Für unser großes Kind war immer klar: Gleich nach der Schule möchte es mit einer Ausbildung beginnen. Endlich arbeiten, endlich eigenes Geld verdienen.
Für unser großes Kind und mich war auch klar: Das mit einer Ausbildung wird nicht einfach werden. Denn unser Kind hat eine Fetale Alkoholspektrumstörung, bekannt als FASD. Wegen dieser Behinderung hat unser Kind keinen Schulabschluss und wird mehr Unterstützung bei der Ausbildung benötigen als andere Jugendliche.
Damit es trotzdem mit einer Ausbildung klappt, hat unser Kind bereits in seinen letzten zwei Schuljahren angefangen, nach einer Ausbildungsmöglichkeit zu suchen.
Ursprünglich wollte unser Kind im Bereich Veranstaltungstechnik arbeiten. Doch nach einem Praktikum in einer Firma für Veranstaltungstechnik hieß es im Abschlussgespräch: Die theoretischen und technischen Hürden in der Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik seien sehr hoch und mit der Lernbehinderung unseres Kindes wohl nicht zu schaffen.
Also hat sich unser Kind umorientiert.
Hat mit Ehrgeiz, Freude und Erfolg zahlreiche Praktika im Garten- und Landschaftsbau gemacht.
Hat rechtzeitig die Psychologischen Eignungsuntersuchung (PSU) bei der Agentur für Arbeit absolviert.
War zum Gespräch beim Fachberater in der inzwischen für unser Kind zuständigen Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit.
Hatte schließlich die Zusage des Berufsbildungswerks auf eine begleitete betriebliche Ausbildung zum Werker im Garten- und Landschaftsbau in der Tasche.
Unser Kind war ganz schön stolz auf sich. Und ich auf unser Kind.
Doch dann rief kurz vor Schulschluss und Sommerferien überraschend das Berufsbildungswerk an und erklärte: Die Lehrer an der Berufsschule glaubten nicht, dass unser Kind die theoriereduzierte Ausbildung zum Werker schaffe. Seine “Lernrückstände“ seien einfach zu groß.
Darum zog das Berufsbildungswerk seine Zusage auf eine begleitete Werker-Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau wieder zurück. Stattdessen solle unser Kind zunächst ein Ausbildungsvorbereitungsjahr machen und fleißig an seinen Mathekenntnissen arbeiten. Dann könne es sich im nächsten Jahr nochmals beim Berufsbildungswerk bewerben.
Unser Kind und ich verstanden die Welt nicht mehr.
Eigentlich ist die Ausbildung zum Werker als Alternative für behinderte Menschen gedacht, die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung keine übliche Ausbildung schaffen.
Und nun sollte das für unser Kind nicht möglich sein, weil die behinderungsbedingten „Lernrückstände“ zu groß seien?
Nur zwei Tage später rief die Firma für Veranstaltungstechnik an, bei der unser Kind Praktikum gemacht hatte. Sie bräuchten dringend Leute. Und würden unser Kind gerne als Aushilfe einstellen.
Unser Kind war selig: Doch noch arbeiten und Geld verdienen!
Und: Mit einer bezahlten Aushilfstätigkeit in der Hand wurde die Perspektive eines unbezahlten Ausbildungsvorbereitungsjahres für unser Kind endlich aushaltbar.
(Nur ich hatte etwas Stress und musste innerhalb weniger Wochen ein Ausbildungsvorbereitungsjahr organisieren.)
In gut drei Wochen soll es nun losgehen mit dem Ausbildungsvorbereitungsjahr. Eigentlich. Denn seit wenigen Tagen ist wieder alles anders:
Unser Kind hat ein Ausbildungsplatz-Angebot!
Bei der Firma für Veranstaltungstechnik, in der es jobbt!
Wie es jetzt weitergeht? Noch haben wir keinen Plan. Die Agentur für Arbeit ist angeschrieben. Ein Beratungstermin bei der zuständigen Handelskammer ist in Arbeit.
Ich halte Sie und euch weiter auf dem Laufenden!