In der dazu veröffentlichten Pressemitteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung heißt es zum Thema Inklusion:
„Hamburgs Inklusionsquote, also der Anteil der Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, der an Regelschulen unterrichtet wird, nimmt weiter stetig zu.“
Auch auf dem Instagram-Account der Schulbehörde wird die steigende Inklusionsquote als Erfolg der schulischen Inklusion in Hamburg präsentiert:
Inklusionsquoten allein liefern keine verlässlichen Aussagen über den Erfolg von Inklusion.
Sie sagen nur, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen zunimmt.
Ob damit verbunden die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen sinkt, sagen sie nicht.
In Hamburg gibt es nach wie vor ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem mit insgesamt 31 Sonderschulen.
Die Zahl der an Sonderschulen unterrichteten Kinder und Jugendlichen geht seit dem Schuljahr 2018/19 nicht mehr weiter zurück.
Im Gegenteil: Seit drei Jahren zeichnet sich sogar ein leichter Aufwärtstrend ab.
Auch der Anteil der Sonderschüler an der Gesamtzahl aller Schüler in Hamburg wird nicht weniger.
Seit dem Schuljahr 2022/23 liegt die Exklusionsquote fest bei 2,2 Prozent.
Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten.
Selbst der Hamburger Senat geht davon aus, dass die Exklusionsquote bis 2035 nicht weiter sinken wird.
Im Klartext heißt das:
Die Inklusion in Hamburgs Schulen schreitet nicht voran – sie hat sich festgefahren.
Und das bereits seit mehreren Jahren.
Wie passt das mit den von der Schulbehörde präsentierten Zahlen zusammen?
Die Schulbehörde suggeriert mit ihrer Interpretation der Inklusionsquote, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang gibt zwischen dem Zuwachs von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen und dem Rückgang an Sonderschulen.
Doch diesen Zusammenhang gibt es nicht.
Zwischen 2012 und 2024 ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf an Regelschulen um 3.496 gestiegen.
Gleichzeitig ist die Zahl aller Sonderschüler nur um 1.095 gesunken.
Tatsache ist:
Seit Einführung der schulischen Inklusion wird bei immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert.
Denn mehr Kinder mit bescheinigtem Förderbedarf bedeuten für Schulen in der Regel mehr Ressourcen.
Meist handelt es sich um einen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung, vielen bekannt unter der Abkürzung LSE.
Im Schuljahr 2014/15 hatten noch 5.732 Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich Lernen – Sprache – emotional-soziale Entwicklung.
Im laufenden Schuljahr 2024/25 sind es bereits 8.124.
In der gleichen Zeit ist die Zahl von Schülerinnen und Schülern mit speziellen Förderbedarfen an Regelschulen nur um 205 gestiegen.
Unter „speziellem Förderbedarf“ werden in Hamburg die sonderpädagogischen Förderbereiche körperlich-motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sehen, Hören und Autismus zusammengefasst.
Hier sind Kinder und Jugendliche verortet, die im klassischen Sinn als „behindert“ gelten.
Und die damit eigentlich die Haupt-Zielgruppe von Inklusion sein sollten.
Doch diese Schülerinnen und Schüler nehmen nach wie vor kaum teil an inklusiver Bildung.
Die meisten von ihnen werden exklusiv an Sonderschulen unterrichtet.
In diesem Schuljahr sind es 2.620 junge Menschen, denen die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung so verwehrt bleibt.
Zu Beginn der schulischen Inklusion in Hamburg (2012/13) waren es übrigens erst 1.986.
Die aktuellen Zahlen für das Schuljahr 2024/25 zeigen erneut, dass Hamburg immer noch weit entfernt ist von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert.
Nämlich EINEM Schulsystem für alle, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen.
Daran ändert auch nichts, dass Senat und Schulbehörde weiterhin vom Erfolg der schulischen Inklusion überzeugt zu sein scheinen.
Noch ein paar Gedanken zum Schluss:
Inklusion auf Erfolgskurs zu sehen, weil immer mehr Schülerinnen und Schüler an Regelschulen einen sonderpädagogischer Förderbedarf haben – diese Sicht greift nicht nur zu kurz.
Sie blendet auch entscheidendes aus.
Dazu zählt die Frage, warum immer mehr Schülerinnen und Schülern an Regelschulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf bescheinigt wird.
Geht es ausschließlich um mehr Ressourcen?
Oder gibt es tatsächlich immer mehr Kinder und Jugendliche, die mit dem jetzigen System von Schule nicht mehr Schritt halten können?
Seit einiger Zeit verlassen immer mehr Schülerinnen und Schüler die Grundschulen, ohne ausreichend lesen, schreiben und/oder rechnen zu können.
Im Sommer 2024 beendeten 1.110 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne einen Abschluss.
Das sind 6,3 Prozent aller Schulentlassenen.
Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen hatte einen sonderpädagogischen Förderbedarf.
Es wird dringend Zeit, Schule neu zu denken und zu gestalten.
Es geht um die Bundestagswahl im Februar und um die Bürgerschaftswahl Anfang März.
Was die Bürgerschaftswahl angeht, hat sich die Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW Hamburg) vor kurzem klar positioniert.
In einer Liste von Leitlinien stellt sie ihre bildungspolitischen Forderungen an die Hamburger Parteien vor.
Das erschreckende daran:
Die GEW Hamburg ignoriert das Menschenrecht auf inklusive Bildung!
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention haben sich Bund und Länder dazu verpflichtet, Bildung und Schule in Deutschland inklusiv zu gestalten.
Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und das deutsche Institut für Menschenrechte haben mehr als einmal klargestellt:
Sonderschulen sind nicht vereinbar mit dem Menschenrecht auf inklusive Bildung und müssen abgeschafft werden.
Trotzdem fordert die GEW Hamburg, Sonderschulen als „wertvolle und gleichwertige Bestandteile des Schulsystems“ nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken.
Es verstößt gegen das Menschenrecht auf inklusive Bildung.
Und ist unvereinbar mit unserem Grundgesetz.
Das Grundgesetz sagt:
Kein Mensch darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.
Durch den Besuch einer Sonderschule werden Kinder und Jugendliche mit Behinderungen strukturell benachteiligt.
Das ist wissenschaftlich belegt.
Die meisten jungen Menschen, die in Sonderschulen beschult werden, verlassen die Schule ohne einen Abschluss und beginnen eine Ausbildung in einer Sondereinrichtung.
Zum Beispiel in einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Hier verdienen sie deutlich weniger Geld.
Im Anschluss haben sie kaum Chancen auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die meisten von ihnen bleiben ein Leben lang „aussortiert“.
Auch in Hamburg verlässt der Großteil aller Schülerinnen und Schüler die Sonderschulen ohne einen Abschluss.
Generell ist an den meisten Hamburger Sonderschulen entweder gar kein oder nur ein erster allgemeinbildender Schulabschluss möglich.
Das Abitur ist an Sonderschulen grundsätzlich nicht möglich.
Quelle: Das Schuljahr 2023/24 in Zahlen, Hamburg 2024.
Doch zurück zu den bildungspolitischen Leitlinien der GEW Hamburg.
Neben der Stärkung der Sonderschulen fordert die GEW Hamburg in ihren Leitlinien auch eine „inklusive“ Schule als „Eine Schule für alle“.
Allerdings soll diese „Schule für alle“ ausschließlich die unterschiedlich begabten Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschulen und Gymnasien zusammenführen.
Schülerinnen und Schüler der Sonderschulen bleiben außen vor.
Dieses Bündnis war 2016 angetreten mit der Forderung nach einer Schule für alle, in der Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet werden.
Ein Jahr später beschloss die große Mehrheit aller Delegierten des 28. Gewerkschaftstag der GEW in Freiburg:
„Das Parallelsystem von Förder-/Sonderschulen und allgemeinen Schulen ist schrittweise aufzuheben. Der Transformationsprozess in eine inklusive Schule ist in den Schulgesetzen aller Bundesländer zu verankern.“
Acht Jahre später scheint das die GEW Hamburg nur noch wenig zu interessieren.
Wie kann es sein, dass die GEW Hamburg im Jahr 2025 Heterogenität und Vielfalt als große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit bezeichnet?
Und gleichzeitig Schülerinnen und Schüler „mit besonderem und umfassendem Förderbedarf“ von dieser Bildungsgerechtigkeit ausschließt?
Jeder junge Mensch hat besondere Fähigkeiten und Talente, von denen alle profitieren können.
Wann wandeln sich „unterschiedliche Begabungen und Talente“ in einen „umfassenden Förderbedarf“?
Wer entscheidet darüber, ob ein Kind inklusiv beschult wird oder die Sonderschule besucht?
In Hamburg ist man stolz auf das Elternwahlrecht, an dem Senat und Schulbehörde nach wie vor festhalten.
Allerdings ist das Menschenrecht auf Bildung kein Recht der Eltern, sondern ein Recht des Kindes!
Der Staat steht in der Verantwortung, jedem Kind den gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu ermöglichen.
Pflege und Erziehung von Kindern ist das natürliche Recht der Eltern.
Aufgabe des Staates ist es, Kindern alle Lebensbedingungen zu sichern, die für ein gesundes Aufwachsen und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit erforderlich sind.
Dazu zählt auch der gleichberechtigte Zugang zu Bildung.
Darum gibt es in Deutschland die allgemeine Schulpflicht.
Interessant ist auch, dass es gerade die GEW Hamburg ist, die bildungspolitisch die Rolle rückwärts vollzieht und eine Stärkung von Sonderschulen fordert.
Nach wie vor gilt Hamburg als Vorbild für eine gelingende schulische Inklusion.
Blickt man allerdings etwas genauer hin, stellt man schnell fest:
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Die meisten Kinder und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen werden hier unterrichtet.
Eine Änderung daran ist nicht in Sicht.
Und scheint nun auch von Seiten der Gewerkschaft GEW Hamburg nicht mehr länger gewollt.
Das ist für mich ein Armutszeugnis im Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte.
Zwei Jahre lang haben Erziehungswissenschaftler der Universität Oldenburg zur Schulbegleitung in Hamburg geforscht.
Ihr Abschlussbericht ermöglicht erstmals umfassende Einblicke in die formalen Strukturen und die tatsächliche Umsetzung von Schulbegleitung in unserer Stadt.
Doch was genau haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich herausgefunden?
1. Die rechtlichen Regelungen in Hamburg sehen Schulbegleitung als nachrangige Leistung der Eingliederungshilfe – nicht als Bildungsangebot.
Hamburgs Schulen haben den Auftrag, die Teilhabe an Bildung und Erziehung für alle Schülerinnen und Schüler sicherzustellen.
Und zwar durch ein individualisiertes Bildungsangebot verbunden mit entsprechenden Maßnahmen.
Reichen die schulischen Angebote und Maßnahmen im Einzelfall nicht aus, kann eine Schulbegleitung beantragt werden.
In Behördensprache heißt das: Die Schulbegleitung ist immer nachrangig.
Eine Schulbegleitung soll es dem einzelnen Schüler ermöglichen, gleichberechtigt am schulischen Alltag und Unterricht teilzunehmen.
Schulbegleitung ist also in erster Linie ein Mittel zur Teilhabe – kein Bildungsangebot.
Das wird oft missverstanden.
Eigentlich ist Schulbegleitung eine personengebundene Leistung der Eingliederungshilfe.
Nämlich im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe an Bildung.
Allerdings hat die Stadt Hamburg die Zuständigkeit für diese Leistung an die Behörde für Schule und Bildung übertragen.
2. Es gibt in Hamburg zwei unterschiedliche Verfahren zur Beantragung und Bewilligung von Schulbegleitung.
Was Schulbegleitung angeht, unterscheidet Hamburg zwischen Schülerinnen und Schülern mit komplexen psychosozialen Beeinträchtigungen.
Und Schülerinnen und Schülern mit erheblichem oder umfassendem Unterstützungsbedarf in der geistigen und/oder körperlich-motorischen Entwicklung.
In die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit einer komplexen psychosozialen Beeinträchtigung fallen alle jungen Menschen, die einen sonderpädagogischen Förderschwerpunkt in der emotional-sozialen Entwicklung haben. Viele von ihnen haben zusätzlich den Förderschwerpunkt Lernen.
In die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit erheblichem oder umfassendem Unterstützungsbedarf aufgrund einer Behinderung fallen junge Menschen mit einem Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung und/oder geistige Entwicklung,
Bei Schülerinnen und Schülern mit einer komplexen psychosozialen Beeinträchtigung erfolgt die Beantragung und Bewilligung der Schulbegleitung über die Schulen und die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ).
Bei Schülerinnen und Schülern mit einem Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung und/oder geistige Entwicklung ist die Fachabteilung der Behörde für Schule und Bildung zuständig.
Beide Antrags- und Bewilligungsverfahren werden von vielen Eltern und Lehrkräften als zu aufwendig und wenig transparent beschrieben.
Oft können getroffene Entscheidungen nicht nachvollzogen werden.
3. Die Zahl der Schulbegleitungen ist seit Einführung der schulischen Inklusion in Hamburg enorm gestiegen.
Im Schuljahr 2011/12 wurden in Hamburg rund 460 Schulbegleitungen bewilligt.
Im Schuljahr 2016/17 waren es bereits 1.874 Schulbegleitungen.
Im Schuljahr 2022/23 hatten 2.520 Schülerinnen und Schüler eine Schulbegleitung.
Im Schuljahr 2023/2024 stieg die Zahl der Schulbegleitungen auf 2.608.
Die Zahl der Schulbegleitungen in Hamburg hat sich innerhalb der letzten 12 Jahre also mehr als verfünffacht.
Noch bis 2022 hatten Schüler mit psychosozialen Beeinträchtigungen deutlich häufiger eine Schulbegleitung als Schüler mit Behinderungen.
Inzwischen ist die Zahl der Schulbegleitungen bei beiden Gruppen gleich hoch.
4. Schulbegleitungen werden in Hamburg hauptsächlich im laufenden Unterricht eingesetzt.
Bei der überwiegenden Mehrheit aller Kinder und Jugendlichen mit Schulbegleitung erfolgt die Unterstützung im laufenden Unterricht.
Bei Klassenfahrten und außerschulischen Maßnahmen (wie zum Beispiel Schwimmunterricht, Betriebspraktikum oder Ferienbetreuung) kommen Schulbegleitungen nur in Ausnahmefällen zum Einsatz.
Das gleiche gilt für die Ganztagsbetreuung und den Schulweg.
5. Eine Schulbegleitung dauert in der Regel zwei Jahre.
Die Dauer einer Schulbegleitung beträgt in Hamburg meist zwei Jahre.
Nur in absoluten Ausnahmefällen erstreckt sich eine Schulbegleitung über die gesamte Schulzeit eines Schülers.
Was den Umfang einer Schulbegleitung und die Gültigkeitsdauer des Bewilligungsbescheides angeht, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Schülern mit einer komplexen psychosozialen Beeinträchtigung und Schülern mit Behinderung.
Einem Schüler mit einer komplexen psychosozialen Beeinträchtigung werden in der Regel 10 Stunden Schulbegleitung pro Woche bewilligt.
Meistens ist die Bewilligung zeitlich befristet. Und zwar auf 3 bis 6 Monate. Allerdings wird sie in der Regel mehrfach verlängert.
Ein Schüler mit Behinderung dagegen erhält im Durchschnitt 20 Stunden Schulbegleitung pro Woche.
Außerdem wird hier die Schulbegleitung jeweils für ein ganzes Schuljahr bewilligt. Eine Verlängerung über ein weiteres Schuljahr ist üblich.
6. Schulbegleitungen finden sowohl in Regelschulen wie auch in Sonderschulen statt.
Obwohl Hamburg gerne die inklusive Zielsetzung von Schulbegleitung betont, bedeutet der Erhalt einer Schulbegleitung nicht automatisch, dass ein Schüler inklusiv beschult wird.
Jede dritte Schulbegleitung in Hamburg findet an einer Sonderschule statt.
Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den zwei ermittelten Schülergruppen.
Schulbegleitungen für Schülerinnen und Schüler mit komplexen psychosozialen Beeinträchtigungen finden überwiegend an Grundschulen und Stadtteilschulen statt.
Hier unterstützt die Schulbegleitung also tatsächlich bei der inklusiven Beschulung.
Mehr als die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen, die Schulbegleitung erhalten, besucht eine Sonderschule.
Nur jede vierte Schulbegleitung findet an einer Grundschule statt, nur jede fünfte an einer Stadtteilschule.
Schulbegleitungen bei jungen Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen unterstützten also vor allem das Sondersystem und nicht die Inklusion.
An Gymnasien findet Schulbegleitung so gut wie nicht statt.
7. In Hamburg arbeiten sowohl junge Menschen in Freiwilligendiensten wie auch ausgebildete Fachkräfte als Schulbegleitung.
Bei der Bestellung einer Schulbegleitung unterscheidet Hamburg zwischen vier verschiedenen Anforderungsstufen.
Nämlich:
jungen Menschen in Freiwilligendiensten,
sozial erfahrenem Personal,
pädagogisch, pflegerisch oder therapeutisch ausgebildetem Personal und
sozialpädagogisch ausgebildetem Personal.
Innerhalb der einzelnen Anforderungsstufen fehlt es an verbindlichen Vorgaben, welche konkreten Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen angehende Schulbegleitungen mitbringen sollten.
Ganz besonders gilt das für das Anforderungskriterium „sozial erfahren“, bei dem sich quasi so gut wie alles unterbringen lässt.
Bei den meisten Schülerinnen und Schülern mit komplexen psychosozialen Beeinträchtigungenkommen „sozial erfahrene“ Schulbegleitungen zum Einsatz.
Gut jeder vierte Schüler mit einer komplexen psychosozialen Beeinträchtigung hat eine pädagogisch, pflegerisch oder therapeutisch ausgebildete Schulbegleitung. Meist sind das Erzieherinnen und Erzieher.
Nur selten werden Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen als Schulbegleitung eingesetzt, noch seltener junge Menschen in Freiwilligendiensten.
Ganz anders sieht es bei Schülerinnen und Schülern mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung aus.
Hier kommen überwiegend junge Menschen in Freiwilligendiensten zum Einsatz.
Bei nur jedem vierten Schüler mit Behinderung gilt die Schulbegleitung als sozial erfahrene Kraft.
Schulbegleitungen mit einer pädagogischen, pflegerischen, therapeutischen oder gar sozialpädagogischen Ausbildung bleiben bei Schülerinnen und Schülern mit Behinderung die Ausnahme.
8. Hamburgs Schulbegleitungen sind nicht bei einer Schule angestellt, sondern bei externen Leistungsanbietern.
Benötigt ein Schüler eine Schulbegleitung, meldet seine Schule den Bedarf bei einem externen Leistungsanbieter an.
Der Leistungsanbieter sucht eine für den Schüler geeignete und ausreichend qualifizierte Schulbegleitung und stellt sie der Schule zur Verfügung.
Angestellt bleibt die Schulbegleitung beim Leistungsanbieter.
Der Arbeitsvertrag einer Schulbegleitung ist meist auf wenige Monate bis maximal ein Schuljahr befristet.
Geht ein Schüler wegen Krankheit oder Ferien nicht zur Schule, erhält die Schulbegleitung oftmals kein Geld.
Diese Rahmenbedingungen machen die Arbeit als Schulbegleitung wenig attraktiv.
Im Schuljahr 2018/2019 gab es in Hamburg 88 verschiedene Leistungsanbieter für Schulbegleitungen.
Etwas mehr als die Hälfte von ihnen bot ausschließlich Schulbegleitungen für Kinder und Jugendliche mit komplexen psychosozialen Beeinträchtigungen an.
9. Die Hamburger Schulbehörde führt eine umfangreiche Datenbank zur Schulbegleitung.
Seit dem Schuljahr 2016/2017 werden in Hamburg alle Anträge auf Schulbegleitung in einer Datenbank erfasst.
Diese Datenbank enthält Angaben:
über das für die beantragte Schulbegleitung zuständige Regionale Bildungs- und Beratungszentrum (einschließlich Bezirk),
über das Geschlecht, die Schulform, die Schule und die Klassenstufe der Schüler, für die Schulbegleitung beantragt wird,
über den vorrangigen sonderpädagogischen Förderbedarf und den weiteren sonderpädagogischen Förderbedarf der Schüler,
über das Schuljahr und das Anfragedatum,
über die rechtlichen Grundlagen der Schulbegleitung,
darüber, ob der Antrag auf Schulbegleitung bewilligt oder abgelehnt wurde,
über den Stundenumfang, die Förderdauer und das Kostensatzniveau der bewilligten Schulbegleitung.
über den Leistungsanbieter der Schulbegleitung sowie
über die Qualifizierung und Qualifikation der Schulbegleitung.
Mit dieser Datenbank verfügt Hamburg – anders als die meisten Bundesländer – über eine gute Datenbasis und Berichterstattung zur Schulbegleitung.
10. Schulbegleitungen sind meistens weiblich und ansonsten sehr verschieden.
Die Gruppe der Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter in Hamburg ist äußerst heterogen.
Die Altersspanne bei Schulbegleitungen beginnt mit der Volljährigkeit und reicht bis ins Rentenalter.
Es gibt Schulbegleitungen mit Abitur und Hochschulabschluss.
Und Schulbegleitungen ohne Ausbildung.
Ein Teil der Schulbegleiter ist pädagogisch ausgebildet.
Andere haben zuvor noch nie im pädagogischen Bereich gearbeitet.
Nur eins haben Hamburgs Schulbegleitungen gemeinsam: Sie sind meistens weiblich.
11. Vieles in Sachen Schulbegleitung ist in Hamburg nicht ausreichend geklärt.
Die Studie der Universität Oldenburg hat deutlich gemacht: Vieles in Sachen Schulbegleitung ist in Hamburg nicht ausreichend geklärt.
Das betrifft vor allem
die Auswahl und Qualifikation von Schulbegleitungen,
die Einarbeitung und Weiterbildung von Schulbegleitungen,
das Vertretungssystem für Schulbegleitungen,
die Aufgaben und Tätigkeitsfelder von Schulbegleitung,
die Ziele und Zielgruppen von Schulbegleitung sowie
die Rolle und Stellung von Schulbegleitung im Gesamtsystem Schule.
Durch diese Unklarheiten haben sich sehr unterschiedliche Erwartungshaltungen an Schulbegleitung entwickelt, die im schulischen Alltag zu oft nicht erfüllt werden.
Das führt zu einer großen Unzufriedenheit. Und zwar auf allen Seiten.
Viele Lehrerinnen und Lehrer empfinden Schulbegleitung inzwischen als Belastung. Sie wünschen sich eine deutlich bessere Vorbereitung und Fachlichkeit bei Schulbegleitern.
Viele Eltern sind enttäuscht bis verärgert, weil sie ihre Kinder nicht ausreichend unterstützt und gefördert sehen. Sie hatten gehofft, durch eine Schulbegleitung nähmen ihre Kinder endlich an Bildung teil.
Viele Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter fühlen sich überfordert und zu wenig wertgeschätzt. Ihnen fehlt eine längerfristige Perspektive. Viele von ihnen geben schnell wieder auf.
Zu viele Schülerinnen und Schüler nehmen nach wie vor nur eingeschränkt bis gar nicht am Unterricht teil, wenn ihre Schulbegleitung fehlt.
Die große Unzufriedenheit über Schulbegleitung führt inzwischen sogar dazu, dass manche die schulische Inklusion in Hamburg insgesamt in Frage stellen oder gar für gescheitert erklären.
Genau das bringt uns zum Kern des eigentlichen Problems.
Schulbegleitung allein macht noch keine Inklusion.
Schulbegleitung ist „nur“ das Hilfsmittel, damit ein Schüler mit Beeinträchtigung gleichberechtigt am Unterricht teilnehmen kann.
Wenn eine Schule ein gutes, individualisiertes Unterrichtsangebot hat, kann eine Schulbegleitung auch gut unterstützen.
Der Hamburger Senat betont oft und gerne, wie erfolgreich die schulische Inklusion in der Hansestadt sei.
Rhetorisch mag das vielleicht überzeugen. Wissenschaftlich belegt ist es nicht.
Leider versäumt es die Evaluation der Universität Oldenburg, neben der Schulbegleitung auch die inklusive Schulentwicklung in Hamburg genauer zu untersuchen.
Ja, es gibt in Hamburg inklusive Schulen, die sehr erfolgreich sind.
Am 6. September tagte der Hamburger Schulausschuss.
In einer öffentlichen Sitzung im Rathaus ging es um den Stand der Inklusion in Hamburgs Schulen.
Sechs Experten waren geladen.
Aus den Bereichen Schule, Wissenschaft, Sonderpädagogik, Zivilgesellschaft und Elternvertretung.
So sollte eine fachlich fundierte und differenzierte Diskussion ermöglicht werden.
Tatsächlich ging es in der gesamten Sitzung sehr fachlich zu.
Viele wichtige Aspekte wurden behandelt.
Und es gab viele kluge Fragen und Antworten.
Hamburg wurde gelobt für sein klares Bekenntnis zur Inklusion.
Und für die Fortschritte, die die Stadt im Bereich der schulischen Inklusion bereits erzielt habe.
Hamburg wurde aber auch aufgefordert, in Sachen Inklusion nicht stehen zu bleiben.
Denn trotz der vielen Ressourcen, die Hamburg in den letzten Jahren in den inklusiven Umbau seines Schulsystems investiert hat, arbeiten noch längst nicht alle Schulen inklusiv.
Eins allerdings wurde in der gesamten Debatte außer acht gelassen.
Nämlich die Frage:
Was bedeutet eigentlich Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention?
Und was genau heißt das für Schulen?
Beider Staatenprüfung vor einem Jahr in Genf hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehr deutlich erklärt:
Deutschland hält nach wie vor an seinen Sondersystemen für Menschen mit Behinderungen fest.
Damit verstößt Deutschland gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Auch Hamburg hat nach wie vor ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen (einschließlich der Bildungsabteilungen an den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren) und 5 privaten Sonderschulen.
Dass dieses Sondersystem nicht vereinbar ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention, dazu gab es in der gesamten Sitzung kein einziges Wort.
Weder von den geladenen Experten noch von den Mitgliedern des Schulausschusses.
Im Gegenteil:
Einige Experten lobten ausdrücklich „Hamburgs großartiges Elternwahlrecht“.
Dabei haben das Deutsche Institut für Menschenrechte und die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention in Berlin längst klar gemacht:
Ein Elternwahlrecht ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Wenn, dann dürfte es höchstens ein Schülerwahlrecht geben.
Und das auch nur, wenn Schülerinnen und Schüler tatsächlich eine echte Wahlfreiheit haben.
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention wurde auch die Sicht auf Behinderung neu definiert.
Nicht mehr ein Mensch an sich ist behindert.
Sondern ein Mensch wird behindert.
Und zwar durch das Wechselspiel von individuellen Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.
Diese menschenrechtliche Sicht auf Behinderung wurde in der gesamten Ausschuss-Sitzung viel zu selten berücksichtigt.
Dabei hat sie entscheidende Konsequenzen für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Es geht nämlich nicht mehr länger darum, welche Beeinträchtigungen und Defizite ein Kind hat.
Sondern es geht um die Frage:
Was braucht ein Kind, um bestmöglich an Bildung teilhaben zu können?
Diese Frage muss für jedes Kind gestellt werden. Und zwar unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder eben einer Behinderung.
Denn:
Inklusion unterscheidet nicht mehr nach Kategorien und Gruppen. Inklusion bezieht alle mit ein.
In der Diskussion im Schulausschuss ging es ausschließlich um Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen.
Entweder im Bereich Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung.
Oder im Bereich kognitive und körperlich-motorische Beeinträchtigungen.
Es ging um Diagnostik und um die Zuordnung zu sonderpädagogischen Förderschwerpunkten, die über Art und Umfang der Förderung entscheiden.
Solch ein Ansatz, der zwischen behindert und nicht-behindert unterscheidet, widerspricht den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention.
Ein weiterer zentraler Aspekt fehlte in der gesamten Diskussion:
Inklusion ist keine Frage des Wollens.
Inklusion ist ein Menschenrecht.
Damit steht Inklusion über der Selbstbestimmung von Schulen.
Im Klartext heißt das:
Nicht die einzelne Schule entscheidet darüber, ob sie Inklusion möchte oder nicht.
Jede Schule ist zur Inklusion verpflichtet.
Ein klares Bekenntnis zur Inklusion bedeutet, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umzusetzen.
Dazu gehört auch der Abbau schulischer Sondersysteme.
Diesen Schritt scheint Hamburg nach wie vor nicht gehen zu wollen.
Nun ist sie endlich öffentlich: die Evaluation der Hamburger Schulbegleitung!
Ihr erinnert euch?
Vor drei Jahren erhielt die Universität Oldenburg vom Hamburger Senat den Auftrag, Schulbegleitungen in Hamburg zu untersuchen.
Und zwar verbunden mit den Fragen:
Wie sieht die Gruppe der Schülerinnen und Schüler aus, die in Hamburg Schulbegleitung erhält?
Wie sieht die Gruppe der Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter aus?
Wie sehen die formalen Merkmale der Schulbegleitungen aus?
Welche Erwartungen werden an Schulbegleitungen gestellt? Wie werden sie wahrgenommen?
Welche Stärken und Schwächen hat das gegenwärtige Verfahren der Schulbegleitungen?
Wie lassen sich Schulbegleitungen in Hamburg verbessern?
Zwei Jahre lang (von Anfang 2022 bis Ende 2023) haben Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler der Universität Oldenburg zu diesen Fragen geforscht.
Im Juni 2024 haben sie dem Senat ihren fertigen Abschlussbericht vorgelegt.
Danach sah es zunächst so aus, als würde der Bericht für längere Zeit in nicht-öffentlichen Fächern der Schulbehörde verschwinden.
Zur internen Auswertung – so hieß es vom Senat.
Im Juli hat sich der Senat dann doch dazu entschieden, den fertigen Abschlussbericht im Transparenzportal der Stadt Hamburg zu veröffentlichen.
Inzwischen hat sich die Ombudsstelle als feste Größe für die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen in unserer Stadt etabliert.
Jährlich nutzen mehrere hundert Menschen die Ombudsstelle als Anlaufstelle für Fragen und Beschwerden rund um das Thema Eingliederungshilfe.
Doch was macht die Ombudsstelle Eingliederungshilfe eigentlich genau?
Auch Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an der Welt, in der wir leben.
Damit Teilhabe gut gelingen kann, gibt es inzwischen ein eigenes Gesetz dazu.
Nämlich das Bundesteilhabegesetz.
Das Bundesteilhabegesetz zeigt auf, wie Teilhabe aussieht und welche besonderen Leistungen es gibt, um Menschen mit Behinderungen bei einem möglichst selbstbestimmten Leben zu unterstützen.
Diese Leistungen werden als Leistungen zur Teilhabe oder auch als Eingliederungshilfe bezeichnet.
Noch läuft in Hamburg nicht alles rund bei der Umsetzung von Teilhabe-Leistungen.
Es gibt viele Probleme mit Behörden und Ämtern.
Menschen mit Behinderungen warten zu lange auf Leistungen, die ihnen zustehen.
Oder sie erhalten nicht die Leistungen, die sie brauchen.
Weil es an ausreichend Assistenz oder Angeboten fehlt.
Das frustriert und verärgert.
Bei der Ombudsstelle finden Betroffene, Angehörige und auch rechtliche Betreuer ein offenes Ohr.
Hier können sie ihren Ärger und ihre Beschwerden einbringen.
Die Ombudsstelle Eingliederungshilfe hört nicht nur zu.
Die Ombudsstelle hilft auch bei konkreten Problemen mit Leistungsträgern und Leistungsanbietern.
Damit Menschen mit Behinderungen möglichst schnell die Leistungen erhalten, die ihnen zustehen.
Träger der Leistungen zur Teilhabe können sein:
die gesetzlichen Krankenkassen,
die Bundesagentur für Arbeit,
die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und der Alterssicherung der Landwirte,
die Träger der Sozialen Entschädigung (ehemals Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge),
die Träger der öffentlichen Jugendhilfe und
die Träger der Eingliederungshilfe.
Diese sieben Leistungsträger werden auch als Rehabilitationsträger bezeichnet.
Die Leistungsträger überprüfen den Leistungsanspruch und stellen anschließend das Geld für eine Leistung zur Verfügung.
Die Leistungsanbieter sind für die Erbringung der Leistungen zuständig.
Fachleute sprechen von einem Sozialleistungs-Dreieck, bestehend aus Träger, Erbringer und Berechtigtem.
Das Sozialleistungsdreieck (Grafik: Sina Gebhardt, 2017)
In diesem Dreieck unterstützt und stärkt die Ombudsstelle die Rechte und Interessen der Leistungsberechtigten.
Denn auch wenn das Sozialleistungs-Dreieck im Bild ganz einfach aussieht, ist es in der Praxis mehr als kompliziert.
Ärger und Frust haben Auswirkungen auf die Kommunikation .
Dinge werden missverstanden.
Die Fronten verhärten sich.
Manchmal kommt es zum offenen Streit.
Oder man redet nicht mehr miteinander.
Auch in solchen Fällen unterstützt die Ombudsstelle.
Sie fördert Gespräche und vermittelt bei Streit – um gute Lösungen für Menschen mit Behinderungen zu finden.
Jedes Jahr schreibt die Ombudsstelle einen ausführlichen Bericht.
Dieser Bericht richtet sich vor allem an Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung.
Und natürlich an die Leistungsträger und die Leistungsanbieter.
Der Bericht soll zeigen:
Was läuft in Hamburg noch nicht rund in Sachen Eingliederungshilfe und Teilhabe?
Wo sollte sich etwas ändern?
Was könnte verbessert werden?
Aber auch:
Wo in Hamburg gelingt bereits erfolgreich Teilhabe für Menschen mit Behinderungen?
Gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an Arbeit?
Davon sind zu viele Menschen mit Behinderungen in Hamburg immer noch weit entfernt.
Bei der letzten deutschen Staatenprüfung im August 2023 in Genf hat der UN-Fachausschuss erneut scharf kritisiert, dass Menschen mit Behinderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach wie vor benachteiligt werden.
Gleichzeitig forderte der UN-Fachausschuss:
Die in Deutschland immer noch vorherrschenden Sonderstrukturen müssen endlich abgebaut und der Arbeitsmarkt für alle offen und barrierefrei gestaltet werden.
1. Hamburg will Werkstätten für behinderte Menschen weiterentwickeln und stärken.
Es ist kaum zu glauben:
Die meisten der im Landesaktionsplan vorgestellten Maßnahmen zum Handlungsfeld „Arbeit und Beschäftigung“ konzentrieren sich tatsächlich auf die Weiterentwicklung und Stärkung von Werkstätten für behinderte Menschen.
Wie beim Thema Bildung setzt Hamburg also auch beim Thema Arbeit darauf, das Sondersystem umzugestalten und zu „verbessern“.
Anstatt den regulären Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten.
Konkret plant Hamburg folgendes:
Digitalisierung und Kommunikationsmöglichkeiten im Arbeitsbereich der Werkstätten sollen verbessert werden.
Das Mobilitätstraining in Werkstätten soll ausgeweitet werden.
Beschäftigungsangebote und Teilhabe-Ziele der Werkstatt-Beschäftigten sollen besser aufeinander abgestimmt werden.
Es soll feste Quoten geben für Außenarbeitsplätze. Und eine Mindestzahl für Übergänge aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sollen Werkstätten und Inklusionsbetriebe deutlich bevorzugt werden.
Diese Maßnahmen entsprechen nicht den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention!
Um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, muss der gesamte Ausbildungs- und Arbeitssektor in Deutschland umgebaut und inklusiv gestaltet werden.
Segregierende Sonderstrukturen sind und bleiben konventionswidrig.
2. Hamburg will das Budget für Arbeit weiterentwickeln und ausbauen.
Neben der Stärkung von Werkstätten will Hamburg das Budget für Arbeit weiterentwickeln und ausbauen.
Das Budget für Arbeit ist für behinderte Menschen mit einer sogenannten Werkstattberechtigung bestimmt, die nicht oder nicht mehr länger in einer Werkstatt arbeiten wollen.
Eigentlich ist es Aufgabe der Werkstätten, ihre Beschäftigten zu qualifizieren und langfristig auf den regulären Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Allerdings haben es die Werkstätten bis heute nicht geschafft, diesem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden.
Die Vermittlungsquote der Werkstätten liegt nach wie vor bei deutlich unter 1 Prozent.
Das Budget für Arbeit soll Menschen in Werkstätten einen neuen Weg öffnen, um es auf den regulären Arbeitsmarkt zu schaffen.
Und zwar zusätzlich zu dem bislang nicht wirklich erfolgreichen Weg über die Werkstätten.
Interessant ist nun, was Hamburg mit dem Budget für Arbeit vorhat:
Es soll möglich werden, das Budget für Arbeit bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag auch unbefristet zu bewilligen.
Werkstätten und weitere Leistungserbringer der Eingliederungshilfe sollen als Begleitdienste im Budget für Arbeit zugelassen werden.
Die zwei Hamburger Werkstätten für behinderte Menschen (Elbe-Werkstätten GmbH und alsterarbeit gGmbH) sollen das Budget für Arbeit bei Arbeitgebern bekannter machen.
In einem Modellprojekt sollen zwei ausgelagerte Arbeitsgruppen der Elbe-Werkstätten in reguläre Arbeitsverhältnisse überführt werden. Außerdem soll mit beiden Werkstätten vereinbart werden, wie viele Werkstatt-Beschäftigte in ein Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden müssen.
Die Sozialbehörde plant eine Öffentlichkeitskampagne zum inklusiven Arbeitsmarkt.
Die Stadt Hamburg als öffentlicher Arbeitgeber will im Rahmen des Budgets für Arbeit mehr Arbeitsplätze für behinderte Menschen einrichten.
Die letzten beiden Punkte sollen vermutlich ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Werkstätten umgesetzt werden.
Hamburg dreht damit in seinen Plänen einen entscheidenden Teil des Budgets für Arbeit einfach um.
Anstatt neue Alternativen zu den Werkstätten zu fördern und zu stärken, soll das Budget für Arbeit eng an die Werkstätten geknüpft werden.
Die Werkstätten sollen dafür zuständig werden, das Budget für Arbeit zu bewerben und umzusetzen.
Werkstatt-Beschäftigte, die auf den regulären Arbeitsmarkt vermittelt werden, sollen im Unterstützungssystem der Werkstätten eingebunden bleiben.
So werden die alten Sonderstrukturen erhalten und für die Zukunft gesichert.
Das widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
3. Behinderung wird weiterhin als Einschränkung gesehen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention macht deutlich:
Ein Mensch ist nicht behindert. Er wird behindert.
Diese Aussage kennzeichnet ein neues Verständnis von Behinderung.
Behinderung wird nicht mehr als Defizit eines Menschen betrachtet.
Behinderung entsteht, wenn ein Mensch durch das Zusammenwirken von persönlichen Merkmalen und gesellschaftlichen Barrieren von gleichberechtigter Teilhabe ausgeschlossen wird.
Die im Hamburger Landesaktionsplan 2023 vorgestellten Maßnahmen im Handlungsfeld „Arbeit und Beschäftigung“ dagegen gehen weiterhin davon aus, dass Menschen mit Behinderungen per se eingeschränkt sind.
Und damit nicht so gut funktionieren wie Menschen ohne Behinderungen.
Zwar wird betont, dass Menschen mit Behinderungen durchaus Kompetenzen haben können.
Trotzdem wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie in ihrer Leistungsfähigkeit nicht mit Menschen ohne Behinderung mithalten können.
Daraus wird gefolgert:
Menschen mit Behinderungen brauchen einfache Aufgaben und Arbeitsabläufe.
Menschen mit Behinderungen brauchen dauerhafte Unterstützung.
Und: Ihre Arbeit muss auf Dauer subventioniert werden.
Hier wird an ein altes, immer noch tief verwurzeltes medizinisch geprägtes Bild von Behinderung angeknüpft.
Diese Sicht auf Behinderung entspricht nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
4. Mein Fazit: Entscheidendes fehlt!
Der Hamburger Landesaktionsplan 2023 zeigt:
Hamburg hält am Sondersystem der Werkstätten fest und erklärt die Umsetzung des Budgets für Arbeit zum Ziel seiner inklusiven Arbeitsmarktpolitik.
Das ist erschreckend wenig und wird kaum dazu beitragen, den Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten.
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt funktioniert nur, wenn sich der Arbeitsmarkt an sich verändert.
Barrieren müssen abgebaut und der Arbeitsmarkt für alle zugänglich werden.
Gleichzeitig müssen die nach wie vor bestehenden Sonderstrukturen zügig abgebaut werden.
Das bedeutet zum Beispiel:
Menschen mit Behinderungen müssen ihre Arbeit frei wählen können.
Sie müssen die Chance erhalten auf eine anerkannte Ausbildung im Regelsystem.
Behinderung darf nicht mehr länger als Einschränkung und Last verstanden werden.
Alle Menschen haben Potentiale, die es für den Arbeitsmarkt zu entdecken und zu erschließen gilt.
Daraus folgt auch: Die Arbeit von Menschen mit Behinderungen muss endlich angemessen entlohnt werden, damit sie ihren Lebensunterhalt darüber bestreiten können.
Zu all dem verliert der Hamburger Landesaktionsplan kein einziges Wort.
Übrig bleibt noch eine letzte Frage:
Wie konnte es passieren, dass die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention für einen inklusiven Arbeitsmarkt im Hamburger Landesaktionsplans 2023 so falsch verstanden wurden?
Alle Maßnahmenvorschläge, die Werkstätten für behinderte Menschen betreffen, wurden von der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen eingereicht.
In der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen haben sich die beiden Hamburger Werkstätten für Menschen mit Behinderung (alsterarbeit gGmbH und Elbe-Werkstätten GmbH), der Bergedorfer Impuls gGmbH, arinet, die Stiftung Rauhes Haus und die Hamburger Arbeitsassistenz gGmbH als Leistungsanbieter der Eingliederungshilfe zusammengeschlossen.
Auf ihrer Website hebt die Landesarbeitsgemeinschaft hervor, wie eng sie mit den Leistungsträgern der Eingliederungshilfe und Rehabilitation und mit den relevanten Akteuren aus Politik und Verwaltung zusammenarbeitet.
Wie erfolgreich sie dabei ist, zeigt sich am Hamburger Landesaktionsplan.
Hier wurde auf eine schlagkräftige Lobby-Vereinigung gehört – und nicht auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Oder auf Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertretungsorganisationen.
Die Überraschung war groß, als ich vor einigen Tagen unseren Briefkasten öffnete.
Ein Brief vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales lag darin.
Mit der lange ersehnten Antwort auf unseren Offenen Brief!
Ich bin ehrlich: Ich selbst hatte eine Antwort längst abgeschrieben.
Immerhin ist es fast ein halbes Jahr her, dass wir unseren Offenen Brief in Berlin übergeben haben. Und zwar an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und an das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Doch nun ist die Antwort darauf endlich da. Und das ist gut so.
Zwar steht in der Antwort nicht:
Die Bundesregierung plant, bis 2030 alle Förderschulen in Deutschland abzuschaffen.
So etwas zu erwarten, wäre auch nicht realistisch gewesen.
Aber die Antwort zeigt:
Beide Bundesministerien haben sich bewegt!
Beide Bundesministerien haben unser Anliegen und damit das Menschenrecht auf inklusive Bildung doch noch ernst genommen und nicht mehr länger ignoriert.
Beide Bundesministerien haben miteinander gesprochen und tatsächlich gemeinsam geantwortet.
Beide Bundesministerien geben zu, dass Deutschland auch 15 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention immer noch „vor wesentlichen Herausforderungen auf dem Weg in ein durchweg inklusives Bildungssystem “ steht.
Beide Bundesministerien scheinen die Abschließenden Bemerkungen aus Genf ernst zu nehmen.
Und: Es heißt nicht mehr länger „Bildung ist ausschließlich Ländersache“.
So wie noch vor wenigen Monaten.
Stattdessen erklären die Vertreterinnen beider Bundesministerien:
„Die Bundesregierung unterstützt die Länder nach Kräften bei der Umsetzung der inklusiven Bildung.“
Fachlich zuständig für Inklusive Bildung ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Konkret unternommen hat dieses Ministerium bislang kaum etwas, um die Umsetzung von inklusiver Bildung in Deutschland voranzutreiben.
In der Antwort aus Berlin wird darauf hingewiesen, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung gezielte Forschungsförderung betreibe im Bereich der inklusiven Bildung.
Doch Forschungsförderung alleine reicht nicht aus, um inklusive Bildung endlich umzusetzen.
Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat in seinen abschließenden Bemerkungen konkrete nächste Schritte vorgeschlagen.
Die Antwort aus Berlin weist auf den demnächst beginnenden Follow-upProzess hin.
Im Follow-up Prozess wird die Umsetzung der UN-Empfehlungen genau überprüft.
Und zwar unter enger Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen und der Zivilgesellschaft.
Und das sind auch wir!
Hier werden wir als Eltern weiter ansetzen und euch auf dem laufenden halten.
Versprochen!
Wir Eltern von #WirWarenInGenf werden dran bleiben und nicht locker lassen.
Am 26. März 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet.
15 Jahre später ist unser Land immer noch meilenweit entfernt von einer erfolgreichen Umsetzung vieler der in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Menschenrechte.
Darum habe ich heute folgende Pressemitteilung zum Stand der inklusiven Bildung in Hamburg verschickt:
Pressemitteilung
22. März 2024
15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention, 15 Jahre inklusive Bildung
In Hamburg immer noch kein Grund zum Feiern
Hamburgs Schulen sind noch weit davon entfernt, tatsächlich inklusiv zu sein
Was die Umsetzung von inklusiver Bildung angeht, gilt Hamburg im Vergleich zu anderen Bundesländern als sehr erfolgreich.
Trotzdem ist die Stadt auch 15 Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention immer noch weit entfernt von einem inklusiven Bildungssystem für alle.
Seit mehreren Jahren stagniert Hamburgs Exklusionsquote. Die Schulbehörde geht davon aus, dass sich hieran bis 2035 nichts ändern wird.
Die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die in Hamburg inklusiv beschult werden, besuchen Grundschulen und Stadtteilschulen. An Gymnasien findet Inklusion nach wie vor kaum statt.
Immer noch gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem. Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Mehr als die Hälfte aller Hamburger Schülerinnen und Schüler mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen besucht nach wie vor eine Sonderschule.
Entscheiden sich die Eltern dieser Kinder für eine inklusive Beschulung, stehen ihnen dafür nur sogenannte Schwerpunktschulen offen.
Nur 68 von 380 Hamburger Regelschulen sind Schwerpunktschulen. Nur wenige davon haben sich bislang intensiv damit beschäftigt, schuleigene Konzepte für eine inklusive Schule und eine individualisierte Unterrichtsgestaltung zu erarbeiten. Die Gefahr ist groß, dass die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderungen zu einer neuen Sonderform wird in einem ansonsten weiterhin nicht inklusivem Regelsystem.
Der neue Hamburger Landesaktionsplan 2023 zeigt: Hamburg will weiterhin am sogenannten Elternwahlrecht und damit am schulischen Sondersystem festhalten. Anstelle eines inklusiven Umbaus des gesamten Bildungssystems plant die Stadt, ihr schulisches Sondersystem zu überarbeiten und zu „verbessern“.
Erst im vergangenen Sommer ist Deutschland von der UNO zum zweiten Mal in einer Staatenprüfung heftig kritisiert worden:
Nach wie vor gebe es in Deutschland zu viele Sonderschulen und zu viele Probleme bei der inklusiven Beschulung von Kindern mit Behinderungen.
Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung hat die Bundesregierung mit Nachdruck dazu aufgefordert, den inklusiven Umbau des gesamten Bildungssystems deutlich zu beschleunigen.
Vor allem die Bundesländer müssten endlich konkrete Aktionspläne erstellen, die tatsächlich mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmen.
Dies kommt einer beispiellosen Bloßstellung der Länder gleich.
Die Länder haben der UN-Behindertenrechtskonvention bereits am 19. Dezember 2008 einstimmig und verbindlich im Bundesrat zugestimmt. Trotzdem verzögern und verschleppen sie seitdem in ihrer Schulpolitik die notwendige inklusive Schulreform.
Eltern behinderter Kinder aus mehreren Bundesländern haben jüngst in einem Offenen Brief – unterstützt von mehr als 140 Organisationen – die Bundesregierung aufgefordert, Druck auf die säumigen Landesregierungen aufzubauen.
Erst vor wenigen Tagen hat der Europarat seinen Staatenbericht zur Menschenrechts-Lage in Deutschland veröffentlicht. Darin kritisiert er, dass ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen und die Inklusion in Deutschland nach wie vor durch ausgrenzende Strukturen wie Sonderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen äußerst erschwert sind.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland habe ich bei der 2. deutschen Staatenprüfung 2023 vor der UN in Genf demonstriert. Gleich mehrere Mitglieder des Uno-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen solidarisierten sich mit uns. Hier der Schweizer Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. (Copyright Inklusion-in-hamburg.de)
Immer mehr Eltern in Hamburg kehren der schulischen Inklusion den Rücken zu.
Zu wenig Ressourcen, zu wenig Förderung und zu wenig Verlässlichkeit, so heißt es von allen Seiten.
Gleichzeitig bemängeln erste Eltern an Sonderschulen, dass auch dort immer mehr Sonderpädagogen und Fachkräfte fehlen.
Dies zeigt:
Ein dauerhaftes Vorhalten von Sondersystem und Regelsystem, wie es Hamburg langfristig plant, ist angesichts von Lehrermangel und knapper Kassen zum Scheitern verurteilt.
Außerdem verstößt es gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Hamburgs Senat ist aufgefordert
sich klar zur UN-Behindertenrechtskonvention zu bekennen und sich mit Nachdruck und verbindlich für die vollständige Umsetzung von inklusiver Bildung einzusetzen.
das Ergebnis der Staatenprüfung ernst zu nehmen und einen wirksamen Aktionsplan fürden Ausbau inklusiver Schulen vorzulegen.
Dieser Aktionsplan muss einen konkreten Zeitplan enthalten, bis wann der inklusive Umbau des gesamten Schulsystems abgeschlossen sein soll.
Er muss die notwendigen Maßnahmen für Schulentwicklung, Qualität und Personal enthalten und koordinieren.
Und er muss klare Verantwortlichkeiten für die Steuerung der inklusiven Entwicklung benennen sowie eine ausreichende Finanzierung hinterlegen.
Alle Bundesländer – und damit auch Hamburg – müssen endlich die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllen und den Übergang vom Sonderschulsystem in ein inklusives Regelschulsystem zeitnah und verbindlich umsetzen.
Nach der letzten Staatenprüfung im August 2023 zeigte sich der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen äußerst besorgt über die unzureichende Umsetzung von inklusiver Bildung in Deutschland.
Ganz besonders kritisierte er die weite Verbreitung von Förderschulen und Förderklassen.
Und die vielen Probleme, auf die behinderte Kinder, Jugendliche und ihre Familien stoßen, wenn sie sich für eine inklusive Beschulung entscheiden.
Im Landesaktionsplan wird zunächst die Entwicklung der schulischen Inklusion seit ihrer Einführung im Jahr 2012 vorgestellt.
Das ganze liest sich wie eine reine Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich hat Hamburg im Vergleich mit anderen Bundesländern eine bemerkenswerte Entwicklung hingelegt.
Allerdings:
Die Stadt ist immer noch weit entfernt von einem inklusiven Schulsystem für alle.
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem. Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Hier werden rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen unterrichtet. Mit steigender Tendenz.
Die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die in Hamburg inklusiv beschult werden, besuchen Grundschulen und Stadtteilschulen. An Gymnasien findet Inklusion dagegen nach wie vor kaum statt.
Bereits seit mehreren Jahren stagniert die jährliche Exklusionsquote. Das heißt: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen geht im Vergleich zu allen Hamburger Schülern nicht weiter zurück.
Die Hamburger Schulbehörde geht davon aus, dass sich hieran bis mindestens 2035 nichts ändern wird.
Die meisten Kinder und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen nehmen an inklusiver Bildung nach wie vor nicht teil.
Als Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen werden sie überwiegend an Sonderschulen unterrichtet.
Im Schuljahr 2023/24 besuchten 2588Schüler mit speziellen Förderbedarfen Sonderschulen.
Nur 1650 Schüler mit speziellen Förderbedarfen wurden inklusiv an Regelschulen unterrichtet.
Zum Vergleich:
Zu Beginn der schulischen Inklusion 2012/13 besuchten 1986 Schüler mit speziellen Förderbedarfen Sonderschulen und 1326 Regelschulen.
Außerdem steigt seit einigen Jahren die Zahl autistischer Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen.
Das gleiche gilt für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Emotional-soziale Entwicklung, unter ihnen viele mit FASD.
Nur Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache konnten bislang mehrheitlich von der schulischen Inklusion profitieren. Sie werden inzwischen überwiegend an Regelschulen unterrichtet.
Dies alles zeigt:
Hamburgs angeblich so erfolgreiche Inklusion ist bislang nur eine sehr eingeschränkte Inklusion.
Weite Teile des Hamburger Schulsystems sind weiterhin auf Absonderung und Trennung ausgerichtet.
Was plant Hamburg in Sachen schulische Inklusion?
1. Hamburg will an seinen Sonderschulen festhalten.
Damit Eltern behinderter Kinder weiterhin eine Wahl haben zwischen Sonderschule und Regelschule, will Hamburg am Sonderschulsystem festhalten.
Dies steht im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt klar und deutlich:
Alle Kinder und Jugendlichen sollen gemeinsam unterrichtet werden.
Nach der Staatenprüfung im August 2023 hat der UN-Ausschuss Deutschland dazu aufgefordert, einen umfassenden Plan zu erstellen, wie der Übergang vom Sonderschulsystem in ein inklusives Regelschulsystem möglichst zügig umgesetzt werden kann.
Und zwar mit einem konkreten Zeitrahmen.
Mit der Zuweisung von personellen, technischen und finanziellen Ressourcen.
Und mit klaren Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Überwachung.
Darüber verliert der Hamburger Landesaktionsplan kein einziges Wort.
Stattdessen reduziert sich Hamburgs Planung darauf, „dass der Besuch einer allgemeinen Schule einen Mehrwert gegenüber anderen Schulformen bieten muss – durch konsequent gelebte Inklusion und ein positives Schulerlebnis besonders auch für Menschen mit Behinderungen.“
Als Mutter eines Kindes mit Behinderung bin ich fassungslos.
Bei inklusiver Bildung geht es um viel mehr als „positive“ Schulerlebnisse für Menschen mit Behinderungen.
Es geht um bestmögliche Bildung für alle.
Damit alle jungen Menschen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll entfalten können.
2. Hamburg will Schwerpunktschulen weiter stärken.
Hamburg hat das Recht auf inklusive Beschulung in seinem Schulgesetz festgeschrieben.
Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass behinderte Kinder und deren Eltern die freie Schulwahl haben.
Kinder und Jugendliche mit speziellen Förderbedarfen sollen an sogenannten Schwerpunktschulen unterrichtet werden.
Schwerpunktschulen sind Schulen, die als besonders erfahren und ausgestattet gelten, was den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen angeht.
Fast alle Schwerpunktschulen haben bereits vor Einführung der Inklusion mit Integrationsklassen und integrativen Regelklassen gearbeitet.
Insgesamt gibt es in Hamburg 68 Schwerpunktschulen.
Nämlich 40 Grundschulen und 28 Stadtteilschulen, die sich sehr ungleichmäßig über das Stadtgebiet verteilen.
183 Grundschulen, 55 Stadtteilschulen und 74 Gymnasien sind keine Schwerpunktschulen.
Das bedeutet:
Nur jede 5. Hamburger Schule ist eine Schwerpunktschule.
Bereits der Landesaktionsplan 2019 sah vor, Schwerpunktschulen zu stärken.
Unter dem Namen „möglichmacher*“ entwickelte die Schulbehörde ein Modellprojekt, um ausgewählte Schwerpunktschulen bei ihrer inklusiven Schulentwicklung zu stärken und zu unterstützen.
An diesem Projekt beteiligten sich bislang 7 Grundschulen und 4 Stadtteilschulen.
Im neuen Landesaktionsplan bleibt offen, ob die Maßnahme „Schwerpunktschulen stärken“ diesmal alle Schwerpunktschulen mit einschließt.
Oder ob sie sich erneut nur auf ausgewählte Schwerpunktschulen konzentriert.
Sicher ist:
Nur ein kleiner Teil aller Hamburger Schwerpunktschulen scheint sich bislang intensiv damit beschäftigt zu haben, schuleigene Konzepte für eine inklusive Schule und eine individualisierte Unterrichtsgestaltung zu erarbeiten.
Dies erklärt auch, warum Eltern von inklusiv beschulten Kindern immer wieder über Schwierigkeiten berichten: bei Nachteilsausgleichen und Förderplanung, beim zieldifferenzierten Unterricht, bei der Zuweisung von Ressourcen oder der Zusammenarbeit mit Therapeuten.
Grundsätzlich halte ich das Konzept der Schwerpunktschulen für problematisch.
Zum einen geht es von einem medizinisch geprägten Behinderungsbegriff aus, der Beeinträchtigungen als Defizite ansieht.
Aufgrund dieser „Beeinträchtigungen“ sollen Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen nur an besonders ausgestatteten Schulen oder spezialisierten Sonderschulen unterrichtet werden.
Zum andern ist die Gefahr groß, dass Schwerpunktschulen zu inklusiven Sonderformen werden in einem ansonsten weiterhin nicht inklusivem Regelsystem.
3. Verbesserung der Beratungs- und Bildungsangebote
Der Landesaktionsplan 2023 sieht vor, Beratungsangebote und Bildungsangebote für Familien mit behinderten Kindern deutlich zu verbessern.
Und zwar über einen auf 5 Jahre angelegten Organisationsentwicklungsprozess.
Zuständig für den geplanten Organisationsentwicklungsprozess sind die speziellen Sonderschulen, die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren und das Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit/Autismus.
Ziel des Organisationsentwicklungsprozesses ist es, Strukturen und Prozesse der speziellen Sonderschulen und Beratungszentren zu überarbeiten und neu aufzustellen:
um individuelle und flexible Bildungsverläufe zu ermöglichen und Bildungschancen zu vergrößern,
um die Teilhabe an Bildung und sozialem Miteinander zu verbessern,
und um die Zusammenarbeit untereinander sowie mit verschiedenen Professionen zu intensivieren und zu erweitern.
Es sollen also die speziell für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen gedachten besonderen Bildungs- und Beratungsangebote neu gestaltet und verbessert werden.
Allerdings: So funktioniert keine Inklusion.
Inklusion bedeutet nicht, das Sondersystem umzugestalten.
Inklusion bedeutet, das Gesamtsystem Schule von Grund auf umzubauen und inklusiv zu gestalten.
4. Verbesserung der Barrierefreiheit
Bereits der erste Landesaktionsplan aus dem Jahr 2012 sah vor, die bauliche Barrierefreiheit an Hamburgs Schulen zu verbessern.
Seitdem betont der Senat gerne und regelmäßig, dass er jedes Jahr sehr viel Geld investiert, um Hamburgs Schulgebäude barrierefreier zu machen.
Als konkrete Maßnahme im Landesaktionsplan 2023 ist vorgesehen, alle Schulneubauten nach DIN 18040-1 barrierefrei zu planen und zu errichten.
Bei Sanierungen und Umbauten sollen zusätzliche Leistungen zur Barrierefreiheit nach individuellem Bedarf und entsprechend der DIN umgesetzt werden.
Damit knüpft der Landesaktionsplan 2023 nahtlos an die bisherige Schulpolitik des Senats an.
Doch was heißt das genau?
Werden Schulen in Hamburg neu gebaut, erhalten sie gemäß DIN 18040-1 automatisch Aufzüge, barrierefreie Zugänge und behindertengerechte WCs.
Neu gegründete Schwerpunktschulen erhalten außerdem eine zusätzliche Fläche von 24 Quadratmetern pro Zug. Hier können bei Bedarf Pflegeräume eingerichtet werden.
Weitere Bedarfe an Barrierefreiheit sollen zu Beginn der Bauvorhaben in Abstimmung mit der Schule ermittelt werden.
An dieser Stelle lohnt es, etwas tiefer zu gehen.
Und zwar mit der Frage: Welche Kriterien wendet Hamburg an bei der Gestaltung von Barrierefreiheit an Schulen?
In Hamburg werden Schulen als halb-öffentliche Gebäude betrachtet.
Es gibt den öffentlichen Bereich einer Schule. Nämlich das Schulbüro, Gemeinschaftsflächen und die Sporthalle.
Alle übrigen Schulräume werden in erster Linie von Schülern und Lehrern genutzt.
Damit gelten diese Räume aus Sicht der Schulbehörde als nicht öffentlich.
Entsprechend reduzieren sich die Anforderungen an Barrierefreiheit.
Was das bedeutet, zeigt sich bei der Sanierung bereits bestehender Schulen.
Werden bereits bestehende Schulen saniert, erhalten sie behindertengerechte Zugänge zu allen öffentlichen Bereichen.
Also zu Sporthallen, Schulbüros und Gemeinschaftsflächen. Außerdem soll mindestens ein behindertengerechtes WC je Schule geschaffen werden.
Für bestehende Schwerpunktschulen sind darüber hinaus behindertengerechte Zugänge zu Fachräumen, Ganztagsflächen und zu einzelnen Klassenräumen vorgesehen.
Dabei ist jede Schwerpunktschule aufgefordert, geschaffene barrierefreie Räume – je nach Bedarf – bestimmten Klassen oder Jahrgängen zuzuordnen.
Dies bedeutet: Einzelne Gebäude einer Schwerpunktschule müssen nicht unbedingt einen Aufzug erhalten. Oder einen barrierefreien Zugang.
In einem dreigeschossigen Klassenhaus einer bestehenden Schwerpunktschule reicht es zum Beispiel aus, wenn Klassenräume im Erdgeschoss von Schülerinnen und Schülern mit Rollstuhl erreicht werden können.
Insgesamt ist die bauliche Barrierefreiheit an Hamburgs Schulen also erheblich eingeschränkt.
Sie konzentriert sich nur auf ausgewählte schulische Räume.
Und sie konzentriert sich auf ausgewählte Schulen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention dagegen fordert klar und deutlich:
Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen müssen gleichberechtig Zugang haben zu allen Schulen und zu allen von Schülern genutzten Räumen.
Von einer umfänglichen Barrierefreiheit, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, sind Hamburgs Schulen also noch weit entfernt.
Werden die im Landesaktionsplan 2023 vorgesehenen Maßnahmen ausreichen, um Hamburgs Schulen inklusiver zu machen und so der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein gutes Stück näher zu kommen?
Meine Antwort darauf lautet: NEIN.
Denn Hamburg weigert sich weiterhin, sein Sonderschulsystem aufzugeben.
Gleichzeitig baut Hamburg mit seinen Schwerpunktschulen ein neues, vermeintlich inklusives Sondersystem aus.
Beides hat zur Folge, dass an den meisten Hamburger Schulen nach wie vor keine Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen zu finden sind.
Ihr wisst: Seit über zwei Jahren beschäftige ich mich intensiv mit den Themen Arbeit, Berufsvorbereitung und Ausbildung.
Darum wollte ich natürlich als erstes wissen:
Was sagt der neue Hamburger Landesaktionsplan 2023 zum Thema berufliche Bildung?
In Sachen berufliche Bildung heißt es im Landesaktionsplan:
Was Inklusion im Beruf angeht, hat Hamburg in den letzten Jahren viel getan.
Es gibt bereits vielfältige Unterstützungsangebote.
Trotzdem ist es nötig, den Übergang Schule – Beruf für Lernende noch besser zu gestalten.
Was genau hat Hamburg bereits unternommen?
Seit August 2021 gibt es an allen Berufsschulen sogenannte Inklusionsbeauftragte.
Das sind Lehrer oder Lehrerinnen, die zuvor vom Landesinstitut für Lehrerbildung in Sachen Inklusion ausgiebig geschult worden sind.
Die Inklusionsbeauftragten haben die Aufgabe:
ihre Kollegen in Sachen Inklusion fortzubilden und zu unterstützen,
passende individuelle Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler zu entwickeln (einschließlich barrierearmer Lernumgebungen und Unterrichtsmaterialien),
schulische Strukturen inklusiver zu gestalten.
Außerdem bieten die meisten Hamburger Berufsschulen inzwischen eine Ausbildungsvorbereitung dual & inklusiv an. Abgekürzt wird das mit AV dual&inklusiv.
In der inklusiven Ausbildungsvorbereitung werden Jugendliche mit speziellen Förderbedarfen durch Arbeitsassistenzen individuell begleitet und unterstützt.
Daneben werden barrierearme digitale Unterrichtsmaterialien entwickelt, erprobt und evaluiert.
Dazu gehören zum Beispiel Unterrichtsmaterialien in einfacher oder leichter Sprache.
All dies soll im Rahmen des Landesaktionsplans weiter entwickelt und auf die Bildungsgänge der Ausbildung übertragen werden.
Jugendliche mit festgestelltem Unterstützungsbedarf können dann auch im Berufsqualifizierungsjahr und in der dualen oder vollschulischen Ausbildung individuelle Arbeitsassistenzen erhalten.
Alle Lehrkräfte der Berufsschulen werden im Umgang mit barrierearmen digitalen Unterrichtsmaterialien geschult.
Nun ist die spannende Frage:
Wie wirksam sind diese Maßnahmen?
Werden sie möglichst viele junge Menschen mit Behinderungen erreichen?
Und werden sie dazu beitragen, dass mehr junge Menschen mit Behinderungen erfolgreich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgebildet werden?
Bislang hat noch keine Evaluation der bereits umgesetzten Maßnahmen stattgefunden.
Dennoch wage ich einige Überlegungen und Anmerkungen.
1. Neben dem Ausbau der inklusiven Ausbildungsvorbereitung hält Hamburg an der exklusiven Berufsvorbereitung für Menschen mit Behinderungen fest.
Neben der inklusiven Ausbildungsvorbereitung an regulären Berufsschulen gibt es in Hamburg die sogenannte Berufsvorbereitung für Menschen mit Behinderungen.
In der Berufsvorbereitung werden überwiegend junge Menschen mit geistigen Behinderungen auf eine anschließende berufliche Beschäftigung vorbereitet.
Und zwar meist überbetrieblich und in nur wenigen ausgewählten Beschäftigungsfeldern wie Gartenbau oder Hauswirtschaft.
An einem Tag in der Woche besuchen die jungen Menschen eine Berufsschule für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf.
Ein Übergang in eine Ausbildung ist nicht vorgesehen.
Im neuen Landesaktionsplan wird die exklusive Berufsvorbereitung für junge Menschen mit Behinderungen nicht erwähnt.
Ich gehe davon aus, dass sie weiterhin bestehen bleiben wird.
2. Die Exklusivität des „inklusiven“ Übergangsbereichs
Junge Menschen mit Behinderungen, die inklusiv beschult wurden, wechseln nach der Schule so gut wie immer in den sogenannten Übergangsbereich.
Über ein inklusives oder exklusives Ausbildungsvorbereitungsjahr sollen sie auf den Arbeitsalltag vorbereitet werden und berufliche Interessen entwickeln.
Ganz anders ist dies bei Jugendlichen ohne Behinderung.
Bei ihnen bemühen sich Schule und Jugendberufsagentur, einen möglichst nahtlosen Übergang von der Schule in die Ausbildung zu erreichen.
Jugendliche ohne Behinderung wechseln nur dann in den Übergangsbereich, wenn es mit einem Ausbildungsplatz nicht geklappt hat.
Zum Beispiel wegen einem fehlenden Schulabschluss.
Oder wegen schlechter Deutschkenntnisse.
Oder wegen anderer familiärer oder sozialer Probleme.
Das heißt:
Der Übergangsbereich an sich ist bereits exklusiv.
Er wird immer mehr zu einem Auffangbecken für Schülerinnen und Schüler, die die Lernziele der Stadtteilschulen nicht erreicht haben.
3. Der Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen bleibt weiter bestehen.
Über 4400 Schülerinnen und Schüler wurden im Schuljahr 2022/23 in Hamburg exklusiv an Sonderschulen unterrichtet.
Die allermeisten von ihnen wechseln nach der Schule direkt in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Aus den Sonderschulen kommen vor allem Jugendliche mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen.
Auch Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer Fetalen Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) gehören inzwischen dazu.
Im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten durchlaufen die jungen Menschen zunächst eine erste Orientierungsphase.
Danach beginnt die sogenannte Berufsbildungszeit.
Über die Berufsbildungszeit soll herausgefunden werden, ob ein junger Mensch mit Behinderung für den allgemeinen Arbeitsmarkt geeignet ist.
Oder ob er in einer Werkstatt oder einer Einrichtung der Tagesförderung besser aufgehoben ist.
Die Berufsbildungszeit dauert meist zwei Jahre.
Das ist relativ lang.
Trotzdem ist die Berufsbildungszeit keine anerkannte berufliche Ausbildung.
Nach Abschluss der Berufsbildungszeit gelten junge Menschen mit Behinderungen weiterhin als ungelernt.
Auch die exklusive Berufsbildungszeit im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Hamburger Werkstätten wird im Landesaktionsplan 2023 nicht erwähnt.
4. Die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit vermittelt ausschließlich in Sonderformen.
Beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt hilft in Hamburg die Jugendberufsagentur.
Und das sehr erfolgreich.
Allerdings:
Für junge Menschen mit Behinderungen ist nicht die Jugendberufsagentur zuständig.
Sondern die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit.
Die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit ist eine eigene Welt für sich.
Die „Berufsberatung“ in der Reha-Abteilung orientiert sich an Angeboten und Maßnahmen, die ausschließlich für junge Menschen mit Behinderungen gedacht sind.
Dazu zählt die Vermittlung in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten.
Außerdem arbeitet die Reha-Abteilung eng mit Bildungsträgern zusammen, die sich auf die Ausbildung von jungen Menschen mit besonderen Förderbedarfen spezialisiert haben.
Anbieter dieser speziellen Ausbildungen sind die Berufliche Schule Uferstraße, das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte und das Berufsbildungswerk Eidelstedt.
Hier können junge Menschen mit Behinderungen entweder eine Vollausbildung oder eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung machen.
Allerdings nur in wenigen ausgewählten Berufen.
Und so gut wie nie in einem Ausbildungsbetrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Sondern in überbetrieblichen Werkstätten der Bildungsträger.
Und in exklusiven Berufsschulen.
In den allermeisten Fällen führen diese exklusiven Ausbildungen zu keiner dauerhaften Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt.
5. Über neue inklusive Ausbildungsformen wird nicht nachgedacht.
Der Landesaktionsplan sieht vor, die Hamburger Jugendberufsagentur endlich auch für junge Menschen mit Behinderungen zu öffnen.
Das könnte ein wichtiger Schritt sein hin zu einem inklusiven Arbeits- und Ausbildungsmarkt.
Notwendig dafür wäre es allerdings, sich von den an die Werkstätten gebundenen Sonderformen Berufsvorbereitung und Berufsbildungszeit zu verabschieden.
Stattdessen müssten neue Formen der beruflichen Ausbildung entwickelt werden.
In solchen inklusiven Ausbildungen müssten junge Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam in Berufsschulen lernen.
Und sie müssten gemeinsam in Betrieben des regulären Arbeitsmarktes oder in überbetrieblichen Werkstätten ausgebildet werden.
Jeder junge Mensch würde einen eigenen Ausbildungsplan erhalten.
Orientiert an seinen individuellen Stärken und Schwächen.
Am Ende der Ausbildung hätte jeder einen Abschluss – unabhängig von einer Behinderung.
Doch ob das jemals Realität wird?
Solange Hamburg am Sondersystem der Werkstätten festhalten wird, bezweifle ich das sehr.
Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage:
Wie wirksam sind die im Landesaktionsplan 2023 vorgesehenen Maßnahmen zur beruflichen Bildung?
Ich gehe davon aus, dass die vorgesehenen Maßnahmen die meisten jungen Menschen mit Behinderungen gar nicht erreichen werden.
Schülerinnen und Schüler der Sonderschulen werden wohl weiterhin nach der Schule überwiegend in die Sondersysteme von Werkstätten und Bildungsträgern wechseln.
Und damit eigene, exklusive Berufsschulen besuchen.
Inklusiv beschulte Jugendliche mit Behinderungen werden das inklusive Ausbildungsvorbereitungsjahr für sich nutzen können.
Auch wenn diese Maßnahme nicht wirklich inklusiv ist.
Danach allerdings wird für die meisten von ihnen Schluss sein.
Denn:
Der reguläre Berufsschulunterricht ist an einen Ausbildungsplatz gekoppelt.
Den werden Menschen mit stärkeren Einschränkungen aber nicht finden, solange es keine wirklich inklusiven Ausbildungsformen gibt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt:
Menschen mit und ohne Behinderungen sollen gemeinsam und gleichberechtigt ausgebildet und weitergebildet werden.
Dieses Ziel wird mit dem neuen Landesaktionsplan nicht erreicht.
Die Berufsvorbereitung an der Berufsbildenden Schule Anlagen- und Konstruktionstechnik bietet Plätze für junge Menschen mit geistiger Behinderung an, die eine Berufstätigkeit im Bereich Haustechnik/ Hausmeisterei/ Gartenpflege ausüben wollen.
Ziel der Berufsvorbereitung ist die Teilqualifizierung für Tätigkeiten als Hausmeisterhelfer sowie für andere handwerkliche Aufgabenbereiche.
Die Berufsvorbereitung an der Fachschule für Sozialpädagogik Altona biete Plätze für junge Menschen mit geistiger Behinderung, die eine Berufstätigkeit in der Kinderbetreuung anstreben.
Ziel der Berufsvorbereitung ist die Teilqualifizierung für Tätigkeiten als Kindertagesheimhelferin.
Die Berufsvorbereitung an der Beruflichen Schule Uferstraße bietet Plätze für junge Menschen mit geistiger Behinderung, die eine Berufstätigkeit im Bereich Hauswirtschaft/ Gastronomie oder im Bereich Haustechnik/ Dienstleistung anstreben.
Das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte bietet Plätze für schulpflichtige Jugendliche mit den Förderschwerpunkten „Sehen“, „Lernen“ sowie „emotionale und soziale Entwicklung“.
In den Projektangeboten „Bistro“ und „Büro“ werden berufsbezogene und lebenspraktische Kompetenzen in den Berufsfeldern „Ernährung und Hauswirtschaft“ sowie „Wirtschaft und Verwaltung“ vermittelt.