
- Selbst auf den Fahrdienst hin und zurück zu den Sonderschulen ist mittlerweile kein Verlass mehr. Darum haben Eltern einer Hamburger Sonderschule mit dem Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ erst vor kurzem einen Brandbrief an Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) geschrieben.

Der Kreiselternrat der speziellen Sonderschulen und der ReBBZ-Schulen kritisiert seit langem, dass sich die Beschulungssituation an den speziellen Sonderschulen immer weiter verschlechtert.
Bereits Ende 2023 mahnte der Kreiselternrat in einer Pressemitteilung:
„Das Recht auf Bildung wird Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Hamburg mittlerweile regelmäßig verwehrt.“
Schuld daran ist vor allem der stetig zunehmende Fachkräftemangel.
Klassen werden immer größer, der Personalschlüssel dagegen immer kleiner.
Das hat Auswirkungen – und zwar auf alle.
Viele Schülerinnen und Schüler zeigen inzwischen ein deutlich herausforderndes Verhalten. Andere reagieren mit Selbstverletzungen, Krampfanfällen oder laufen weg.
Für die meisten Schülerinnen und Schüler ist Lernen kaum noch möglich. Einige von ihnen verlieren sogar bereits erlernte Fähigkeiten.
Lehrkräfte und Therapeuten melden sich immer öfter und länger krank. Damit nehmen Notbetreuungen und Anrufe an Eltern weiter zu.
Inzwischen stehen viele Eltern und Familien am Rand ihrer Belastungsgrenze und können schlicht nicht mehr.

Wenn euch also demnächst jemand sagt:
„An der Sonderschule ist ein Kind mit Behinderung am besten aufgehoben. Denn dort erhält es die bestmögliche Förderung – abgestimmt auf seine ganz besonderen Bedarfe.“
Dann glaubt das nicht!
Fragt stattdessen nach:
„Wann waren Sie das letzte Mal in einer Sonderschule und konnten sich von der besseren Förderung dort selbst überzeugen?“
Fragt außerdem:
„Wissen Sie, dass die allermeisten Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen ohne Schulabschluss bleiben?“
„Ist Ihnen klar, dass der Besuch einer Sonderschule fast immer direkt in eine Werkstatt für behinderte Menschen führt?“
„Wissen Sie, dass die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen besonders niedrig ist?“
„Ist Ihnen bekannt, dass es auffällig viele Jungen sind, die Sonderschulen besuchen?“
“Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Kinder mit Behinderungen an Sonderschulen unsichtbar bleiben für Kinder ohne Behinderungen?“

Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt vor:
Jedes Kind hat das Recht auf bestmögliche Bildung – unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht.
Gleichzeitig sollen alle Kinder gemeinsam lernen.
Denn nur so lässt sich die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung verwirklichen.
