Am 29. und 30. August war ich in Genf.
Gemeinsam mit 30 weiteren Eltern von Kindern mit Behinderungen aus ganz Deutschland.
Zusammen haben wir zwei Tage lang vor dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf protestiert:
Für inklusive Bildung und eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Während wir draußen auf dem Platz der Nationen gegenüber dem Besuchereingang der Vereinten Nationen mit unserem großen Banner unübersehbar waren, tagte im Innern des Gebäudes der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Zum zweiten Mal prüften Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Bereits nach der ersten Prüfung 2015 hatte der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Bundesregierung gerügt, zu wenig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zu tun.
Diesmal erging es Deutschland nicht besser.
Sowohl der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, wie auch Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte erklärten dem Uno-Fachausschuss:
In sehr vielen Lebensbereichen ist Deutschland nach wie vor noch weit entfernt von Inklusion.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Sonderschulen unterrichtet.
Mehr als 300.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen.
Fast 200.000 Menschen mit Behinderungen leben in besonderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.
Bereits diese Aussagen ließen die deutsche Regierungsdelegation mehr als blass aussehen. Diese hatte noch zu Anfang der Ausschuss-Sitzung von „großen Fortschritten“ und „wichtigen Paradigmenwechseln“ in der deutschen Behindertenpolitik gesprochen.
Die Mitglieder des Uno-Fachausschusses selbst hatten sich vorab sehr gut informiert über den Stand der Inklusion in Deutschland. Mit fundierten Anmerkungen und Fragen machten sie deutlich:
In keinem andern Land der Welt ist die Segregation so tief verankert wie in Deutschland. Sowohl in der Gesetzgebung wie auch im alltäglichen Leben.
Historisch gewachsene Sonderstrukturen verhindern nach wie vor die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dies ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Die deutsche Politik betrachtet Menschen mit Behinderungen als besonders „verletzlich“ und „schutzbedürftig“. Diese Sicht auf Behinderung deckt sich nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Vielmehr birgt diese Sichtweise zusätzliche Gefahren für Menschen mit Behinderungen. Gerade in den zum „Schutz“ eingerichteten Sondersystemen sind Menschen mit Behinderungen verstärkt Zwang und Gewalt ausgesetzt.
Die Vize-Präsidentin des Uno-Fachausschusses, Amalia Gamio Rios aus Mexiko, mahnte: „Deutschland muss die UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur ein bisschen umsetzen, sondern umfassend.“ Dazu brauche es deutlich mehr Anstrengung von Bund und Ländern.
Uns Eltern draußen auf dem Platz vor den Vereinten Nationen besuchte Amalia Gamio Rios bereits am ersten Tag der Staatenprüfung.
Sichtlich aufgewühlt erklärte sie:
„Deutschland hat nichts begriffen.“
„Es ist unfassbar, dass ein so reiches Land so wenig tut.“
„Diese Prüfung wird nicht gut ausgehen.“
Für Mitte September werden die schriftlichen Abschluss-Ergebnisse der Staatenprüfung erwartet. Als Mutter erhoffe ich mir klare und konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung. Die werde ich dann als Richtschnur nutzen, wenn ich wieder einmal um die Menschenrechte meines Kindes mit Behinderung kämpfen muss.
Zum Schluss noch einige Reise-Bilder aus Genf:
Eine Antwort auf „„Diese Prüfung wird nicht gut ausgehen!““
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