Vor kurzem war der 1. August.
Viele junge Menschen in Hamburg sind mit einer dualen Berufsausbildung gestartet.
Nur unser Kind wieder nicht.
Obwohl es seit einem Jahr eine feste Zusage auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz hat. In einer Firma für Veranstaltungstechnik.
Woran das liegt?
Unser Kind hat eine fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) und damit eine lebenslange Behinderung.
Aufgrund seiner Behinderung wird unser Kind keine Vollausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik schaffen.
Es benötigt eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung nach § 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). Darauf hat es einen Anspruch.
Zuständig für Ausbildungen im Bereich Veranstaltungstechnik ist die Handelskammer Hamburg. Dort haben wir vor 7 Monaten einen Antrag auf eine theoriereduzierte Ausbildung zum Fachpraktiker für Veranstaltungstechnik gestellt.
Über diesen Antrag hat die Handelskammer bis heute nicht entschieden.
Inzwischen glaube ich: Die Handelskammer will gar nicht über unseren Antrag entscheiden.
Denn: Unser Antrag scheint die Zuständigen in der Handelskammer vor ein Problem gestellt zu haben.
Einerseits ist es nur schwer möglich, unseren Antrag abzulehnen. Da unser Kind alle Voraussetzungen für eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung erfüllt.
Gleichzeitig scheint es in der Handelskammer einflussreiche Stimmen zu geben, die sagen:
„Die Handelskammer Hamburg hat sich vor mehr als 40 Jahren bewusst gegen eine Behinderten-Ausbildung entschieden, ist damit immer gut gefahren und wird daran auch in Zukunft sicherlich nichts ändern.“
Tatsache ist: An der Handelskammer Hamburg hat es noch nie eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung nach § 66 BBiG gegeben.
Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Industrie- und Handelskammern.
Dabei erscheint mir das Verfahren bei einer Fachpraktiker-Ausbildung relativ einfach.
Als erstes muss ein Ausbildungsrahmenplan geschrieben werden. Dafür gibt es klare Vorgaben.
Ist der Ausbildungsrahmenplan fertig, muss er dem Berufsbildungsausschuss der Handelskammer zur Genehmigung vorgelegt werden.
Stimmt der Berufsbildungsausschuss dem Ausbildungsrahmenplan zu, dann gilt er offiziell als erlassen – und unser Kind mit Behinderung könnte mit seiner Ausbildung beginnen.
Soweit die Theorie.
In der Praxis bekamen wir von der Handelskammer in den letzten Monaten immer wieder zu hören:
- Das mit der Fachpraktiker-Ausbildung ist unheimlich kompliziert.
- Bis zum Erlass des notwendigen Ausbildungsrahmenplans dauert es Jahre.
- Das ganze Verfahren ist teuer.
- Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keinen Bedarf an Fachpraktikern für Veranstaltungstechnik.
- Die theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung ist nicht anerkannt.
- Eine Fachpraktiker-Ausbildung stigmatisiert.
- Die Berufsschule für Veranstaltungstechnik hat keinerlei Erfahrung mit einer theoriereduzierten Ausbildung.
- Der Unterricht an der Berufsschule wird unser Kind überfordern.
Inzwischen ist die Handelskammer dazu übergegangen, uns „attraktive Alternativen“ zur Fachpraktiker-Ausbildung vorzustellen.
Um uns dazu zu bewegen, unseren Antrag auf eine Fachpraktiker-Ausbildung wieder zurückzuziehen.
Ich gebe zu: Einiges davon klingt interessant.
Unser Kind könnte bereits jetzt Geld verdienen. Und müsste sich nicht durch die Berufsschule quälen. Gleichzeitig hätte es in drei Jahren ein Zertifikat der Handelskammer in Aussicht.
Allerdings: Das ganze wäre keine Ausbildung. Unser Kind bliebe offiziell ungelernt.
Von früh an wollte unser Kind mit Behinderung vor allem eins: Es wollte alles so machen wie andere auch.
Unser Kind hat eine inklusive Kita besucht.
Unser Kind hat sich zehn Jahre lang durch die inklusive Schule gekämpft.
Unser Kind hat sich intensiv um einen Ausbildungsplatz bemüht. Weil es gelernt hat: Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung haben kaum Chancen auf dem 1. Arbeitsmarkt.
Unserem Kind ist es gelungen, einen Ausbildungsbetrieb von seinen Fähigkeiten und Kenntnissen zu überzeugen.
Ich bin stolz auf unser Kind!
Und werde weiter dafür kämpfen, dass sein eigentlich ganz stinknormaler Wunsch nach einer Ausbildung in Erfüllung geht.
Teilhabe an Bildung ist ein Menschenrecht und schließt berufliche Bildung ausdrücklich mit ein.