In Hamburg startet das neue Startchancen-Programm der Bundesregierung.
Es spült der neuen Schulsenatorin Ksenija Bekeris in den nächsten 10 Jahren insgesamt 215 Millionen Euro in die Kasse.
Mit dem Geld sollen sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler beim Lernen der Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik sowie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden.
Für mehr Bildungsgerechtigkeit und gute Startchancen für alle.
Geld für Bildung an sich ist eine gute Sache.
Gute Bildung bedeutet mehr gesellschaftliche Teilhabe und bessere Lebenschancen.
Das stärkt die Demokratie und sichert die Zukunft unseres Landes.
Allerdings:
Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen werden im bundesweiten Startchancen-Programm – wieder einmal – vergessen.
Gute Startchancen für Menschen mit Behinderungen interessieren die Bundesregierung anscheinend nicht.
Obwohl das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an Bildung für Menschen mit Behinderungen seit 15 Jahren gesetzlich festgeschrieben ist.
Geht es um inklusive Bildung, dann heißt es derzeit von der Bundesregierung:
„Bildung ist Ländersache“.
Gleichzeitig zeigen das Startchancen-Programm und der Digital-Pakt:
Die Bundesregierung kann durchaus Verantwortung übernehmen in Sachen bundesweite Bildung.
So sie denn will.
Seit 4 Monaten warten 140 namhafte Vereine und Verbände und über 1.400 Einzelpersonen vergeblich darauf, dass die Bundesregierung den Offenen Brief #InklusiveBildungJetzt!beantwortet.
In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit und einer gleichzeitigen Radikalisierung in unserer Gesellschaft ein denkbar schlechtes Zeichen.
Dabei bietet inklusive Bildung den Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit für alle.
Copyright Inklusion-in-hamburg.de
Übrigens:
Inzwischen habe ich zwei blaue Briefe geschrieben und verschickt.
An die Bundesminister Hubertus Heil und Bettina Stark-Watzinger.
Eltern erhalten „blaue Briefe“ von der Schule, wenn die Versetzung ihrer Kinder gefährdet ist.
Meine blauen Briefe zeigen meine große Enttäuschung über das Schweigen der zwei Minister.
Es kann und darf nicht sein, dass in einem freiheitlich-demokratischen Land wie Deutschland das Menschenrecht auf Inklusion einfach ignoriert wird.
Wollt ihr auch blaue Briefe nach Berlin schicken?
Alle Informationen dazu und auch einen Beispiel- Brief findet ihr hier:
Zwischen März 2021 und Juni 2022 hatte die Hamburger Sozialbehörde ein breit angelegtes Beteiligungsverfahren durchgeführt.
Die Sozialbehörde wollte wissen:
Wie kann Inklusion in Hamburg verbessert werden?
Viele Menschen mit und ohne Behinderung haben darauf geantwortet.
Über 1.800 Vorschläge kamen so zusammen.
Dann begann das lange Warten.
Über ein Jahr lang waren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Hamburger Fachbehörden beschäftigt.
Sie haben die über 1.800 Vorschläge gesichtet, geordnet, zusammengefasst, gewichtet und bewertet.
Am Ende übrig blieben 66 konkrete Maßnahmen, verteilt auf 8 zentrale Handlungsfelder.
Das ist nicht gerade viel.
Hinzu kommt:
Auch die Inhalte vieler Maßnahmen sind mager bis enttäuschend.
Einiges deckt sich nicht mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Und auch nicht mit den Empfehlungen aus der 2./3. deutschen Staatenprüfung 2023 in Genf.
Mit meiner Kritik bin ich nicht alleine.
Die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, Ulrike Kloiber, mahnt in ihrer Stellungnahme zur Neufassung des Landesaktionsplans 2023:
Bei den meisten Maßnahmen fehlen konkrete Ziele.
Bei den meisten Maßnahmen fehlen konkrete Zeitangaben, ab wann sie beginnen sollen und bis wann sie umgesetzt sein sollen.
Generell fehlen Angaben und Vorschläge, wie sich Eignung und Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen lassen.
Es wird nicht deutlich, welche tatsächlichen Fortschritte Hamburg bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bislang gemacht hat.
Es fehlen konkrete Ansprechpartner, die für die Umsetzung der Maßnahmen zuständig sind.
Auch die Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. hat sich zur Neufassung des Landesaktionsplans 2023 geäußert.
Sie lobt: Mit dem Beteiligungsverfahren konnten viele Betroffene erstmals ihre Erfahrungen und Forderungen vortragen.
Dann führt sie kritisch an:
Weiterhin bestehen in Hamburg zu viele Hürden für Menschen mit Behinderungen.
Betroffene wünschen sich endlich spürbare Verbesserungen in ihrem Alltag.
Der Landesaktionsplan bleibt hinter den Erwartungen vieler Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen zurück.
In diesem Bericht kommen ausschließlich Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertreter zu Wort.
Sie stellen vor, wie ein inklusives Hamburg in ihren Augen aussehen sollte.
Und sie werden klar und deutlich Stellung beziehen zum jetzt vorgelegten Landesaktionsplan 2023.
Übrigens:
Bereits bei der Vorstellung des Landesaktionsplans 2023 auf der Landespressekonferenz Hamburg war zu spüren, welchen Stellenwert der Hamburger Senat dem Landesaktionsplan und seiner Umsetzung einräumt.
15 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland und 11 Jahre nach dem ersten Landesaktionsplan in Hamburg führte Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer tatsächlich an:
„Jetzt bedeutet ein Inkrafttreten nicht immer notwendigerweise, dass man sofort Maßnahmen aus einer gesetzlichen Regelung umsetzen kann.“
Zuvor hatte die Sozialsenatorin den neuen Landesaktionsplan damit beworben, dass auch Menschen ohne Behinderung von den Maßnahmen profitieren würden.
Außerdem erinnerte sie daran: Jeden kann irgendwann eine Behinderung treffen.
Dies zeigt mir:
Der Hamburger Senat hat den Kern der UN-Behindertenrechtskonvention nicht verstanden. Oder er will ihn nicht verstehen.
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention braucht keine Rechtfertigung.
Sie ist eine Verpflichtung.
Denn es geht um Menschenrechte.
Als Mutter eines Kindes mit Behinderung in Hamburg erwarte ich deutlich mehr von der Hamburger Politik als das, was der Hamburger Senat mit dem neuen Landesaktionsplan 2023 geliefert hat.
Mehr zu einzelnen Inhalten des neuen Landesaktionsplans finden Sie hoffentlich möglichst bald hier in meinem Blog.
Den gesamten Landesaktionsplan 2023 zum Nachlesen finden Sie hier.
Die Frauen und Männer der Ombudsstelle Inklusive Bildung erhalten und bearbeiten jedes Jahr weit über 100 Anfragen von Eltern und Schülern, die Probleme mit der sonderpädagogischen Förderung haben.
Die zentralen Themen dieser Anfragen haben sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert.
Immer wieder geht es um
Probleme bei Nachteilsausgleichen und Förderplanung,
unfreiwillige Schulzeitverkürzungen,
Probleme beim zieldifferenzierten Unterricht,
Probleme bei Schulbegleitungen,
Bildung und Erziehung bei Autismus-Spektrum-Störungen,
Bildung und Erziehung bei Schülerinnen und Schülern mit einer fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD),
Zuweisungen zu Schwerpunktschulen.
Die vielen Anfragen weisen auf ein strukturelles Problem der Inklusion in Hamburgs Regelschulen hin.
Nämlich die nach wie vor nicht selbstverständliche Ausgestaltung und Umsetzung eines individualisierten Unterrichts für alle.
Inklusive Bildung denkt vom Kind aus.
Wo steht ein Kind? Was braucht ein Kind?
Und zwar unabhängig von einer Behinderung.
Ziel der inklusiven Bildung ist es, jedes Kind bestmöglich zu fördern.
Damit es später als erwachsener Mensch selbst bestimmt und möglichst selbständig an unserer Gesellschaft teilhaben kann.
Dies umzusetzen ist herausfordernd.
Es bedeutet zum Beispiel eine individuelle Förderplanung für jedes Kind.
An der alle beteiligt sind: Lehrkräfte, Therapeuten, Beratungskräfte, Schulbehörde, Eltern – und auch das Kind.
Bei dieser Förderplanung müssen Toilettengänge und Schulwege genauso selbstverständlich mitgedacht werden wie Kompetenzen in Mathe, Deutsch und Englisch.
Schule muss zu einem Bildungsort für alle werden.
Mit angepassten Unterrichtsmaterialien.
Mit Rückzugsräumen und reizarmen Lernumgebungen.
Mit Therapieräumen und viel Platz zum Bewegen.
Mit überschaubaren Lerngruppen und multi-professionellen Teams.
Das funktioniert nur mit beweglichen Strukturen. Mit Zusammenarbeit und der Bereitschaft, gemeinsam und voneinander zu lernen.
Und zwar auf allen Ebenen: In der Schule, mit Eltern, mit Verwaltung, mit Wissenschaft und Politik.
Um solch ein lernendes System umzusetzen, braucht es einen klaren politischen Willen.
Doch ob der zur Zeit in unserer Stadt gegeben ist?
Die Frauen und Männer der Ombudsstelle wünschen sich bereits seit 2022 von der Schulbehörde, durch Corona ausgesetzte Arbeitsgruppen und den Beirat Inklusion wieder aufzunehmen.
Der gerade vorgestellte Landesaktionsplan 2023 enthält ein klares Bekenntnis zum Festhalten am Sonderschulsystem.
Außerdem soll die Inklusion nicht in allen Regelschulen gleichermaßen gefördert werden.
Sondern nur in den sogenannten Schwerpunktschulen.
Zwar wird im Landesaktionsplan das Ziel formuliert, „dass der Besuch einer allgemeinen Schule einen Mehrwert gegenüber anderen Schulformen bieten muss – durch konsequent gelebte Inklusion und ein positives Schulerlebnis besonders auch für Menschen mit Behinderungen.“
Allerdings bezweifle ich, dass dies jemals Wirklichkeit wird, solange Hamburg an seinen zwei Schulsystemen (Regelschule und Förderschule) festhält.
Wie ist Hamburg bei der Umsetzung von Inklusion in seinen Schulen im Jahr 2023 vorangekommen?
Die Stadt gilt nach wie vor als Vorbild, was schulische Inklusion angeht.
Und im Vergleich mit anderen Bundesländern ist Hamburg sicherlich schon weit gekommen.
Trotzdem ist die Stadt noch weit entfernt von einem inklusiven Schulsystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.
Nämlich einem Schulsystem, in dem Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen. Und zwar in einer Schule für alle.
Nach wie vor gibt es in Hamburg ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem.
Bestehend aus 26 staatlichen Sonderschulen und 5 privaten Sonderschulen.
Hier wurden im Schuljahr 2022/23 mehr als 4400 Schülerinnen und Schüler exklusiv unterrichtet.
Das waren rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen.
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten und speziellen Förderschwerpunkten sind hier zusammengefasst.
An diesen Zahlen hat sich in den letzten fünf Jahren nicht wirklich etwas verändert.
Und so wird es wohl auch in Zukunft bleiben.
Bildungsforscher gehen davon aus, dass die Exklusionsquote in Hamburg bis 2035 bei 2,66 stehen bleibenwird.
Die Exklusionsquote gibt den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen an, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden. Und zwar gemessen an allen Schülerinnen und Schülern mit Vollzeitschulpflicht (Jahrgangsstufen 1 bis 9 bzw. 10).
Bei ihren Berechnungen für Hamburg stützen sich die Bildungsforscher auf Zahlenmaterial, das von der Hamburger Schulbehörde für die Kultusministerkonferenz der Länder zusammengestellt wurde.
Klaus Klemm: Inklusion in Deutschlands Schulen: Eine bildungsstatistische Momentaufnahme 2020/21, Gütersloh 2022, S. 18.
Die Zahlen zeigen:
Bis 2035 wird in Hamburg ein großer Teil von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen weiterhin an Sonderschulen unterrichtet werden.
Damit scheint die Hamburger Politik zufrieden.
Denn:
Hamburg hat zwar das Recht auf Inklusion in seinem Schulgesetz verankert.
Allerdings will die Stadt ihr Sonderschulsystem nicht aufgeben.
Eltern sollen auch in Zukunft wählen können, ob ihr behindertes Kind in einer Regelschule oder in einer Sonderschule beschult wird.
Das verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin stellte bereits 2017 klar:
Die Aufrechterhaltung zweier Schulsysteme lässt sich menschenrechtlich nicht über das Elternwahlrecht rechtfertigen.
Der Staat darf seine Verantwortung für einen schulischen Systemwechsel nicht an Eltern abgeben.
Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht. Warum es die inklusive Schule für alle geben muss (Position Nr. 10), Berlin 2017.
Besonders Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen werden in Hamburg nach wie vor an Sonderschulen unterrichtet. Und zwar mit steigender Tendenz.
Das zeigt die Schulstatistik 2022/23:
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023.
Unter speziellen Förderbedarfe werden die Förderschwerpunkte geistige Entwicklung, körperlich-motorische Entwicklung, Hören, Sehen und Autismus zusammengefasst.
Aus: Das Schuljahr 2022/23 in Zahlen. Das Hamburger Schulwesen. Hrsg. vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg 2023.
In der Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen befinden sich mehrheitlich Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen, körperlichen Behinderungen, Sinnesbeeinträchtigungen und komplexen Behinderungen.
Also genau die Kinder und Jugendlichen, die eine zentrale Zielgruppe bei der Umsetzung von inklusiver Bildung sein sollten.
Doch die meisten dieser Kinder und Jugendlichen nehmen an Inklusion nach wie vor nicht teil.
Im Gegenteil.
Im Schuljahr 2022/23 wurden in Hamburg deutlich mehr Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen exklusiv an Sonderschulen unterrichtet als zu Beginn der schulischen Inklusion.
Nach der Einführung der schulischen Inklusion haben vor allem Schülerinnen und Schüler mit sogenannten geistigen Behinderungen an Sonderschulen zugenommen.
Gleiches gilt für Schülerinnen und Schüler, die sich keinem der klassischen Förderschwerpunkte zuordnen lassen. Hierunter fallen auch Schülerinnen und Schüler mit Autismusspektrumstörungen.
Außerdem stieg die Zahl der Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Emotional-soziale Entwicklung, die exklusiv an Sonderschulen unterrichtet werden.
Profitieren von der Inklusion konnten dagegen Schülerinnen und Schüler mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen und Sprache. Sie werden in Hamburg inzwischen meist an Regelschulen unterrichtet.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich übrigens auch in den anderen Bundesländern.
Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder (Hrsg.):
Sonderpädagogische
Förderung in Schulen
2011 bis 2020, Berlin 2022.Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder (Hrsg.):
Sonderpädagogische
Förderung in Schulen
2011 bis 2020, Berlin 2022.
Neben seinem Sonderschulsystem hat Hamburg nach Einführung der schulischen Inklusion auch an einem zweigliedrigen Schulsystem ab Klasse 5 festgehalten.
Stadtteilschulen nehmen seitdem die meisten Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen auf.
In Gymnasien dagegen fand auch im Schuljahr 2022/23 Inklusion kaum statt.
Diese Mischung von Inklusion und Exklusion in Hamburgs Schulen widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Im August 2023 prüften die Vereinten Nationen in Genf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Das Ergebnis war beschämend.
In fast allen Lebensbereichen ist Deutschland in den letzten 14 Jahren mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kaum vorangekommen.
Das gilt auch für die inklusive Bildung.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Deutschland nach wie vor in Sonderschulen unterrichtet.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland demonstrierte ich im August 2023 vor dem Uno-Hauptsitz in Genf. Zur gleichen Zeit fand drinnen die deutsche Staatenprüfung statt.
Was genau geschehen muss, damit Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen endlich in ganz Deutschland gemeinsam lernen können, hat der UN-Fachausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen klar benannt.
In diesen abschließenden Bemerkungen fordert der UN-Fachausschluss die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen dazu auf:
konkrete Zeitpläne zu erstellen, bis wann schulische Sondersysteme vollständig abgebaut sind.
konkrete Pläne zu erstellen, wie gemeinsame Schulen für alle möglichst zügig umgesetzt werden. Und zwar mit klaren Ressourcenzuweisungen, was Menschen, Technik und Geld angeht.
klar zu benennen, wer für die Umsetzung und Überwachung der Inklusion in Schulen zuständig ist.
Sensibilisierungs- und Bildungskampagnen zu starten. Um inklusive Bildung auf Gemeindeebene und bei den zuständigen Behörden zu fördern.
endlich sicherzustellen, dass alle Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können.
Bund und Länder und damit auch Hamburg sind nun gefordert.
Jugendberufsagenturen unterstützen junge Menschen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben:
Sie helfen bei der beruflichen Orientierung.
Sie helfen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.
Sie helfen bei Problemen während der Ausbildung.
Sie helfen beim beruflichen Anschluss nach der Ausbildung.
Und sie helfen auch bei finanziellen, familiären, gesundheitlichen oder anderen persönlichen Problemen, die den Weg ins Berufsleben erschweren.
Damit all dies gut gelingt, arbeiten in einer Jugendberufsagentur verschiedene öffentliche Einrichtungen Hand in Hand.
Die Jugendberufsagentur Hamburg wurde 2012 als erste Jugendberufsagentur in Deutschland gegründet. Und zwar durch einen Zusammenschluss der folgenden Einrichtungen:
Agentur für Arbeit Hamburg,
Jobcenter team.arbeit.hamburg,
Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB),
Bezirksämter und ihre Dienste,
Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.
Das übergeordnete Ziel der Jugendberufsagentur Hamburg lautet:
Kein junger Mensch darf verloren gehenbeim Übergang zwischen Schule und Beruf.
Damit sieht sich die Jugendberufsagentur ausdrücklich für alle jungen Menschen zuständig, die sich am Übergang von der Schule in die Berufsausbildung oder das Studium Beratung und Unterstützung wünschen.
Doch umfasst dieses alle tatsächlich alle jungen Menschen in unserer Stadt?
Die Antwortet darauf lautet bislang noch nein.
Junge Menschen mit Behinderung sind von den Angeboten der Jugendberufsagentur Hamburg weitgehend ausgeschlossen.
Denn: Für junge Menschen mit Behinderung ist in der Agentur für Arbeit die sogenannteReha-Abteilungzuständig.
Die Reha-Abteilung gewährt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Und zwar für alle langzeiterkrankten oder behinderten Menschen. Unabhängig von ihrem Alter.
Der Ausschluss von der Jugendberufsagentur und die Zuweisung zur Reha-Abteilung wirkt sich für junge Menschen mit Behinderung gleich in mehreren Punkten nachteilig aus.
Punkt 1:
Die Berater in der Jugendberufsagentur Hamburg arbeiten ausschließlich mit jungen Menschen zwischen 15 und 25. Sie sind also Profis im Umgang mit jungen Menschen.
Dagegen berät die Reha-Abteilung überwiegend Menschen, die bereits mitten im Berufsleben stehen. Und nur selten Jugendliche und junge Erwachsene, die ins Berufsleben starten wollen.
Punkt 2:
Die Jugendberufsagentur Hamburg ist bewusst dezentral organisiert. Ihre sieben Standorte sind über ganz Hamburg verteilt. So sollen Wege möglichst kurz gehalten werden.
Ganz anders die Reha-Abteilung. Sie ist zentral für ganz Hamburg in der Hauptagentur für Arbeit in der Kurt-Schumacher-Allee untergebracht. Das ist ein großes und unübersichtliches Gebäude mitten in der Hamburger Innenstadt.
Punkt 3:
Ein Kernziel der Jugendberufsagentur Hamburg ist es, Jugendliche möglichst direkt nach der Schule in eine Ausbildung zu vermitteln. Damit dies gelingt, arbeiten die Berater der Jugendberufsagentur eng mit weiterführenden Schulen zusammen.
Jugendliche an Stadtteilschulen lernen ihre Berufsberater bereits in Klasse 8 kennen. Mit dem Beginn der schulischen Berufsorientierung. Dabei wird zunächst nicht zwischen behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen unterschieden.
Spätestens in Klasse 10 erhalten behinderte Jugendliche an Stadtteilschulen zusätzliche Unterstützung bei der schulischen Berufsorientierung.
Allerdings führt diese „spezielle“ Unterstützung die inklusiv beschulten Jugendlichen nach Abschluss von Klasse 10 meist nicht in eine Ausbildung. Sondern so gut wie immer in den sogenannten Übergangsbereich. Gleichzeitig wird die Reha-Abteilung für die jungen Menschen zuständig.
Jugendliche ohne Behinderung dagegen behalten ihre Berater in der Jugendberufsagentur, bis sie 25 werden.
Jugendliche an speziellen Sonderschulen kommen überhaupt nicht in Kontakt mit der Jugendberufsagentur. Für ihre schulische Berufsorientierung ist von Anfang an die Reha-Abteilung zuständig.
Die Berater der Reha-Abteilung vermitteln Jugendliche aus Sonderschulen in der Regel in den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen oder in den Übergangsbereich.
Punkt 4:
Die Berater in der Jugendberufsagentur handeln auf und für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie sind eng mit Kammern, Unternehmen, Betrieben und Gewerkschaften vernetzt.
Ganz anders die Berater in der Reha-Abteilung. Sie bewegen sich größtenteils in Sonderwelten. Ihre Beratung orientiert sich vorrangig an Angeboten und Maßnahmen, die ausschließlich für Menschen mit Behinderung gedachtet sind.
Angeboten werden solche Maßnahmen meist von großen Bildungsträgern, die sich auf die Arbeit mit behinderten Menschen spezialisiert haben. Gleichzeitig finanzieren sich diese Bildungsträger über das Geld, das sie von der Agentur für Arbeit erhalten.
Punkt 5:
Die Jugendberufsagentur Hamburg arbeitet sehr erfolgreich. Schafften vor der Gründung der Jugendberufsagentur Hamburg nur 25 Prozent der Schulabgänger nach Klasse 10 den direkten Übergang in eine Ausbildung, sind es inzwischen rund 40 Prozent.
Ganz anders sieht dies bei der Reha-Abteilung aus. Nach Durchlaufen des Übergangsbereichs verschwinden die meisten jungen Menschen mit Behinderung von Anfang an im Sondersystem. Ohne jemals eine wirkliche Chance auf eine Teilnahme am allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten zu haben.
Einige Eltern von inklusiv beschulten Kindern mit sichtbaren Behinderungen vermeiden inzwischen ganz bewusst den Gang zur Agentur für Arbeit.
Sie sind sich sicher: Die Agentur für Arbeit weist ihre Kinder direkt der Reha-Abteilung zu. Und von da führt der Weg nur in eine Richtung – nämlich in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Und nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die UN-Behindertenrechtskonvention legt in Artikel 27 (Arbeit) unter Punkt d fest:
„Die Vertragsstaaten sind dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen.“
Nur so lässt sich eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben sicherstellen.
In Hamburg ist die Jugendberufsagentur die übliche und damit allgemeine Anlaufstelle für junge Menschen beim Übergang zwischen Schule und Beruf.
Die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit ist kein Teil der allgemeinen Berufsberatung. Sie ist ein Sondersystem für behinderte oder langzeiterkrankte Menschen.
Dieses Sondersystem geht davon aus, dass Menschen mit Behinderung besonders geschützt werden müssen.
Doch junge Menschen mit Behinderung brauchen nicht in erster Linie Schutz. Sie brauchen Chancen. Und zwar echte Chancen, die ihnen eine erfolgreiche Teilnahme am allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen.
Mit der Jugendberufsagentur verfügt Hamburg über eine Einrichtung, die darauf spezialisiert ist, junge Menschen in Arbeit zu bringen. Und zwar orientiert an deren Fähigkeiten, Stärken und Interessen. Davon dürfen junge Menschen mit Behinderung nicht länger ausgeschlossen werden.
Bereits im Sommer hatte sich immer mehr abgezeichnet:
Die Handelskammer Hamburg will keine Fachpraktiker-Ausbildung umsetzen.
Allerdings wollte die Handelskammer auch keine Fakten schaffen.
Bis zum Schluss hat sich die Handelskammer standhaft geweigert, den von uns gestellten Antrag auf Fachpraktiker-Ausbildung per Bescheid abzulehnen.
Denn gegen solch einen Bescheid hätten wir Widerspruch einlegen können. Mit berechtigten Chancen auf Erfolg.
Was dann folgte, war weniger schön.
Im September entschieden wir: Unser Kind fängt erst einmal mit der Vollausbildung an.
Damit es kein weiteres Jahr in der Warteschleife zubringen muss.
Das hat die Handelskammer für sich zu nutzen gewusst.
Nun führte die Handelskammer an:
Es geht nur eine Fachpraktiker-Ausbildung oder eine Vollausbildung. Beides wären zwei unterschiedliche paar Schuhe.
Wenn wir den Antrag auf die Fachpraktiker-Ausbildung nicht zurückzögen, wäre es fraglich, ob unser Kind zur Vollausbildung zugelassen werden könne. Denn dann wäre es ja definitiv zu „behindert“ für die Vollausbildung.
Darauf hat die Vormünderin unseres Kindes den Antrag auf Fachpraktiker-Ausbildung zurückgezogen. Um unserem Kind nicht zu „schaden“.
Was bedeutet das?
Zunächst einmal: Unser Kind ist super glücklich. Endlich macht es eine Ausbildung – so wie seine besten Freunde auch.
Allerdings: Die Berufsschule für unser Kind beginnt erst im Dezember.
Ab da wird es vermutlich mehr als schwierig werden für unser Kind.
Denn der Unterricht an der Berufsschule für Veranstaltungstechnik ist sehr anspruchsvoll.
Unser Kind weiß:
Wegen seiner Behinderung wird es nicht alles so verstehen und schaffen wie seine zukünftigen Mitschüler.
Das lässt sich – auch mit viel Unterstützung – nicht ändern.
Unser Kind weiß auch:
Ein erfolgreicher Abschluss als „Fachkraft für Veranstaltungstechnik“ ist mehr als ungewiss.
Trotzdem lässt sich unser Kind auf das Wagnis Ausbildung ein.
Denn:
Unser Kind möchte möglichst alles über Veranstaltungstechnik lernen, was ihm möglich ist.
Und zwar in einem Rahmen, der für Gleichaltrige ohne Behinderung normal und üblich ist.
Damit unser Kind später erfolgreich in der Veranstaltungstechnik arbeiten kann.
Vor einer Woche veröffentlichte das Hamburger Abendblatt einen ganzseitigen Artikel über die Fetale Alkoholspektrum-Störung FASD.
Und zwar an exponierter Stelle.
Normalerweise freue ich mich über solche Artikel. Ganz besonders als Mutter eines Kindes mit FASD.
Doch diesmal ist das anders.
Bereits den Anfang des Artikels finde ich problematisch:
„Eigentlich sollte es inzwischen wirklich jeder wissen: Schwangere dürfen keinen Alkohol trinken, denn dieser schädigt ihr ungeborenes Kind. Umso erschreckender ist, dass es trotzdem dauernd passiert“.
Hier wird mit dem moralischen Zeigefinger auf Mütter gezeigt: „Wie könnt ihr nur.“
Allerdings:
Wohl keine schwangere Frau trinkt mit der Absicht, ihrem ungeborenen Kind bewusst zu schaden.
Schwangere Frauen trinken:
weil sie sich amüsieren wollen und noch nicht wissen, dass sie schwanger sind.
weil ihnen immer noch Menschen sagen: „Ein oder zwei Schlückchen in der Schwangerschaft schaden doch nicht.“
weil sie gefangen sind in Drogen- oder Alkoholsucht.
weil sie andere schwerwiegende Probleme haben und dringend Unterstützung bräuchten.
Verurteilen wir leibliche Mütter von Kindern mit FASD, führt dies nur dazu, dass sie den Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft verheimlichen.
Das hilft keinem. Ganz besonders nicht den betroffenen Kindern.
Wichtig ist es, leiblichen Müttern vorurteilsfrei zu begegnen. Zusammen mit ihren betroffenen Kindern müssen wir ihnen einen schnellen Zugang zum Hilfesystem ermöglichen.
Auch die Sichtweise auf Menschen mit FASD, die in dem Artikel zum Ausdruck kommt, bereitet mir Bauchschmerzen.
Bereits sehr früh fällt der Begriff des „Dorfdeppen“:
„Früher hatten wir das Wissen nicht. Jedes Dorf hatte seinen ‚Dorfdeppen‘. […] Wenn wir uns diese heute angucken würden, liegt die Vermutung nahe, dass der eine oder andere eine Alkoholschädigung hatte.“
Auch wenn dies sicherlich nicht beabsichtigt ist:
Hier wird an alte Bilder und Vorurteile angeknüpft, die hängen bleiben.
Die einen durch das Weiterlesen des Artikels und darüber hinaus begleiten.
Und die Menschen mit FASD und ihre Bezugspersonen verletzen können.
Im weiteren Verlauf des Artikels wird vorgestellt, wie sich die durch Alkohol verursachte vorgeburtliche Hirnschädigung auf das Leben von Menschen mit FASD auswirkt:
Menschen mit FASD bleiben ein Leben lang anders.
Menschen mit FASD verhalten sich auffällig bis herausfordernd, oft auch gewalttätig.
Menschen mit FASD sind freundlich und treu.
Menschen mit FASD können aus Erfahrung nicht lernen.
Kinder mit FASD schaffen in der Regel kein Abitur, auch wenn viele von ihnen einen normal hohen IQ haben.
Menschen mit FASD sind ein Leben lang auf Fürsorge und Unterstützung angewiesen.
Hinter dieser Beschreibung von Menschen mit FASD versteckt sich ein immer noch tief verwurzeltes medizinisch geprägtes Verständnis von Behinderung:
Eine Behinderung wird gesehen als etwas, das vom „Normalen“ abweicht.
Wie eine „biologische Funktionseinschränkung“ oder eine „Krankheit“.
Dazu passen Begriffe wie „Fehlbildung“, „hirnorganische Schädigungen“ oder „Heilung“, die sich wie ein roter Faden durch den Artikel ziehen.
Diese rein medizinisch geprägte Sicht auf Menschen mit FASD halte ich für äußerst problematisch.
Betroffene werden ausschließlich über ihre Gehirnschädigung definiert und als defizitär betrachtet.
Dadurch werden Menschen mit FASD bewertet, entmündigt und diskriminiert.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat bereits vor über zehn Jahren klargestellt:
Ein Mensch ist nicht per se behindert. Er wird durch eine Umwelt behindert, die individuelle Unterschiede nicht berücksichtigt.
Unser Kind hat FASD.
Unser Kind weiß: Wegen seiner FASD hat es verschiedene Einschränkungen.
Diese Einschränkungen sind für unser Kind normal. So normal wie seine Augenfarbe.
Problematisch wird es erst, wenn die Umwelt unseres Kindes diese Einschränkungen ignoriert. Wenn sie etwas erwartet, dass unser Kind aufgrund seiner Einschränkungen nicht erfüllen kann.
Dann wird unser Kind behindert.
Das Bundesteilhabegesetz legt fest:
„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft […] hindern können.“
Dadurch ändert sich der Blick auf Behinderung.
Für Kinder und Jugendliche mit FASD bedeutet das zum Beispiel:
Nicht ihre Einschränkungen durch FASD sind schuld daran, warum sie kein Abitur schaffen. Stattdessen verhindern bestehende schulische Strukturen, dass junge Menschen mit FASD auf ihre Potentiale zugreifen und gleichberechtigt an Bildung teilhaben können.
Wollen wir Menschen mit FASD wirksam unterstützen, müssen wir lernen, ihre individuellen Einschränkungen nicht als Defizite zu betrachten.
Sondern als unveränderliches Merkmal und damit als Teil menschlicher Vielfalt.
Es besteht dringender Handlungsbedarf bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ganz besonders im Bereich inklusiver Bildung (Artikel 24).
Das ist die Botschaft unseres Offenen Briefes, der heute Mittag in Berlin an die Minister Hubertus Heil (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) und Bettina Stark-Watzinger (Bundesministerium für Bildung und Forschung) übergeben wurde.
Übergabe unseres Offenen Briefes vor dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (copyright: Berliner Bündnis für schulische Inklusion, 2023)
Mehr als 140 Verbände und Organisationen sowie mehr als 1.400 Einzelpersonen aus ganz Deutschland haben unseren Offenen Brief inzwischen unterzeichnet.
Darunter sind viele Eltern von Kindern mit Behinderung. Und auch viele Menschen, die im Bereich Bildung und Wissenschaft tätig sind.
Zu den unterzeichnenden Verbänden gehören unter anderem
der Paritätische,
die Sozialverbände VdK und SoVD,
der Grundschulverband,
die Gewerkschaft GEW,
der Verband Sonderpädagogik,
der Verband der Kinder- und Jugendmedizin,
die Lebenshilfe,
die LIGA Selbstvertretung
zahlreiche Selbstvertretungs- und Elternorganisationen.
Unser offener Brief richtet sich bewusst nicht an die Bundesländer. Sondern an den Bund.
Deutschland als Gesamtstaat muss sich endlich seiner vollen Verantwortung für die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland stellen.Die Rüge, die der Uno-Fachausschuss für die Rechte behinderter Menschen der Bundesregierung nach der Staatenprüfung ausgestellt hat, benennt dies klar und deutlich.
Zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zählt die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems für alle. Und zwar bundesweit.
Viel zu lange hat Deutschland seine Verantwortung für inklusive Bildung auf die Länder abgeschoben. Damit muss nun Schluss sein.
In unserem Offenen Brief fordern wir:
umfassende Aktionspläne für inklusive Bildung in allen Bundesländern,
eine einheitliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich,
ein offensives Eintreten für die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention in allen Bereichen,
eine bundesweite Aufklärungskampagne, die deutlich macht: Inklusion ist Menschenrecht. Inklusion ist Pflicht, keine Kür. Inklusion darf nicht mehr in das Belieben der Länder gestellt werden.
Alle jungen Menschen mit Behinderung müssen ihr Menschenrecht auf inklusive Bildung in einem inklusiven Schulsystem wahrnehmen können. Überall in Deutschland.
Sie wollen mehr über den Offenen Brief wissen?
Kein Problem! Den gesamten Brief sowie die Liste der Unterzeichner finden Sie hier.
Sie wollen den Offenen Brief gerne noch mit unterzeichnen?
Auch das ist noch möglich. Klicken Sie dafür bitte hier:
Sollte das Formular nicht funktionieren, können Sie mir auch gerne eine E-Mail schreiben:
silke-brockerhoff(ed)inklusion-in-hamburg.de
Antworten Sie einfach mit ‘Ja, ich möchte unterzeichnen!’ und geben Sie mir Ihren vollständigen Namen und Ihren Wohnort an. Bei Verbänden/Vereinen/Organisationen nehmen wir auch gern das Logo mit auf.
Mitstreiterinnen des Berliner Bündnisses für schulische Inklusion stehen vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin und präsentieren unseren Offenen Brief. (copyright: Berliner Bündnis für schulische Inklusion, 2023)
Wir freuen uns über Ihre Unterstützung. Denn: Inklusion schaffen wir!
Ende August hat der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geprüft.
Zur gleichen Zeit habe ich mit 30 weiteren Eltern und Unterstützern von Kindern mit Behinderung aus ganz Deutschland vor dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf protestiert:
Für inklusive Bildung und eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Inzwischen liegen die schriftlichen Ergebnisse der Prüfung vor und sind als „Abschließende Bemerkungen“ auf der Website des Ausschusses veröffentlicht.
In diesen „Abschließenden Bemerkungen“ richtet der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen klare Empfehlungen und Forderungen an die Bundesregierung, wie die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland besser umgesetzt werden soll.
Unter anderem mahnt der Ausschuss:
Die Bundesregierung darf die Verantwortung für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht mehr länger auf die Länder abschieben.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland demonstrierte ich vor dem Uno-Hauptsitz in Genf.
Dies haben wir aufgenommen und einen Offenen Brief an den Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil und die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger verfasst.
Heute wird dieser Offene Brief persönlich an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin übergeben. Und zwar von Müttern von Kindern mit Behinderung, die in Genf mit dabei waren.
Neulich war ich auf einer Veranstaltung von Leben mit Behinderung Hamburg.
Eingeladen war der Hamburger Schulsenator Ties Rabe.
Es ging um ein wichtiges Thema, nämlich Teilhabe an Bildung im Schuljahr 2023/2024:
Wie sind Hamburger Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in das neue Schuljahr gestartet?
Zahlreiche Eltern waren zu der gemeinsamen Diskussion gekommen.
Sie wollten vor allem ihren Ärger loszuwerden:
Ärger über nach wie vor fehlende Schulbegleitungen und überlastete Sonderpädagogen in den Regelschulen.
Aber auch Ärger über fehlende Sonderpädagogen und andere Fachkräfte in den speziellen Sonderschulen.
Den größten Raum nahm das Thema Schulbegleitung ein. Wie schon im letzten Schuljahr waren auch zu Beginn dieses Schuljahres viele Schulbegleiter-Stellen unbesetzt.
Das ist ein wichtiges Thema, das von der Schulbehörde unbedingt gehört werden muss.
Allerdings: Schulbegleitungen allein schaffen noch keine inklusive Bildung.
Selbst Schulsenator Rabe hätte lieber mehr darüber diskutiert, warum es mit der Umsetzung von Inklusion in Hamburgs Regelschulen immer noch so viele Probleme gebe. Obwohl seine Behörde die Zahl der pädagogischen und therapeutischen Stellen dafür massiv erhöht habe.
In der Tat ist dies eine äußerst wichtige Frage.
Denn diese Frage öffnet den Blick darauf, was wir eigentlich unter inklusiver Bildung verstehen.
Auch der Einsatz von zusätzlichen Sonderpädagogen bedeutet nämlich nicht automatisch ein mehr an Inklusion.
Werden Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in Regelschulen ausschließlich von Sonderpädagogen unterrichtet, dann ist das keine inklusive Bildung. Traditionelle Sonderformen der Beschulung bleiben bestehen.
Die Vereinten Nationen haben festgelegt: Jeder Mensch hat das Recht auf inklusive Bildung!
Wie inklusive Bildung aussieht und funktioniert, haben die Vereinten Nationen genau beschrieben.
Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht – festgelegt in Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention.
Inklusive Bildung bedeutet: Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen werden gemeinsam unterrichtet.
Inklusive Bildung stellt sicher: Jeder Mensch erhält die ihm bestmögliche Bildung. Damit er wirksam am Leben in unserer Gesellschaft teilnehmen kann.
Inklusive Bildung erfordert neue Formen des Unterrichts, ausgerichtet an den individuellen Bedarfen der Lernenden.
Inklusive Bildung funktioniert nur, wenn alle, die im Bildungswesen arbeiten, gut darauf vorbereitet werden.
Die Umsetzung von inklusiver Bildung ist ein fortlaufender Prozess.
Dieser Prozess muss regelmäßig überwacht und evaluiert werden.
Auch das schreiben die Vereinten Nationen vor.
Doch genau das passiert in Deutschland viel zu wenig.
Gerade erst hat der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen angemahnt:
Die deutsche Bundesregierung tut viel zu wenig für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Sie muss endlich Verantwortung übernehmen und die Umsetzung von inklusiver Bildung aktiv vorantreiben.
Es reicht nicht aus zu sagen: Bildung ist Ländersache.
Der Hamburger Schulsenator Rabe erklärte auf der Veranstaltung bei Leben mit Behinderung Hamburg:
Die Hamburger Behörde für Schule und Bildung liefere ausreichend „know how“ und Ressourcen für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Was daraus gemacht werde, sei Sache jeder einzelnen Schule.
Wie auf Bundesebene wird auch hier Verantwortung verschoben. In diesem Fall von der Landesregierung auf die Schulen.
Das darf nicht sein.
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Hamburg zur Umsetzung von inklusiver Bildung verpflichtet.
Senat und Bürgerschaft müssen endlich einen genauen Fahrplan erstellen, bis wann inklusive Bildung in Hamburg umgesetzt sein soll.
Sie müssen für ausreichende Ressourcen sorgen, damit dieser Fahrplan erfolgreich eingehalten werden kann.
Und sie müssen die Umsetzung dieses Fahrplans regelmäßig kontrollieren und evaluieren.
2009 haben Bund und Länder die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet.
Damit haben sich Bundesregierung und Landesregierungen dazu verpflichtet, inklusive Bildung zügig umzusetzen. Und zwar in Form eines inklusiven Schulsystems, in dem junge Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen.
Hamburg hat als eines von nur zwei Bundesländern das Recht auf inklusive Bildung in seinem Schulgesetz verankert.
Nun sollte Hamburg den inklusiven Umbau seines Schulsystems konsequent weiter führen.
Anstatt Schulen oder Eltern die Verantwortung für inklusive Bildung zuzuschieben.
Gemeinsam mit 30 weiteren Eltern von Kindern mit Behinderungen aus ganz Deutschland.
Zusammen haben wir zwei Tage lang vor dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf protestiert:
Für inklusive Bildung und eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Gemeinsam mit Eltern aus ganz Deutschland demonstrierte ich vor dem Uno-Hauptsitz in Genf.
Während wir draußen auf dem Platz der Nationen gegenüber dem Besuchereingang der Vereinten Nationen mit unserem großen Banner unübersehbar waren, tagte im Innern des Gebäudes der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Zum zweiten Mal prüften Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Bereits nach der ersten Prüfung 2015 hatte der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Bundesregierung gerügt, zu wenig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zu tun.
Diesmal erging es Deutschland nicht besser.
Sowohl der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, wie auch Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte erklärten dem Uno-Fachausschuss:
In sehr vielen Lebensbereichen ist Deutschland nach wie vor noch weit entfernt von Inklusion.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Sonderschulen unterrichtet.
Mehr als 300.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen.
Fast 200.000 Menschen mit Behinderungen leben in besonderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.
Bereits diese Aussagen ließen die deutsche Regierungsdelegation mehr als blass aussehen. Diese hatte noch zu Anfang der Ausschuss-Sitzung von „großen Fortschritten“ und „wichtigen Paradigmenwechseln“ in der deutschen Behindertenpolitik gesprochen.
Die Mitglieder des Uno-Fachausschusses selbst hatten sich vorab sehr gut informiert über den Stand der Inklusion in Deutschland. Mit fundierten Anmerkungen und Fragen machten sie deutlich:
In keinem andern Land der Welt ist die Segregation so tief verankert wie in Deutschland. Sowohl in der Gesetzgebung wie auch im alltäglichen Leben.
Historisch gewachsene Sonderstrukturen verhindern nach wie vor die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dies ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Die deutsche Politik betrachtet Menschen mit Behinderungen als besonders „verletzlich“ und „schutzbedürftig“. Diese Sicht auf Behinderung deckt sich nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Vielmehr birgt diese Sichtweise zusätzliche Gefahren für Menschen mit Behinderungen. Gerade in den zum „Schutz“ eingerichteten Sondersystemen sind Menschen mit Behinderungen verstärkt Zwang und Gewalt ausgesetzt.
Die Vize-Präsidentin des Uno-Fachausschusses, Amalia Gamio Rios aus Mexiko, mahnte: „Deutschland muss die UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur ein bisschen umsetzen, sondern umfassend.“ Dazu brauche es deutlich mehr Anstrengung von Bund und Ländern.
Uns Eltern draußen auf dem Platz vor den Vereinten Nationen besuchte Amalia Gamio Rios bereits am ersten Tag der Staatenprüfung.
Sichtlich aufgewühlt erklärte sie:
„Deutschland hat nichts begriffen.“
„Es ist unfassbar, dass ein so reiches Land so wenig tut.“
„Diese Prüfung wird nicht gut ausgehen.“
Für Mitte September werden die schriftlichen Abschluss-Ergebnisse der Staatenprüfung erwartet. Als Mutter erhoffe ich mir klare und konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung. Die werde ich dann als Richtschnur nutzen, wenn ich wieder einmal um die Menschenrechte meines Kindes mit Behinderung kämpfen muss.
Zum Schluss noch einige Reise-Bilder aus Genf:
28. September 2023: Abflug nach Genf
Eltern und Kinder aus zehn verschiedenen Bundesländern kamen zum Elternprotest vor dem Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf.
Es gab viel Besuch und rege Diskussionen beim Elternprotest-Camp in Genf, unter anderem mit Sigrid Arnade und den Vertretern des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Gleich mehrere Mitglieder des Uno-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen solidarisierten sich mit uns. Hier der Schweizer Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel.
Spontane Dichter-Lesung vor den Vereinten Nationen in Genf: Henri von Schriftsteller.
Auch Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, kam uns besuchen.
Hier besuchten uns die Grünen-Politikerinnen Stephanie Aeffner, Katrin Langensiepen und Corinna Rüffer.
Regen …
… und Sonne konnten uns nicht aufhalten.
Damit unser Protest noch lange nachwirken konnte, hinterließen wir viele bunte „Fußabdrücke“ auf dem Platz der Nationen.
Haben uns in Genf kennengelernt: Martin und ich, zwei waschechte Bielefelder.
Nach dem erfolgreichen Protest gab es zur Belohnung ein erfrischendes Bad im Genfer See.
Es folgte eine kleine Spritztour mit dem Wasser-Taxi über den Genfer See.
Dann ging es mit dem Nachtzug wieder zurück nach Hamburg.
Dort treffe ich mich mit Eltern aus ganz Deutschland.
Die meisten dieser Eltern kenne ich bisher noch gar nicht.
Doch ich weiß: Wir haben eins gemeinsam.
Wir alle haben Kinder mit Behinderungen.
Und wir alle sind unzufrieden.
Unzufrieden, weil es mit der inklusiven Bildung in Deutschland nicht voran geht.
Zwei Tage lang werden wir in Genf protestieren.
Für alle Welt deutlich sichtbar.
Auf dem Platz der Nationen. Unmittelbar gegenüber dem Büro der Vereinten Nationen.
Während wir draußen vor dem UNO-Gebäude stehen, findet drinnen die Staatenprüfung Deutschlands statt.
Mit dieser Prüfung will die UNO herausfinden:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die vor 14 Jahren unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland umzusetzen?
Wir Eltern, die nach Genf reisen, sind uns einig:
Was Inklusion in Schulen angeht, ist in den letzten 14 Jahren viel zu wenig bis gar nichts passiert:
Nach wie vor gibt es in allen Bundesländern gut ausgebaute schulische Sondersysteme.
Überall fehlen konkrete Zeitpläne und Konzepte zur Realisierung eines inklusiven Bildungssystems.
Was am schwersten wiegt: Es fehlt der politische Wille, inklusive Bildung tatsächlich umzusetzen.
Hamburg und Bremen haben als einzige Bundesländer das Recht auf inklusive Bildung in ihren Schulgesetzen verankert.
Allerdings hat sich Hamburg mit dem Festhalten am sogenannten Elternwahlrecht die Hintertür zum alten Sondersystem weit offen gelassen.
Immer noch werden in Hamburg weit über 4.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen exklusiv an Sonderschulen unterrichtet. Mit steigender Tendenz.
Mit unserer Kritik sind wir protestierenden Eltern nicht alleine.
Bereits im Vorfeld des Prüfverfahrens haben sich der Deutsche Behindertenrat, zahlreiche Elternvereine und –initiativen sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte äußerst kritisch zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geäußert.
Ihr Fazit:
Von einer umfassenden Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist Deutschland noch weit entfernt.
Nach wie bestimmen Ausschluss und Sondersysteme den Alltag von Menschen mit Behinderungen.
Nicht nur im Bildungsbereich, sondern so gut wie überall.