Wie inklusiv ist die Arbeit in Hamburgs Behindertenwerkstätten?

Eine Beilage im Hamburger Abendblatt:

MENSCHLICH. Leben mit Handicap. Eine Anzeigen-Sonderveröffentlichung.

Das Thema interessiert mich. Also fange ich an zu lesen.

Im ersten Artikel geht es um den „Einsatz im Grünen“. Vorgestellt wird die erfolgreiche Kooperation zwischen den Elbe-Werkstätten und der Firma Beiersdorf in Hamburg. Ein gelungenes Inklusions-Projekt, so heißt es da.

Auf dem Bild sieht man den vorderen Teil eines Rasenmähers, mit dem gerade eine Wiese gemäht wird.

Trotzdem stört mich etwas an dem Artikel. Es dauert einen kurzen Moment, bis ich dahinter komme. Doch dann habe ich es.

An zwei Stellen im Artikel heißt es: „Verstärkung gewünscht!“

Zuerst werden Menschen mit Behinderung als Verstärkung für das Team gesucht. Angeboten werden abwechslungsreiche Arbeiten im Grünen und spannende Sondereinsätze. Und: Wenn die Arbeit nicht mehr gefällt, sind Wechsel in andere Projekte der Elbe-Werkstätten jederzeit möglich.

Dann werden Frauen und Männer als Verstärkung für das Team gesucht, die Lust haben, ihre handwerklichen Berufe mit einer pädagogischen Aufgabe zu verbinden. Ihnen wird angeboten: eine Beschäftigung mit Spaß und Sinn, vielen Gestaltungsmöglichkeiten, geregelten Arbeitszeiten und einer guten Bezahlung nach Tarif.

Sind bei letzteren auch Menschen mit Behinderung angesprochen? Ich bezweifle es.

Denn: Auf der Karriere-Seite der Elbe-Werkstätten im Internet gibt es „Stellenangebote für Menschen mit Behinderung“ und „tarifliche Stellenangebote“. Für letztere bleiben eigentlich nur noch Menschen ohne Behinderung übrig.

Das Bild zeigt ein paar Füße in roten Turnschuhen vor lila blühendem Geranium.

Was sich hier deutlich zeigt, ist das exklusive und längst nicht mehr zeitgemäße System von Behindertenwerkstätten in Deutschland:

  • Wegen ihrer vermeintlichen Einschränkungen werden Menschen mit Behinderung als besonders schutz- und hilfsbedürftig angesehen.
  • Aufgrund ihrer Behinderung können sie nicht die gleiche Arbeit leisten wie Menschen ohne Behinderung.
  • Also bietet ihnen die Behindertenwerkstatt einen Schonraum mit Rundumbetreuung und Beschäftigung an. Und mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von derzeit knapp 200 Euro. Das reicht nicht zum Leben.

Das ganze funktioniert, weil behinderte Menschen in Werkstätten per Gesetz keine Arbeitnehmer sind. Damit haben sie keinen Anspruch auf einen Mindestlohn.

Dies widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention.

Die UN-Behindertenrechtskonvention besagt in Artikel 27, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf Arbeit haben.

Dieses Recht auf Arbeit schließt die Möglichkeit ein, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt oder frei angenommen wird. Und zwar am besten bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Nicht inklusive Beschäftigungsverhältnisse in Behindertenwerkstätten, so die UN-Behindertenrechtskonvention, sollen kontinuierlich abgebaut werden.

Im unteren Teil des Bildes sieht man frisch gewachsene Grashalme. Darüber wölbt sich ein blauer Himmel.

Was bedeutet das nun für den Einsatz im Grünen“?

Der „Einsatz im Grünen“ ist kein gelungenes Inklusions-Projekt. Weil er an den exklusiven Beschäftigungsstrukturen von Behindertenwerkstätten festhält.

Wirklich inklusiv wird der „Einsatz im Grünen“ erst dann, wenn die Beschäftigten mit Behinderung für ihre Arbeit so entlohnt werden, dass sie davon leben können.

Noch inklusiver wird der Einsatz, wenn die Beschäftigten mit Behinderung einen Arbeitsvertrag mit Beiersdorf selbst oder einer „normalen“ Gartenbaufirma erhalten. Erst dann sind sie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt.

Meine Wünsche für eine „Inklusionsmetropole“ Hamburg:

  • Eine Entlohnung für Menschen mit Behinderung, die den Lebensunterhalt sichert
  • Ausbau von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Schrittweise Auflösung des exklusiven Sondersystems Behindertenwerkstätten


In Hamburg ist es seit Einführung der Inklusion 2012 nicht gelungen, die Anzahl der Beschäftigten mit Behinderung in den Elbe-Werkstätten spürbar zu reduzieren.

Ein Säulendiagramm zeigt die Beschäftigtenzahlen der Hamburger Elbe-Werkstätten zwischen 2012 und 2019. Sowohl die Anzahl der tariflichen Mitarbeiter wie auch die Anzahl der Beschäftigten und Teilnehmer mit Behinderung bleibt annähernd konstant.
Quellen: Hamburgs öffentliche Unternehmen. Beteiligungsberichte 2011-2013; Elbe Werkstätten Hamburg GmbH: Konzernabschluss und Konzernlagebericht 2015 sowie 2017; Elbe Werkstätten Hamburg GmbH: Jahresabschluss und Lagebericht für die Jahre 2018 und 2019

Kennen Sie den Internationalen FASD-Aktionstag?

Bald ist es wieder soweit: Am 9. September ist FASD-Aktionstag!

Ein Werbebild für den FASD-Aktionstag aus Kanada: Zu sehen sind die Beine und Füße einer Person, die auf einer Steinkante nah am Wasser steht. Die Person trägt schwarze Jeans und rote Turnschuhe.
Der Text auf dem Plakat lautet: 99 Days to FASday. June 1 - September 9 2021. redshoesrock.com. oursacredbreath.com. @allabautfasd.
Copyright: our sacred breath – finding calm in the chaos of FASD

Immer am 9. September wird seit 1999 weltweit auf die fetale Alkoholspektrumstörung FASD als lebenslange Behinderung aufmerksam gemacht. Es gibt Demonstrationen, Spendenläufe, Glockengeläut, Plakataktionen, Informationsveranstaltungen, Kampagnen in sozialen Netzwerken und vieles mehr.

Ziel dieser Aktionen ist es, das Bewusstsein für FASD zu schärfen. FASD ist eine der häufigsten angeborenen Behinderungen überhaupt. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland jedes Jahr deutlich mehr als 10.000 Kinder mit FASD geboren werden. Dennoch wissen immer noch zu wenig Menschen bescheid über FASD.

Das liegt sicherlich mit daran, dass sich die meisten Menschen mit FASD auf den ersten Blick nicht von anderen unterscheiden. Viele nennen FASD daher auch eine unsichtbare Behinderung.

Bei Menschen mit FASD wurden Gehirn und zentrales Nervensystem bereits vor ihrer Geburt durch den Kontakt mit Alkohol irreparabel geschädigt. Die Folgen begleiten Betroffene ein Leben lang:

  • Sie können sich vieles nicht merken.
  • Sie können Handlungsabläufe nur schwer planen bzw. reflektieren.
  • Sich auf Neues einzustellen fällt ihnen schwer.
  • Sie haben eine besondere Art der Wahrnehmung.
  • Aus Fehlern können sie nur schwer lernen.
  • Sie reagieren sehr impulsiv, halten Frustrationen schlecht aus.
  • Sie haben häufig Schwierigkeiten im Umgang mit anderen.
  • Sie sind beeinträchtigt in ihrer körperlich-motorischen Entwicklung.

Damit Menschen mit FASD trotzdem gut leben, ihre Stärken entfalten und erfolgreich an der Gesellschaft teilhaben können, braucht es zwei Dinge: eine möglichst frühzeitige Diagnose und eine gute Unterstützung. Für beides macht sich der FASD-Aktionstag stark.

Außerdem wird am FASD-Aktionstag auf die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft aufmerksam gemacht. Denn: FASD ist eine zu 100 Prozent vermeidbare Behinderung. Selbst kleine Mengen an Alkohol während einer Schwangerschaft können unabsehbare Folgen haben.

Nur ein vollständiger Verzicht auf Alkohol während einer Schwangerschaft kann FASD verhindern.

Das Bild zeigt eine grüne Fliesenwand. Darauf ist ein Schild mit der Aufschrift Stephansplatz angebracht. Über dem Schild kleben zwei Piktogramme an der Wand: Bitte nicht rauchen, bitte kein Alkohol.

In Hamburg ist das Bewusstsein für FASD erst schwach ausgeprägt. Vor allem in Schulen und Behörden kennen zu wenig Menschen FASD. Das macht es für Betroffene besonders schwer, ausreichend Hilfe zu erhalten.

Auch an Diagnosemöglichkeiten mangelt es, ganz besonders für Erwachsene.

Doch zum Glück verändert sich gerade etwas:

Der Unterstützerkreis für Menschen mit FASD wird größer.

Vor zwei Jahren wurde das FASD-Fachzentrum Hamburg gegründet.

In diesem Jahr stehen die Chancen gut, dass FASD als Behinderung in den nächsten Hamburger Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufgenommen wird.

Wie wäre es, wenn spätestens am 9. September 2022 Menschen mit FASD zusammen mit dem ersten Bürgermeister eine FASD-Fahne auf dem Hamburger Rathaus hissen?

Auf dem Bild sieht man die Spitze eines Fahnenmastes. Daran flattert eine weiße Fahne im Wind. In der Mitte der Fahne sind zwei gemalte rote Turnschuhe zu sehen, an den Seiten steht FASD und SAFE.
#FASday: FASD Ottawa Walk (Kanada)

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole“ Hamburg:

  • Ausbau des FASD Fachzentrums
  • Verbesserung der Diagnosemöglichkeiten bei FASD, vor allem für Erwachsene
  • FASD-Fortbildungen in Behörden, Kitas und Schulen
  • Ausreichende Beratungsangebote für Menschen mit FASD
  • Freizeit- und Ferienangebote für Kinder und Jugendliche mit FASD
  • Unterstützte Wohnformen für Erwachsene mit FASD

Die Beantragung von Hilfen – ein Dauerlauf mit Hindernissen

BTHG, EUTB, GdB, Heilpädagogischer Förderbedarf, Sonderpädagogischer Förderbedarf, Spezieller Förderbedarf, LSE, GE, KmE, SGB, KJSG, § 35a, ReBBZ, WAZ, systemische Ressource, persönliche Ressource, Förderkoordinator, Förderplan, UNBRK, SPZ, JPPD, JPD, Pflegestufe, Verhinderungspflege, AUL, Persönliches Budget, Eingliederungshilfe . . .

Steigen Sie noch durch?

Solchen Abkürzungen und Begriffen begegnen Eltern, die sich um Unterstützung bemühen für ihr Kind mit Behinderung. Das beginnt mit der Frühförderung. Geht weiter in Krippe, Kita und Schule. Und ist mit der Berufsvorbereitung und Ausbildung noch längst nicht zu Ende.

Als Eltern eines Kindes mit Behinderung lernt man schnell: Nichts geht einfach. Nichts geht schnell. Nichts ist auf Dauer. Nichts ist selbstverständlich. Nichts geht ohne Druck und Nachhaken.

Nein, damit meine ich nicht die Entwicklung unseres Kindes.

Damit meine ich die Bewilligung von Hilfen, die unser Kind benötigt, um sich gut zu entwickeln. Um wie alle Kinder in die Kita zu gehen oder in die Schule.

Oft komme ich mir vor wie eine Hürdenläuferin.

Die erste Hürde: Ich muss vorab bereits wissen, was es an Hilfen gibt.

Die zweite Hürde: Ich muss wissen, wer für die Bewilligung einer Hilfe zuständig ist.

Die dritte Hürde: Ich muss überzeugend nachweisen, was mein Kind an Hilfen benötigt und dass es einen Anspruch darauf hat.

Die vierte Hürde: Ich muss viel Geduld haben. Und ich muss aufpassen, dass das Bewilligungsverfahren nirgendwo stecken bleibt.

Die fünfte Hürde: Ich muss wissen, was bei der Bewilligung oder auch Ablehnung einer Hilfe zu tun ist.

Diesen Hürdenlauf absolviere ich nicht nur einmal sondern regelmäßig.

Denn: Kinder entwickeln sich. Daher sind bewilligte Hilfen in der Regel auf ein Jahr befristet. Die Tatsache, dass mein Kind eine lebenslange Behinderung hat und dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein wird, interessiert da nicht.

Erschwerend kommt hinzu: Mit jedem Entwicklungsschritt meines Kindes (von der Frühförderung in die Kita, von der Kita in die Grundschule usw.) wechseln die für die Bewilligung von Hilfen zuständigen Menschen und Behördenstellen. Müssen Bedarfe neu beantragt, ermittelt, begründet und geprüft werden. Beginnen wir als Eltern quasi wieder am Punkt Null.

Ein Beispiel:

Unser Kind war drei Jahre lang in der Kita. Jedes Jahr wuchsen die Anforderungen an unser Kind. Und damit auch sein Bedarf an Unterstützung.

Im letzten Kita-Jahr hatte unser Kind die Zuschlagstufe III. Damit ließ sich die inzwischen nötige 1:1 Betreuung halbwegs abdecken.

Dann stand der Wechsel in die Grundschule an. Als Eltern war uns klar: Unser Kind wird die inklusive Grundschule nur meistern, wenn es eine verlässliche Begleitung an seiner Seite hat.

Also haben wir Druck gemacht. Wir haben Schule und Kita ein Jahr vor der Einschulung zu einem gemeinsamen Gespräch zusammen gebracht. Wir haben noch während der Kita-Zeit einen Antrag auf Schulbegleitung gestellt. Wir haben selbst eine Schulbegleitung gesucht. So konnte unser Kind gut begleitet in die Grundschulzeit starten.

Wenn wir nichts gemacht hätten? Dann wäre unser Kind sehr wahrscheinlich ohne Unterstützung in die Schule gegangen. Spätestens am Ende der ersten Woche hätten wir einen Anruf erhalten, dass wir unser Kind bitte abholen sollten. Weil es ausgerastet wäre. Mit Büchern geworfen hätte. Oder noch schlimmeres.

Vielleicht wäre dann bereits die Beantragung von Hilfe in Gang gekommen. Vielleicht hätte das aber auch noch eine Weile gedauert.

Auf jeden Fall hätte unser Kind bereits in der ersten Klasse seinen Stempel weg gehabt: als schlecht erzogen, unberechenbar, gewalttätig, schlimmstenfalls sogar als unbeschulbar.

„Ihr Kind erhält die Luxus-Variante schulischer Inklusion!“

Kennen Sie den schon?

„Unser Kind erhält die Luxus-Variante der schulischen Inklusion in Hamburg!

Es erhält jetzt eine individuelle Förderung – nach drei Jahren in der inklusiven Stadtteilschule und langen Kämpfen mit der Schulbehörde.

„Wo die Förderung stattfindet?

„Natürlich außerhalb der Schule, bei der Lerntherapeutin!

Auf die Außenwand eines Gebäudes ist ein roter Elefant gezeichnet. Auf seinem Bauch befindet sich ein weißer Schriftzug „Enjoy a Joke“, in Anlehnung an das Coca-Cola Flaschenlogo gestaltet. Rechts neben dem Elefanten sieht man einen Plakatausschnitt, auf dem zwei Menschen herzhaft lachen.

Manche Dinge sind nur mit Humor zu ertragen. So ergeht es mir inzwischen oft mit der schulischen Inklusion in Hamburg.

Das beste, was ich im letzten Schuljahr zu hören bekam, war: „Ihr Kind erhält bereits die Luxus-Variante schulischer Inklusion in Hamburg! Wollen Sie etwa noch mehr?“

Sie interessiert, wie Luxus auf hanseatisch aussieht? Das erzähle ich Ihnen gerne:

Unser Kind hat seit 2 Jahren Lerntherapie. In einer Praxis außerhalb der Schule. Das ist das beste, was unserem Kind (und uns) seit der fünften Klasse passiert ist!

Die Lerntherapeutin holt unser Kind dort ab, wo es steht.

Sie hat sich intensiv mit der Behinderung unseres Kindes auseinandergesetzt.

Sie versteht die Rechenstrategien unseres Kindes.

Sie hat mit unserem Kind geübt, beim Schreiben oben auf der Seite und vorne im Heft zu beginnen.

Sie hat uns bestätigt, dass unserem Kind die zeitliche Orientierung schwer fällt. Hat mit ihm Monate und Jahreszeiten geübt und zugeordnet.

Sie hat zusammen mit unserem Kind die gesamte Lerntherapie-Praxis mit dem Zollstock vermessen.

Unser Kind geht jedesmal hoch motiviert zur Lerntherapie. Es merkt: Was ich hier lerne, hilft mir, im Alltag besser klar zu kommen.

Und die Schule?

Die sagt, sie hätte nicht genug Sonderpädagogen. Deshalb bezahlt sie die Lerntherapie.

Ansonsten geht die Schule weiterhin davon aus, dass unser Kind zielgleich mit seinen Klassenkameraden in Nebenfächern wie Gesellschaftswissenschaft, Physik, Chemie, Informatik oder Biologie unterrichtet werden kann. Dort findet gerade die Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss statt. (Den Ersten Schulabschluss hat unser Kind nicht mitgeschrieben. Den hätte es nicht geschafft.)

An einem Austausch mit der Lerntherapeutin scheint in der Schule bis auf die Sonderpädagogin niemand wirklich interessiert. Ich bin mir sicher: Der Mathelehrer weiß bis heute nicht, dass unser Kind weder multiplizieren noch dividieren kann.

Was macht das mit unserem Kind?

Es kommt immer häufiger aggressiv und genervt aus der Schule nach Hause. (Immerhin geht es noch zur Schule!)

Als Eltern setzen wir unsere Hoffnung wieder auf Praktika. Die waren bereits im letzten Schuljahr Gold wert für unser Kind.

Wer wird diese Praktika organisieren? Drei mal dürfen Sie raten!

Auch bei der angeblichen Luxus-Variante schulischer Inklusion bekommen Eltern in Hamburg nichts geschenkt.

Elegante rote Abendschuhe mit sehr hohen Absätzen

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole“ Hamburg:

  • Deutliche Verbesserung der sonderpädagogischen Förderung in Regelschulen
  • Einführung eines verpflichtenden differenzierenden Unterrichts an allen Schulen
  • Einsatz von Lerntherapeuten in Schulen

Stand der schulischen Inklusion 2021

Die Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung BSB hat in den letzten Jahren zahlreiche Handreichungen zur schulischen Inklusion herausgegeben. Was die Theorie angeht, ist man in Hamburg gut aufgestellt!

Aber wie sieht es vor Ort in den Regelschulen mit der Inklusion tatsächlich aus?

Seit fünf Jahren wird unser Kind mit einer Behinderung (FASD) an einer Stadtteil- und Schwerpunktschule inklusiv beschult.

Seit fünf Jahren bin ich an eben dieser Stadtteilschule als Elternvertreterin und Mitglied des Elternrats in Sachen Inklusion unterwegs.

Hier einige von mir gesammelte Stimmen zur Inklusion aus den letzten zwei Jahren:

„Meine Aufgabe ist es, Schülerinnen und Schüler erfolgreich in Ausbildung zu bringen. Um die behinderten Schüler in meiner Klasse kümmern sich die Eltern.“ (Lehrer in der Mittelstufe)

„Lehrerinnen und Lehrer in Mathematik oder Naturwissenschaften können gar nicht richtig differenzieren. Natürlich mache ich das.“ (Sonderpädagogin in der Mittelstufe)

“Vom Mathelehrer kann ich nicht erwarten, dass er unser Kind individuell fördert. Der muss sich doch um die andern Kinder kümmern.“ (Mutter eines Kindes mit Dyskalkulie. Das Kind erhält die nötige individuelle Förderung über eine privat finanzierte Lerntherapie.)

“Jeder neuen Lehrerin, jedem neuen Lehrer müssen wir erklären, dass unser Kind Anspruch auf Nachteilsausgleich hat.“ (Vater eines Kindes mit ausgeprägter Lese-Rechtschreib-Schwäche)

„Für die Differenzierung sind die Sonderpädagogen zuständig.“ (Lehrerinnen und Lehrer in Unter- und Mittelstufe)

“Für einige Kinder und Jugendliche ist die Inklusion sicherlich gut. Aber nicht für die mit schweren Behinderungen.“ (Vater im Elternrat)

“Ihr Kind zeigt sich im Unterricht kaum auffällig. Deshalb hat es keinen großen Förderbedarf. Den haben vor allem die Kinder und Jugendlichen, die so auffällig sind, dass sie regelmäßig den Unterricht sprengen.“ (Förderkoordinatorin)

Ihr Kind kann die Klassenarbeit ruhig mitschreiben. Wird ja eh nicht benotet, da es zieldifferenziert unterrichtet wird.“ (Lehrer in der Mittelstufe)

“Es tut mir leid, aber die Mathetestung Ihres Kindes hat ergeben, dass es erst auf dem Stand Anfang zweiter Klasse ist.“ (Sonderpädagogin zu den Eltern einer Schülerin in Klasse 8!)

“Unterrichtsmaterialien für den Grundschulbereich finde ich in der Schulbibliothek nicht.“ (Schulbegleitung eines Kindes, das zieldifferenziert unterrichtet wird)

“Ihr Kind hat zwar einen speziellen Förderbedarf. Aber uns fehlen leider die Sonderpädagogen, um die individuelle sonderpädagogische Förderung abzudecken, die Ihrem Kind zustände.“ (Förderkoordinatorin)

Fazit:

Auf dem Papier ist die Inklusion fest verankert. In der Praxis ist sie noch längst nicht angekommen.

Zu oft fehlen in Hamburgs Regelschulen Fachwissen, gut erprobte Konzepte, verlässliche Kommunikationsstrukturen und vor allem ausreichende Ressourcen. Doch daran liegt es nicht allein.


Immer noch zu oft werden Kinder mit Behinderungen als etwas besonderes, etwas nicht normales, etwas zusätzliches oder gar belastendes angesehen.

In einer inklusiven Schule ist jedes Kind normal oder besonders – je nach Sichtweise. Jedes Kind ist gleich wertvoll!

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole“ Hamburg: Entwicklung einer Haltung, die Menschen mit Behinderungen als selbstverständlich ansieht und mitdenkt – nicht nur in der Schule, sondern überall.

Das Gehirn: unendliche Weiten – Oder: Probieren wir es doch mal mit Neurodiversität!

Mein Großvater war hirnverletzt. Aus dem Krieg brachte er Bombensplitter in seinem Kopf mit nach Hause. Die begleiteten ihn, bis er im Alter von 78 Jahren starb.

Die Splitter im Kopf verursachten immer wieder Schmerzen. Das machte meinen Großvater depressiv und aggressiv zugleich. Das war nicht leicht für seine Frau und seine Kinder.

Unser Pflegekind hat keine Splitter im Kopf. Sein Gehirn ist durch einen vorgeburtlichen Alkohol- und Drogenkonsum auf Dauer verändert. Wenn zu viele Dinge gleichzeitig auf unser Kind einströmen, ist es überfordert und reagiert aggressiv. Oder es schaltet ab und verweigert sich.

Als junge Frau habe ich ein Jahr lang mit Menschen mit einer Cerebralparese zusammen gelebt und gearbeitet. Bei einer Cerebralparese können sich Gehirn und Muskulatur nicht richtig miteinander verständigen. Menschen mit Cerebralparese haben Schwierigkeiten, ihre Bewegungen zu steuern. Sie haben Spastiken. Ihr Gleichgewicht ist gestört.

Bei autistischen Menschen wird vermutet, dass ihre unterschiedliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung auf unterschiedlichen Verarbeitungsprozessen im Gehirn beruhen.

Innenansicht eines Gehirns

Fragt man nach den Gemeinsamkeiten von Menschen mit Hirnverletzungen, FASD, Cerebralparese oder Autismus, so könnte eine Antwort darauf lauten:

Die Gehirne dieser Menschen sind geschädigt oder gestört. Dadurch sind sie dauerhaft eingeschränkt.

Diese Antwort geht von einer defizitär ausgerichteten Sichtweise aus. Das heißt:

Es gibt eine Norm. Alles, was von dieser Norm abweicht, ist schlecht, nicht normal, kaputt oder krank.

Viele Menschen mit Behinderung werden bis heute so definiert: Als Menschen, die nicht laufen, nicht sprechen, nicht hören, nicht sehen oder nicht richtig denken können.

Regenbogenfarbenes Unendlichkeitszeichen als Symbol für Autismus und Neurodiversität

Man kann aber auch sagen:

Die Gehirne dieser Menschen ticken anders: Sie sind anders verdrahtet und geschaltet. Deshalb entwickeln sie sich anders, nehmen anders wahr und kommunizieren anders.

Die Wissenschaft bezeichnet dies als Neurodiversität.

Neurodiversität bedeutet neurologische Vielfalt. Jeder Mensch, jedes Gehirn ist anders. Es gibt nicht den einen neurobiologischen Bauplan, sondern viele verschiedene. Damit entfällt die Unterscheidung zwischen gut oder schlecht, gesund oder krank, heile oder kaputt, normal oder behindert.

Jeder Mensch wird zu dem, was er ist: einzigartig und wunderbar!

Viele bunt bemalte Holzschuhe auf einer Bank

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: ein neues Verständnis von Behinderung, das sich nicht an Defiziten orientiert, sondern jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit Wert schätzt!

Umgang mit Vielfalt

Zwölf unterschiedliche Schuhe (darunter zwei rote) stehen zu einem Kreis angeordnet auf einer Kieselfläche.

Auf einem Spielplatz in Bergedorf. Unser Kind ist knapp drei Jahre alt und spielt mit einer Freundin aus der Krabbelgruppe. Eine weitere Mutter kommt mit ihren Kindern auf den Spielplatz. Eins davon möchte gerne mitspielen. Die Freundin aus der Krabbelgruppe rennt zu ihrer Mutter, geht hinter deren Rücken in Deckung. Derweil teilt unser Kind die Schaufeln. Der Mutter aus der Krabbelgruppe ist das ganze sichtlich peinlich: „Meine Tochter hat noch nie ein schwarzes Kind gesehen.“

Gut ein Jahr später auf einem anderen Spielplatz. Eine nicht sehr alte Frau im Rollstuhl sieht den Kindern beim Spielen zu. Die meisten Kinder (und Erwachsenen) schauen, scheinen verunsichert. Ganz selbstverständlich geht unser Kind auf die Frau zu und erkundigt sich, ob ihr Rollstuhl einen Elektroantrieb habe. Denn: Mit Rollstühlen kenne es sich aus. Sein Kumpel aus der Frühfördergruppe habe gerade einen neuen E-Rolli bekommen, während sein Bobby Car leider nur Fußantrieb habe.

Wieder einige Jahre später. Unser Kind ist inzwischen ein Schulkind. Wir besuchen die Oma im Krankenhaus. Sie hatte einen Schlaganfall und kann nicht laufen. Im Krankenzimmer steht ein Rollstuhl. Unser Kind ist begeistert: „Oma, keine Sorge. Den erklär ich dir ganz genau. Und dann schieb ich dich!“

Warum schreibe ich das? Weil ich es toll finde, wie selbstverständlich unser Kind mit vielem umgeht. Und das ganz ohne unser Zutun als Eltern.

Zeichnung eines Baumes, auf dessen Ästen viele unterschiedliche Kinder sitzen.

Denn: Bevor es zu uns kam, hat unser Kind zehn Monate in einem Kinderheim gelebt, gemeinsam mit Kindern (und Erziehern) in vielen verschiedenen Hautfarben. Für unser Kind ist es seitdem völlig normal, dass Menschen unterschiedlich aussehen.

In seinen ersten Lebensjahren war unser Kind sehr entwicklungsverzögert. Daher besuchte es lange Zeit eine integrative Frühfördergruppe. Hier hat unser Kind gelernt, dass es völlig okay ist, dass einige Kinder nicht laufen können. Oder nicht sprechen. Dafür nutzen sie spannende Hilfsmittel zur Fortbewegung. Und zur Kommunikation.

Viel wichtiger für unser Kind war es, in jeder Gruppenstunde die Rosinen aus dem rohen Brötchenteig zu picken. Natürlich gemeinsam mit den anderen Kindern. Denn alle mochten Rosinen – Behinderung hin oder her. Und alle haben sich anschließend gemeinsam wie Bolle gefreut, wenn sich die Erwachsenen darüber wunderten, wo denn die Rosinen in den fertig gebackenen Rosinenbrötchen geblieben waren.

Wenn Kinder von klein auf zusammen in Vielfalt leben, dann wird Vielfalt für sie zu etwas selbstverständlichem.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: ein selbstverständliches Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung – in Kindergärten und Schulen, auf Spielplätzen, beim Ferienprogramm, auf Freizeiten, in Sportvereinen, einfach überall.

FASD und Schule

Den meisten Kindern mit FASD sieht man ihre Behinderung von außen nicht an. Sie verfügen über eine große sprachliche Kompetenz. Im direkten Umgang sind sie freundlich, motiviert und zugewandt. Und dennoch haben fast alle von ihnen gravierende Probleme in der Schule. Woran liegt das?

Zeichnung eines menschlichen Gehirns

Bedingt durch die vorgeburtliche Schädigung von Gehirn und Nervensystem können sich Kinder mit FASD nur schwer konzentrieren, vergessen viele Dinge, sind unruhig und impulsiv.

Vielen fehlt ein genaues Verständnis von Zeit und Raum.

Das Verhalten ihrer Mitmenschen können Kinder mit FASD ebenso schwer einschätzen wie Gefahren. Daher sind sie äußerst leicht verführbar.

Aus Erfahrungen können sie nicht lernen, ihre Handlungsplanung ist stark eingeschränkt.

Aufgaben können sie nur bewältigen, wenn diese in viele kleine Arbeitsschritte eingeteilt sind.

Überdies zeigen viele Kinder mit FASD Entwicklungsverzögerungen, Teilleistungsschwächen und Lernschwierigkeiten.

Ein Kind malt mit Kreide auf einer Tafel.

Von außen ganz normal wirkend und sprachlich kompetent, werden Kinder mit FASD von ihrer Umwelt regelmäßig überschätzt. Das gilt ganz besonders für die Schule. Hier geraten Kinder mit FASD immer wieder in Überforderungssituationen, auf die sie äußerst heftig reagieren können, sei es mit wüsten verbalen Beschimpfungen, körperlichen Angriffen auf Lehrer und Mitschüler oder einer völligen Verweigerung.

Dieses „auffällige Verhalten“ wird von Seiten der Schule (zu) häufig als schlechtes Benehmen, Widerspenstigkeit oder Faulheit fehlinterpretiert und entsprechend sanktioniert, was eine erneute Überforderung der  Kinder zur Folge hat.

Diese „Teufelskreise“ lassen sich nur dadurch aufbrechen, indem die Schule die Bedürfnisse von Kindern mit FASD erkennt und Unterricht und Schulalltag daran anpasst. Dazu ist es nötig, FASD als eine lebenslange organische Behinderung zu begreifen, die eine spezielle sonderpädagogische Förderung nötig macht.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Anerkennung eines speziellen sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Kindern und Jugendlichen mit FASD !

Wie läuft es mit der Inklusion in Hamburgs Schulen?

Im Oktober 2009 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft einstimmig eine Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes. Seitdem haben alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Hamburg einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer allgemeinen Schule. 

Im März 2012 stellte der Hamburgische Senat sein „Konzept für inklusive Bildung“ vor. Damit wurde ein erster wichtiger Schritt eingeleitet auf dem Weg zu einer inklusiven Schule für alle, wie sie Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert. 

Die bisherigen Förder- (früher Lernbehinderten-) und Sprachheilschulen wurden aufgelöst. Gemeinsam mit den Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen REBUS ( für besonders verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler) wurden sie zu 13 neuen Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) zusammengeschlossen. 

Gleichzeitig wurden die an einigen allgemeinen Schulen bestehenden integrierten Regelklassen abgeschafft. Alle Klassen an allgemeinen Schulen sind seitdem für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und/oder emotionale-soziale Entwicklung geöffnet. 

Die speziellen Sonderschulen für Kinder mit Behinderung in den Bereichen Hören, Sehen, geistige Entwicklung und körperlich-motorische Entwicklung blieben weiter bestehen. Schülerinnen und Schüler mit speziellem Förderbedarf in diesen Bereichen haben allerdings seitdem die Möglichkeit, anstelle einer Sonderschule eine allgemeine Schwerpunktschule zu besuchen.

Mit diesen 2009 und 2012 getroffenen Regelungen vollzog Hamburg einen beeindruckenden Start in die von der UN-Behindertenrechtskonvention geforderte schulische Inklusion. Seitdem gilt Hamburg als Vorreiter eines inklusiven Schulwesens in Deutschland.

Das Bild zeigt Unterbeine und Füße eines Menschen auf einer grünen Wiese. Der Mensch trägt lange schwarze Hosen und rote Turnschuhe.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2021. Wo steht Hamburg in Sachen schulische Inklusion heute? 

Nach dem beeindruckenden Start vor mehr als 10 Jahren ist Ernüchterung eingetreten. Nach wie vor dominiert die Segregation Hamburgs Bildungssystem: 

Sonderschulen bestehen nicht nur weiterhin, sondern verzeichnen seit einigen Jahren wieder steigende Schülerzahlen. 

Die alten Förderschulen sind über die Hintertür zurückgekehrt und verbergen sich nun hinter der Bezeichnung ReBBZ Schulen. Hier stagnieren die Schülerzahlen, gehen nicht weiter zurück.

Quellen: Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Bericht zum 4. Quartal 2020; Geschäftsbericht und Haushaltsrechnung für die Jahre 2017-2019, Haushalts- und Konzernrechnungen für die Jahre 2015-2016

Elternvertretung wurde von Beginn an nicht inklusiv gedacht: Die gesetzliche Elternvertretung der allgemeinen Schulen ist regional nach Schulkreisen in 15 Kreiselternräten (KER) organisiert. Parallel dazu gibt es den Kreiselternrat Hamburger Sonderschulen (KER SO) als gesetzliche Elternvertretung der Hamburger speziellen Sonderschulen sowie der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren.

Die Verwaltungsstrukturen innerhalb der Behörde für Schule und Berufsbildung sind weiterhin auf Trennung ausgerichtet. Neben einer bezirklich organisierten Schulaufsicht für allgemeine Schulen gibt es eine Schulaufsicht spezielle Sonderschulen / Schulbegleitung sowie eine Schulaufsicht Regionale Bildungs-und Beratungszentren (ReBBZ) / Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit/Autismus (BBZ). Die Themen Inklusion und Sonderpädagogik werden im Referat Gestaltung und Unterrichtsentwicklung exklusiv in einer eigenen Abteilung gedacht.

Der 2019 von der Behörde für Schule und Berufsbildung vorgelegte Schulentwicklungsplan hat ausschließlich staatliche Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien in Hamburg im Blick. Für die speziellen Sonderschulen und die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren sieht die Behörde eine gesonderte Planung vor.

In der öffentlichen Diskussion wird inzwischen wieder wie selbstverständlich von allgemeinen Schulen, Sonderschulen und Förderschulen gesprochen.

Fazit

Nach wie vor ist Hamburg weit entfernt von einem inklusiven Bildungssystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert. 

Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention ist ein inklusives Schulsystem für alle. Dies schließt eine Beibehaltung von unterschiedlichen Bildungssystemen in Form von allgemeinen Schulen, Sonderschulen und Förderschulen aus.

Die Politik in Hamburg ist aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und konkrete Pläne für eine Zusammenführung von Sonderschulen, ReBBZ Schulen und Regelschulen zu erarbeiten.

Erste Schritte hierzu können sein:

  • die Zusammenführung parallel existierender Verwaltungsstrukturen (z. B. Allgemeine Schulaufsicht – Aufsicht Sonderschulen – Aufsicht ReBBZ),
  • eine gemeinsame Organisation der Eltern- und Schülerräte von Regel-, Sonder- und Förderschulen auf Kreisebene,
  • eine verbindliche Zusammenarbeit von Regel- und Sonderschulen.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Erarbeitung eines konkreten Fahrplans für die Zusammenführung von Sonderschulen, ReBBZ und allgemeinen Schulen !

Digitalisierung in der Bildung konsequent inklusiv denken und umsetzen

Corona hat Schule verändert. Im Lockdown fand Schule plötzlich digital zu Hause statt und nicht mehr in Präsenz im Klassenzimmer.

Die Schule unseres Kindes gehörte zu den Vorzeigeschulen in Hamburg. Relativ schnell waren alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet. Der Schul-Server wurde genutzt, um Aufgaben und Arbeitsmaterialien zu übermitteln. Unterrichtsstunden fanden in Form von Zoomkonferenzen statt. Das war wirklich beeindruckend.

Allerdings: Der differenzierte Unterricht blieb auf der Strecke. Unser Kind saß vor dem Bildschirm und verstand kaum noch etwas. Das war nicht gut für das Selbstwertgefühl und auch nicht gut für die Stimmung.

Dabei bietet Digitalisierung gerade für die inklusive Bildung vielfältige Möglichkeiten:

  • Schüler*innen ohne eigene Lautsprache können über Apps mit anderen kommunizieren.
  • Schüler*innen mit Leseproblemen können sich über Smartphones und Tablets Texte vorlesen lassen.
  • Schüler*innen mit Schwierigkeiten im Schreiben können Texte diktieren.
  • Unterrichtsmaterialien lassen sich mi Hilfe von Apps gezielt auf individuelle Lernbedürfnisse zuschneiden. So lassen sich beispielsweise mit Book Creator Lernbücher erstellen, in denen Bilder, Filme oder Ton verschiedene Sinne ansprechen.

Eine nicht inklusiv gedachte Digitalisierung führt dagegen dazu, dass verschiedene Gruppen von Schülern erneut ausgegrenzt werden:

  • Schulplattformen wie I-Serv sind für Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten ohne fremde Hilfe kaum zugänglich.
  • Aufgabenformate im digitalen Unterricht, die sich überwiegend auf Lesen und Schreiben beschränken, hängen Schüler*innen mit Migrationshintergrund ebenso ab wie Schüler*innen mit Leserechtschreibschwäche, mit Sehbehinderung oder kognitiven Einschränkungen.
  • Unter dem verstärkten Druck, die Lernziele eines Jahrgangs zu erreichen, finden Differenzierung und Individualisierung im Lernen kaum noch Raum.

Hamburg hat das Recht auf inklusive Bildung gesetzlich festgeschrieben. Damit dies auch in der Praxis gut gelingen kann, gilt es, Digitalisierung konsequent inklusiv zu denken und barrierefrei zu gestalten.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Inklusive Bildung und Digitalisierung konsequent zusammen denken und umsetzen!

Unser Kind hat FASD

Unser Kind sieht aus wie andere Kinder.

Unser Kind spricht wie andere Kinder.

Unser Kind bewegt sich wie andere Kinder, fährt Fahrrad und schwimmt wie ein Weltmeister.

Unser Kind ist zu 70 Prozent schwerbehindert (mit dem Merkzeichen H), hat einen speziellen sonderpädagogischen Förderbedarf und Pflegestufe 2.

Geht das? Ja, das geht!

Unser Kind hat FASD.

Ultraschallbild eines Fötus im Mutterleib

FASD steht für Fetal Alcohol Spectrum Disorder. Übersetzt heißt das „Fetale Alkoholspektrumstörung“.

FASD entsteht, wenn Mütter während der Schwangerschaft Alkohol trinken. Durch die Giftstoffe des Alkohols werden die Organe und das zentrale Nervensystem der Föten irreparabel geschädigt. Betroffene Säuglinge leiden ein Leben lang an den Auswirkungen dieser Schädigungen.

FASD ist eine der häufigsten angeborenen Behinderungen weltweit. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland jedes Jahr deutlich mehr als 10.000 Kinder mit FASD geboren werden.

Trotzdem wissen immer noch viel zu wenig Menschen Bescheid über FASD.

Bauliche Barrierefreiheit ist wichtig!

In Hamburgs Sonder- und Schwerpunktschulen gibt es etliche Klassenräume, die für Schülerinnen und Schüler im Rollstuhl nicht erreichbar sind, da entsprechende Aufzüge fehlen.

Hinweisschild mit der Aufschrift "Barrierefreier Zugang", darunter ein Pfeil und ein Rollstuhlfahrerpiktogramm

Woran liegt das?

Die Behörde für Schule und Berufsbildung betrachtet derzeit Schulen bereits dann als barrierefrei, wenn

„alle Schülerinnen und Schüler im Rollstuhl oder mit Sehbeeinträchtigungen ohne Hindernisse einen Zugang zu Schulräumen haben oder dass bestimmte Räume speziell auf hörbehinderte Kinder ausgerichtet sind.“ (Schwerpunktschulen – hamburg.de)

Sprich eine Schule wird von der Schulbehörde bereits dann als barrierefrei angesehen, wenn zum Beispiel gehbehinderte Schülerinnen und Schüler einen barrierefreien Zugang zu Klassen- und Fachräumen im Erdgeschoss einer Schule haben.

Dies entspricht nicht der Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach Barrierefreiheit einen gleichberechtigten Zugang zu allen von Schülerinnen und Schülern genutzten Räumen bedeutet.

Mein Wunsch für eine „Inklusionsmetropole Hamburg“: Umfassende bauliche Barrierefreiheit in Hamburgs Schulen im Sinne von Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention!