Wie ist Hamburg bei der Umsetzung von Inklusion in seinen Schulen im Jahr 2023 vorangekommen?
Die Stadt gilt nach wie vor als Vorbild, was schulische Inklusion angeht.
Und im Vergleich mit anderen Bundesländern ist Hamburg sicherlich schon weit gekommen.
Trotzdem ist die Stadt noch weit entfernt von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.
Nämlich einem Schulsystem, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen. Und zwar in einer Schule für alle.
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Hier wurden im Schuljahr 2022/23 mehr als 4400 Schülerinnen und Schüler exklusiv unterrichtet.
Das waren rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen.
An diesen Zahlen hat sich in den letzten fünf Jahren nicht wirklich etwas verändert.
Und so wird es wohl auch in Zukunft bleiben.
Bildungsforscher gehen davon aus, dass die Exklusionsquote in Hamburg bis 2035 bei 2,66 stehen bleiben wird.
Die Exklusionsquote gibt den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen an, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden. Und zwar gemessen an allen Schülerinnen und Schülern mit Vollzeitschulpflicht (Jahrgangsstufen 1 bis 9 bzw. 10).
Bei ihren Berechnungen für Hamburg stützen sich die Bildungsforscher auf Zahlenmaterial, das von der Hamburger Schulbehörde für die Kultusministerkonferenz der Länder zusammengestellt wurde.
Die Zahlen zeigen:
Bis 2035 wird in Hamburg ein großer Teil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen weiterhin an Sonderschulen unterrichtet werden.
Damit scheint die Hamburger Politik zufrieden.
Denn:
Hamburg hat zwar das Recht auf Inklusion in seinem Schulgesetz verankert.
Allerdings will die Stadt ihr Sonderschulsystem nicht aufgeben.
Eltern sollen auch in Zukunft wählen können, ob ihr behindertes Kind in einer Regelschule oder in einer Sonderschule beschult wird.
Das verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin stellte bereits 2017 klar:
Die Aufrechterhaltung zweier Schulsysteme lässt sich menschenrechtlich nicht über
das Elternwahlrecht rechtfertigen.
Der Staat darf seine Verantwortung für einen schulischen Systemwechsel nicht an Eltern abgeben.
Besonders Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen werden in Hamburg nach wie vor an Sonderschulen unterrichtet. Und zwar mit steigender Tendenz.
Das zeigt die Schulstatistik 2022/23:
In der Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen befinden sich mehrheitlich Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen.
Also genau die Kinder und Jugendlichen, die eine zentrale Zielgruppe bei der Umsetzung von inklusiver Bildung sein sollten.
Doch die meisten dieser Kinder und Jugendlichen nehmen an Inklusion nach wie vor nicht teil.
Im Gegenteil.
Im Schuljahr 2022/23 wurden in Hamburg deutlich mehr Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen exklusiv an Sonderschulen unterrichtet als zu Beginn der schulischen Inklusion.
Nach der Einführung der schulischen Inklusion haben vor allem Schülerinnen und Schüler mit sogenannten geistigen Behinderungen an Sonderschulen zugenommen.
Gleiches gilt für Schülerinnen und Schüler, die sich keinem der klassischen Förderschwerpunkte zuordnen lassen. Hierunter fallen auch Schülerinnen und Schüler mit Autismusspektrumstörungen.
Außerdem stieg die Zahl der Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Emotional-soziale Entwicklung, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden.
Profitieren von der Inklusion konnten dagegen Schülerinnen und Schüler mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen und Sprache. Sie werden in Hamburg inzwischen meist an Regelschulen unterrichtet.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich übrigens auch in den anderen Bundesländern.
Neben seinem Sonderschulsystem hat Hamburg nach Einführung der schulischen Inklusion auch an einem zweigliedrigen Schulsystem ab Klasse 5 festgehalten.
Stadtteilschulen nehmen seitdem die meisten Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen auf.
In Gymnasien dagegen fand auch im Schuljahr 2022/23 Inklusion kaum statt.
Diese Mischung von Inklusion und Exklusion in Hamburgs Schulen widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Im August 2023 prüften die Vereinten Nationen in Genf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Das Ergebnis war beschämend.
In fast allen Lebensbereichen ist Deutschland in den letzten 14 Jahren mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kaum vorangekommen.
Das gilt auch für die inklusive Bildung.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Deutschland nach wie vor in Sonderschulen unterrichtet.
Was genau geschehen muss, damit Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen endlich in ganz Deutschland gemeinsam lernen können, hat der UN-Fachausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen klar benannt.
In diesen abschließenden Bemerkungen fordert der UN-Fachausschluss die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen dazu auf:
- konkrete Zeitpläne zu erstellen, bis wann schulische Sondersysteme vollständig abgebaut sind.
- konkrete Pläne zu erstellen, wie gemeinsame Schulen für alle möglichst zügig umgesetzt werden. Und zwar mit klaren Ressourcenzuweisungen, was Menschen, Technik und Geld angeht.
- klar zu benennen, wer für die Umsetzung und Überwachung der Inklusion in Schulen zuständig ist.
- Sensibilisierungs- und Bildungskampagnen zu starten. Um inklusive Bildung auf Gemeindeebene und bei den zuständigen Behörden zu fördern.
- endlich sicherzustellen, dass alle Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können.
Bund und Länder und damit auch Hamburg sind nun gefordert.