Ende August hat der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geprüft.
Zur gleichen Zeit habe ich mit 30 weiteren Eltern und Unterstützern von Kindern mit Behinderung aus ganz Deutschland vor dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf protestiert:
Für inklusive Bildung und eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Inzwischen liegen die schriftlichen Ergebnisse der Prüfung vor und sind als „Abschließende Bemerkungen“ auf der Website des Ausschusses veröffentlicht.
In diesen „Abschließenden Bemerkungen“ richtet der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen klare Empfehlungen und Forderungen an die Bundesregierung, wie die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland besser umgesetzt werden soll.
Unter anderem mahnt der Ausschuss:
Die Bundesregierung darf die Verantwortung für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht mehr länger auf die Länder abschieben.
Dies haben wir aufgenommen und einen Offenen Brief an den Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil und die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger verfasst.
Heute wird dieser Offene Brief persönlich an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin übergeben. Und zwar von Müttern von Kindern mit Behinderung, die in Genf mit dabei waren.
Neulich war ich auf einer Veranstaltung von Leben mit Behinderung Hamburg.
Eingeladen war der Hamburger Schulsenator Ties Rabe.
Es ging um ein wichtiges Thema, nämlich Teilhabe an Bildung im Schuljahr 2023/2024:
Wie sind Hamburger Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in das neue Schuljahr gestartet?
Zahlreiche Eltern waren zu der gemeinsamen Diskussion gekommen.
Sie wollten vor allem ihren Ärger loszuwerden:
Ärger über nach wie vor fehlende Schulbegleitungen und überlastete Sonderpädagogen in den Regelschulen.
Aber auch Ärger über fehlende Sonderpädagogen und andere Fachkräfte in den speziellen Sonderschulen.
Den größten Raum nahm das Thema Schulbegleitung ein. Wie schon im letzten Schuljahr waren auch zu Beginn dieses Schuljahres viele Schulbegleiter-Stellen unbesetzt.
Das ist ein wichtiges Thema, das von der Schulbehörde unbedingt gehört werden muss.
Allerdings: Schulbegleitungen allein schaffen noch keine inklusive Bildung.
Selbst Schulsenator Rabe hätte lieber mehr darüber diskutiert, warum es mit der Umsetzung von Inklusion in Hamburgs Regelschulen immer noch so viele Probleme gebe. Obwohl seine Behörde die Zahl der pädagogischen und therapeutischen Stellen dafür massiv erhöht habe.
In der Tat ist dies eine äußerst wichtige Frage.
Denn diese Frage öffnet den Blick darauf, was wir eigentlich unter inklusiver Bildung verstehen.
Auch der Einsatz von zusätzlichen Sonderpädagogen bedeutet nämlich nicht automatisch ein mehr an Inklusion.
Werden Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in Regelschulen ausschließlich von Sonderpädagogen unterrichtet, dann ist das keine inklusive Bildung. Traditionelle Sonderformen der Beschulung bleiben bestehen.
Wie inklusive Bildung aussieht und funktioniert, haben die Vereinten Nationen genau beschrieben.
Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht – festgelegt in Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention.
Inklusive Bildung bedeutet: Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen werden gemeinsam unterrichtet.
Inklusive Bildung stellt sicher: Jeder Mensch erhält die ihm bestmögliche Bildung. Damit er wirksam am Leben in unserer Gesellschaft teilnehmen kann.
Inklusive Bildung erfordert neue Formen des Unterrichts, ausgerichtet an den individuellen Bedarfen der Lernenden.
Inklusive Bildung funktioniert nur, wenn alle, die im Bildungswesen arbeiten, gut darauf vorbereitet werden.
Die Umsetzung von inklusiver Bildung ist ein fortlaufender Prozess.
Dieser Prozess muss regelmäßig überwacht und evaluiert werden.
Auch das schreiben die Vereinten Nationen vor.
Doch genau das passiert in Deutschland viel zu wenig.
Gerade erst hat der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen angemahnt:
Die deutsche Bundesregierung tut viel zu wenig für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Sie muss endlich Verantwortung übernehmen und die Umsetzung von inklusiver Bildung aktiv vorantreiben.
Es reicht nicht aus zu sagen: Bildung ist Ländersache.
Der Hamburger Schulsenator Rabe erklärte auf der Veranstaltung bei Leben mit Behinderung Hamburg:
Die Hamburger Behörde für Schule und Bildung liefere ausreichend „know how“ und Ressourcen für die Umsetzung von inklusiver Bildung.
Was daraus gemacht werde, sei Sache jeder einzelnen Schule.
Wie auf Bundesebene wird auch hier Verantwortung verschoben. In diesem Fall von der Landesregierung auf die Schulen.
Das darf nicht sein.
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Hamburg zur Umsetzung von inklusiver Bildung verpflichtet.
Senat und Bürgerschaft müssen endlich einen genauen Fahrplan erstellen, bis wann inklusive Bildung in Hamburg umgesetzt sein soll.
Sie müssen für ausreichende Ressourcen sorgen, damit dieser Fahrplan erfolgreich eingehalten werden kann.
Und sie müssen die Umsetzung dieses Fahrplans regelmäßig kontrollieren und evaluieren.
2009 haben Bund und Länder die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet.
Damit haben sich Bundesregierung und Landesregierungen dazu verpflichtet, inklusive Bildung zügig umzusetzen. Und zwar in Form eines inklusiven Schulsystems, in dem junge Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen.
Hamburg hat als eines von nur zwei Bundesländern das Recht auf inklusive Bildung in seinem Schulgesetz verankert.
Nun sollte Hamburg den inklusiven Umbau seines Schulsystems konsequent weiter führen.
Anstatt Schulen oder Eltern die Verantwortung für inklusive Bildung zuzuschieben.
Gemeinsam mit 30 weiteren Eltern von Kindern mit Behinderungen aus ganz Deutschland.
Zusammen haben wir zwei Tage lang vor dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf protestiert:
Für inklusive Bildung und eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Während wir draußen auf dem Platz der Nationen gegenüber dem Besuchereingang der Vereinten Nationen mit unserem großen Banner unübersehbar waren, tagte im Innern des Gebäudes der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Zum zweiten Mal prüften Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland.
Bereits nach der ersten Prüfung 2015 hatte der Uno-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Bundesregierung gerügt, zu wenig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zu tun.
Diesmal erging es Deutschland nicht besser.
Sowohl der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, wie auch Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte erklärten dem Uno-Fachausschuss:
In sehr vielen Lebensbereichen ist Deutschland nach wie vor noch weit entfernt von Inklusion.
Mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen werden in Sonderschulen unterrichtet.
Mehr als 300.000 Menschen mit Behinderungen arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen.
Fast 200.000 Menschen mit Behinderungen leben in besonderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.
Bereits diese Aussagen ließen die deutsche Regierungsdelegation mehr als blass aussehen. Diese hatte noch zu Anfang der Ausschuss-Sitzung von „großen Fortschritten“ und „wichtigen Paradigmenwechseln“ in der deutschen Behindertenpolitik gesprochen.
Die Mitglieder des Uno-Fachausschusses selbst hatten sich vorab sehr gut informiert über den Stand der Inklusion in Deutschland. Mit fundierten Anmerkungen und Fragen machten sie deutlich:
In keinem andern Land der Welt ist die Segregation so tief verankert wie in Deutschland. Sowohl in der Gesetzgebung wie auch im alltäglichen Leben.
Historisch gewachsene Sonderstrukturen verhindern nach wie vor die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Dies ist nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Die deutsche Politik betrachtet Menschen mit Behinderungen als besonders „verletzlich“ und „schutzbedürftig“. Diese Sicht auf Behinderung deckt sich nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
Vielmehr birgt diese Sichtweise zusätzliche Gefahren für Menschen mit Behinderungen. Gerade in den zum „Schutz“ eingerichteten Sondersystemen sind Menschen mit Behinderungen verstärkt Zwang und Gewalt ausgesetzt.
Die Vize-Präsidentin des Uno-Fachausschusses, Amalia Gamio Rios aus Mexiko, mahnte: „Deutschland muss die UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur ein bisschen umsetzen, sondern umfassend.“ Dazu brauche es deutlich mehr Anstrengung von Bund und Ländern.
Uns Eltern draußen auf dem Platz vor den Vereinten Nationen besuchte Amalia Gamio Rios bereits am ersten Tag der Staatenprüfung.
Sichtlich aufgewühlt erklärte sie:
„Deutschland hat nichts begriffen.“
„Es ist unfassbar, dass ein so reiches Land so wenig tut.“
„Diese Prüfung wird nicht gut ausgehen.“
Für Mitte September werden die schriftlichen Abschluss-Ergebnisse der Staatenprüfung erwartet. Als Mutter erhoffe ich mir klare und konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung. Die werde ich dann als Richtschnur nutzen, wenn ich wieder einmal um die Menschenrechte meines Kindes mit Behinderung kämpfen muss.
Dort treffe ich mich mit Eltern aus ganz Deutschland.
Die meisten dieser Eltern kenne ich bisher noch gar nicht.
Doch ich weiß: Wir haben eins gemeinsam.
Wir alle haben Kinder mit Behinderungen.
Und wir alle sind unzufrieden.
Unzufrieden, weil es mit der inklusiven Bildung in Deutschland nicht voran geht.
Zwei Tage lang werden wir in Genf protestieren.
Für alle Welt deutlich sichtbar.
Auf dem Platz der Nationen. Unmittelbar gegenüber dem Büro der Vereinten Nationen.
Während wir draußen vor dem UNO-Gebäude stehen, findet drinnen die Staatenprüfung Deutschlands statt.
Mit dieser Prüfung will die UNO herausfinden:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die vor 14 Jahren unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland umzusetzen?
Wir Eltern, die nach Genf reisen, sind uns einig:
Was Inklusion in Schulen angeht, ist in den letzten 14 Jahren viel zu wenig bis gar nichts passiert:
Nach wie vor gibt es in allen Bundesländern gut ausgebaute schulische Sondersysteme.
Überall fehlen konkrete Zeitpläne und Konzepte zur Realisierung eines inklusiven Bildungssystems.
Was am schwersten wiegt: Es fehlt der politische Wille, inklusive Bildung tatsächlich umzusetzen.
Hamburg und Bremen haben als einzige Bundesländer das Recht auf inklusive Bildung in ihren Schulgesetzen verankert.
Allerdings hat sich Hamburg mit dem Festhalten am sogenannten Elternwahlrecht die Hintertür zum alten Sondersystem weit offen gelassen.
Immer noch werden in Hamburg weit über 4.000 Kinder und Jugendliche mit Behinderungen exklusiv an Sonderschulen unterrichtet. Mit steigender Tendenz.
Mit unserer Kritik sind wir protestierenden Eltern nicht alleine.
Bereits im Vorfeld des Prüfverfahrens haben sich der Deutsche Behindertenrat, zahlreiche Elternvereine und –initiativen sowie das Deutsche Institut für Menschenrechte äußerst kritisch zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geäußert.
Ihr Fazit:
Von einer umfassenden Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist Deutschland noch weit entfernt.
Nach wie bestimmen Ausschluss und Sondersysteme den Alltag von Menschen mit Behinderungen.
Nicht nur im Bildungsbereich, sondern so gut wie überall.
Viele junge Menschen in Hamburg sind mit einer dualen Berufsausbildung gestartet.
Nur unser Kind wieder nicht.
Obwohl es seit einem Jahr eine feste Zusage auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz hat. In einer Firma für Veranstaltungstechnik.
Woran das liegt?
Unser Kind hat eine fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) und damit eine lebenslange Behinderung.
Aufgrund seiner Behinderung wird unser Kind keine Vollausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik schaffen.
Es benötigt eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung nach § 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). Darauf hat es einen Anspruch.
Zuständig für Ausbildungen im Bereich Veranstaltungstechnik ist die Handelskammer Hamburg. Dort haben wir vor 7 Monaten einen Antrag auf eine theoriereduzierte Ausbildung zum Fachpraktiker für Veranstaltungstechnik gestellt.
Über diesen Antrag hat die Handelskammer bis heute nicht entschieden.
Inzwischen glaube ich: Die Handelskammer will gar nicht über unseren Antrag entscheiden.
Denn: Unser Antrag scheint die Zuständigen in der Handelskammer vor ein Problem gestellt zu haben.
Einerseits ist es nur schwer möglich, unseren Antrag abzulehnen. Da unser Kind alle Voraussetzungen für eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung erfüllt.
Gleichzeitig scheint es in der Handelskammer einflussreiche Stimmen zu geben, die sagen:
„Die Handelskammer Hamburg hat sich vor mehr als 40 Jahren bewusst gegen eine Behinderten-Ausbildung entschieden, ist damit immer gut gefahren und wird daran auch in Zukunft sicherlich nichts ändern.“
Tatsache ist: An der Handelskammer Hamburg hat es noch nie eine theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung nach § 66 BBiG gegeben.
Ganz im Gegensatz zu vielen anderen Industrie- und Handelskammern.
Dabei erscheint mir das Verfahren bei einer Fachpraktiker-Ausbildung relativ einfach.
Als erstes muss ein Ausbildungsrahmenplan geschrieben werden. Dafür gibt es klare Vorgaben.
Ist der Ausbildungsrahmenplan fertig, muss er dem Berufsbildungsausschuss der Handelskammer zur Genehmigung vorgelegt werden.
Stimmt der Berufsbildungsausschuss dem Ausbildungsrahmenplan zu, dann gilt er offiziell als erlassen – und unser Kind mit Behinderung könnte mit seiner Ausbildung beginnen.
Soweit die Theorie.
In der Praxis bekamen wir von der Handelskammer in den letzten Monaten immer wieder zu hören:
Das mit der Fachpraktiker-Ausbildung ist unheimlich kompliziert.
Bis zum Erlass des notwendigen Ausbildungsrahmenplans dauert es Jahre.
Das ganze Verfahren ist teuer.
Auf dem Arbeitsmarkt gibt es keinen Bedarf an Fachpraktikern für Veranstaltungstechnik.
Die theoriereduzierte Fachpraktiker-Ausbildung ist nicht anerkannt.
Eine Fachpraktiker-Ausbildung stigmatisiert.
Die Berufsschule für Veranstaltungstechnik hat keinerlei Erfahrung mit einer theoriereduzierten Ausbildung.
Der Unterricht an der Berufsschule wird unser Kind überfordern.
Inzwischen ist die Handelskammer dazu übergegangen, uns „attraktive Alternativen“ zur Fachpraktiker-Ausbildung vorzustellen.
Um uns dazu zu bewegen, unseren Antrag auf eine Fachpraktiker-Ausbildung wieder zurückzuziehen.
Ich gebe zu: Einiges davon klingt interessant.
Unser Kind könnte bereits jetzt Geld verdienen. Und müsste sich nicht durch die Berufsschule quälen. Gleichzeitig hätte es in drei Jahren ein Zertifikat der Handelskammer in Aussicht.
Allerdings: Das ganze wäre keine Ausbildung. Unser Kind bliebe offiziell ungelernt.
Von früh an wollte unser Kind mit Behinderung vor allem eins: Es wollte alles so machen wie andere auch.
Unser Kind hat eine inklusive Kita besucht.
Unser Kind hat sich zehn Jahre lang durch die inklusive Schule gekämpft.
Unser Kind hat sich intensiv um einen Ausbildungsplatz bemüht. Weil es gelernt hat: Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung haben kaum Chancen auf dem 1. Arbeitsmarkt.
Unserem Kind ist es gelungen, einen Ausbildungsbetrieb von seinen Fähigkeiten und Kenntnissen zu überzeugen.
Ich bin stolz auf unser Kind!
Und werde weiter dafür kämpfen, dass sein eigentlich ganz stinknormaler Wunsch nach einer Ausbildung in Erfüllung geht.
Teilhabe an Bildung ist ein Menschenrecht und schließt berufliche Bildung ausdrücklich mit ein.
Eltern behinderter Kinder in Hamburg wünschen sich seit langem deutlich mehr Verlässlichkeit im Schulalltag.
Immer wieder werden Kinder mit Behinderung vorzeitig aus dem laufenden Unterricht nach Hause geschickt.
Nicht selten gehen Kinder mit Behinderung erst gar nicht zur Schule.
Weil eine Schulbegleitung fehlt.
Mit Beginn des Schuljahres 2022/23 scheint sich das Problem nochmals verschärft zu haben.
Egal, ob Regelschule oder Sonderschule – überall hieß es von Eltern:
Noch nie fehlten bereits zu Beginn eines Schuljahres so viele Schulbegleitungen!
Allerdings: Niemand weiß genau, wie viele Unterrichtsstunden Kinder mit Behinderung versäumen. Weil die Schulbegleitung fehlt.
Da sich jede Schule selbst verwaltet, sei die Erfassung von Zahlen schwierig. Sagt die Schulbehörde.
Erste konkrete Zahlen liefert nun eine Elternumfrage von Autismus Hamburg e.V.
Der Verein Autismus Hamburg e.V. ist eine Hamburger Selbsthilfe-Organisation. Gegründet 2009 durch Eltern von Kindern mit Autismus.
Viele Kinder mit Autismus brauchen in der Schule zusätzliche Unterstützung. Damit sie gut durch den Schultag kommen.
Im Herbst 2022 hat Autismus Hamburg e.V. daher 54 Eltern des Vereins zur aktuellen Situation der Schulbegleitung befragt.
Fast alle befragten Eltern hatten für ihr Kind eine Schulbegleitung beantragt. Entweder über ein Regionales Bildungs- und Beratungszentrum (ReBBZ) oder die Schulbehörde.
In vier von fünf Fällen wurde die Schulbegleitung bewilligt.
Von den bewilligten Schulbegleitungen fehlte zum Schulstart deutlich mehr als die Hälfte.
Meist war niemand für die Schulbegleitung gefunden worden.
In einigen Fällen erfolgte die Genehmigung nicht rechtzeitig.
Außerdem ergab die Umfrage:
Bei mehr als der Hälfte aller Kinder wurden zwischen 5 bis 18 Stunden Schulbegleitung pro Woche bewilligt. Das macht 1 bis 3 begleitete Unterrichtsstunden pro Tag.
Gut jedes vierte Kind erhielt zwischen 20 und 28 Stunden Schulbegleitung pro Woche.
Nur wenige Kinder hatten eine ganztägige Schulbegleitung.
Bei mehr als der Hälfte der Kinder reichten die bewilligten Stunden nicht, um gut durch den Schultag zu kommen.
Die Eltern gaben an, ihre Kinder seien deshalb verstärkt gestresst.
Oft müssten die Kinder bereits mittags aus der Schule abgeholt werden.
An einigen Tagen blieben die Kinder ganz zu Hause.
Dies wirkte sich deutlich auf den Alltag der Eltern aus.
Viele Eltern machten sich Sorgen: Wird ihr Kind in der Schule gut beschult und betreut?
Mehrere Eltern fühlten sich überfordert: Wie sollen sie den versäumten Unterricht mit ihrem Kind nachholen? Wie lässt sich ihr Kind emotional immer wieder auffangen?
Einige Eltern erklärten klar und deutlich: Sie können nicht im gewünschten Umfang arbeiten gehen.
Einige Eltern gaben an: Sie können überhaupt nicht arbeiten gehen.
Nun mag der ein oder andere sagen:
Die durchgeführte Elternumfrage von Autismus Hamburg e.V. ist nicht repräsentativ.
Zu wenige Eltern wurden befragt.
Andere Behinderungsformen wurden nicht berücksichtigt.
Es handelt sich um Einzelfälle, die individuell betrachtet werden müssen.
Dennoch bleiben die Ergebnisse der Umfrage alarmierend.
Sie untermauern das, was Eltern seit langem sagen:
Viele Kinder mit Behinderung nehmen in Hamburg nur eingeschränkt an Bildung teil.
Dabei sagt das Bundesteilhabe-Gesetz:
Kinder mit Behinderung haben Anspruch auf unterstützende Leistungen, damit sie Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können.
Es ist dringend nötig, den durch fehlende Schulbegleitung verursachten Unterrichtsausfall für Kinder mit Behinderung genauer zu bestimmen.
Um daraus konkrete Verbesserungs-Maßnahmen abzuleiten.
Gerade lässt die Stadt Hamburg ihr bisheriges Verfahren in Sachen Schulbegleitung wissenschaftlich evaluieren.
Ein erster Zwischenbericht wird für März 2023 erwartet.
Der vollständige Abschlussbericht soll Ende 2023 folgen.
Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Untersuchung.
Was ich bereits jetzt weiß:
Für das Schuljahr 2023/24 plant Autismus Hamburg e.V. eine erneute Elternumfrage zum Thema Schulbegleitung.
„Ich brauche eine Berufsausbildung. Damit ich auf dem 1. Arbeitsmarkt arbeiten kann.“
Eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt ist unserem Kind sehr wichtig.
Damit es ausreichend Geld verdient.
Um sich selbst zu finanzieren. Um unabhängig zu sein.
Und um in eine eigene Wohnung ziehen zu können.
Tatsächlich ist es in Deutschland für Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung kaum möglich, auf Dauer erfolgreich am ersten Arbeitsmarkt teilzuhaben.
Allerdings ist es unserem Kind aufgrund seiner Behinderung nicht möglich, alle inhaltlichen Anforderungen an eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Beruf zu erfüllen.
In so einem Fall bietet das Berufsbildungsgesetz in Paragraf 66 (entsprechend dazu Handwerksordnung, Paragraf 42m) die Möglichkeit einer theoriereduzierten Fachpraktiker-Ausbildung.
Fachpraktiker-Ausbildungen sind gerade sehr umstritten.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat 2020 in seinem 5. Bericht zur Entwicklung der Menschenrechts-Situation in Deutschland geschrieben:
Fachpraktiker-Ausbildungen sind exklusiv und stigmatisierend.
Durch Fachpraktiker-Ausbildungen werden junge Menschen mit Behinderung anders behandelt als junge Menschen ohne Behinderung. Ihre Leistungen werden als nicht ausreichend betrachtet. Ihre Ausbildung findet getrennt von der ihrer Altersgenossen statt.
Fachpraktiker-Ausbildungen schaffen neue Sonderwelten und verhindern, dass junge Menschen mit Behinderung einen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten.
Tatsächlich finden Fachpraktiker-Ausbildungen bisher fast immer überbetrieblich statt. In speziellen Einrichtungen für junge Menschen mit Behinderung.
Außerdem werden Fachpraktiker bisher nur in wenigen Berufen ausgebildet.
In Hamburg bietet das Berufsbildungswerk in Eidelstedt folgende Fachpraktiker-Ausbildungen an:
Fachpraktiker für Metallbau,
Fachpraktiker für Holzbearbeitung,
Fachpraktiker im Gartenbau,
Fachpraktiker Maler und Lackierer,
Fachpraktiker Hauswirtschaft.
Die Auszubildenden werden überwiegend in Werkstätten des Berufsbildungswerks angeleitet.
Der Berufsschulunterricht findet direkt auf dem Gelände des Berufsbildungswerks statt. Und zwar in der beruflichen Schule Eidelstedt (BS 24), einer Berufsschule für junge Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf.
In dieser Form sind Fachpraktiker-Ausbildungen alles andere als inklusiv.
Gleichzeitig gibt es bislang keine Alternativen zur Fachpraktiker-Ausbildung.
Die Fachpraktiker-Ausbildung ist zur Zeit die einzige anerkannte Ausbildungsform für junge Menschen, die wegen einer Behinderung keine Regel-Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf schaffen.
Daher habe ich mir die gesetzlichen Vorgaben für eine Fachpraktiker-Ausbildung einmal etwas näher angeschaut.
Das wichtigste vorweg:
Das Berufsbildungsgesetz schreibt vor, dass junge Menschen vorrangig in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet werden sollen. Unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht.
Behinderungsbedingte Nachteile sollen durch angemessene Nachteilsausgleiche ausgeglichen werden.
Nur wenn aufgrund der Art und Schwere einer Behinderung nicht alle inhaltlichen Anforderungen einer Regel-Ausbildung erfüllt werden können, dürfen junge Menschen zum Fachpraktiker ausgebildet werden.
Der Fachpraktiker ist also keine Regel-Ausbildung. Sondern eine Sonderform der Ausbildung.
Gedacht ist die Fachpraktiker-Ausbildung vor allem für Menschen mit kognitiven Einschränkungen.
Angepasst an deren individuellen Fähigkeiten sollen die theoretischen Inhalte einer Regel-Ausbildung reduziert und praktische Tätigkeiten stärker gewichtet werden.
Die Inhalte der Fachpraktiker-Ausbildung sollen aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe abgeleitet werden.
So orientiert sich zum Beispiel die Ausbildung zum Fachpraktiker im Garten- und Landschaftsbau an der Ausbildungsverordnung zum Garten- und Landschaftsbauer.
Auch sind Lage und Entwicklung des allgemeinen Arbeitsmarktes bei der Einführung einer neuen Fachpraktiker-Ausbildung zu berücksichtigen.
Theoretisch ist eine Fachpraktiker-Ausbildung in jedem anerkannten Ausbildungsberuf möglich.
Ziel der Fachpraktiker-Ausbildung ist der Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit.
Das heißt: Dem Auszubildenden sollen berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die er für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt braucht.
So soll zum Beispiel der Fachpraktiker im Garten- und Landschaftsbau so ausgebildet werden, dass er später unter fachlicher Anleitung eigenständig in Gärten, Parks, auf Baustellen oder auf Friedhöfen arbeiten kann.
Der Zugang zu einer Fachpraktiker-Ausbildung ist genau geregelt.
Nötig sind:
eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit, dass Art und Schwere der Behinderung eine theoriereduzierte Ausbildung gemäß § 66 Berufsbildungsgesetz (beziehungsweise Paragraf 42m der Handwerksordnung) erforderlich machen. Festgestellt durch eine ausführliche berufspsychologische Untersuchung.
ein Ausbildungsplatz.
Liegt beides vor, muss bei der zuständigen Kammer ein Antrag auf eine Fachpraktiker-Ausbildung gestellt werden.
In der Regel ist das die Handwerkskammer, die Industrie- und Handelskammer oder die Landwirtschaftskammer.
Sind die Voraussetzungen für eine Fachpraktiker-Ausbildung gegeben, ist die Kammer verpflichtet, besondere Ausbildungsregelungen für den behinderten Antragsteller zu erlassen.
Orientiert an speziellen Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Um auch Fachpraktiker-Ausbildungen einheitlicher und vergleichbarer zu machen.
Abschließend trägt die Kammer den Ausbildungsvertrag des behinderten Antragstellers in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse ein.
Die Fachpraktiker-Ausbildung dauert meist drei Jahre.
Gegenstand der Ausbildung sind die von der Kammer im Ausbildungsrahmenplan festgelegten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten.
Je nach Behinderung oder Ausbildungsort sind Abweichungen davon möglich.
Am Ende seiner Ausbildung hat der Auszubildende eine Abschlussprüfung abzulegen. Vor der zuständigen Kammer.
Fachpraktiker sollen vorrangig in Betrieben ausgebildet werden.
So wie junge Menschen in Regel-Ausbildungen auch.
Hier ist das Berufsbildungsgesetz sehr klar.
Allerdings: Betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung gibt es bisher nur äußerst selten.
Dabei lassen sich Auszubildende zum Fachpraktiker inzwischen gut über Arbeitsassistenzen unterstützen. Sowohl vor Ort im Betrieb wie auch in der Berufsschule.
Betriebliche Fachpraktiker-Ausbildungen bieten jungen Menschen mit kognitiven Einschränkungen die Möglichkeit, trotz ihrer Behinderung von Anfang an am ersten Arbeitsmarkt teilzuhaben.
Und sie vergrößern deren Chance, auf Dauer auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Es zeigt sich:
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Fachpraktiker-Ausbildung lohnt!
Daher sollte die Fachpraktiker-Ausbildung nicht vorschnell als exklusiv abgestempelt werden.
Ohne Zweifel: Überbetriebliche Fachpraktiker-Ausbildungen in speziellen Einrichtungen für junge Menschen mit Behinderung sind exklusiv und verhindern einen direkten Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt.
Allerdings hat die Fachpraktiker-Ausbildung durchaus inklusives Potential:
Sie ermöglicht einem jungen Menschen mit Behinderung eine anerkannte berufliche Qualifizierung, wenn wegen Art und Schwere seiner Behinderung eine Regel-Ausbildung mit Nachteilsausgleich nicht in Frage kommt.
Sie ermöglicht eine individualisierte Form der Ausbildung, angepasst an die Fähigkeiten und Stärken des Auszubildenden.
Wichtig ist es, Fachpraktiker viel stärker als bisher direkt vor Ort auszubilden. Nämlich in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes.
So können junge Menschen mit Behinderung bereits von Anfang an teilhaben am allgemeinen Arbeitsmarkt. So wie Menschen ohne Behinderung auch.
Dort, wo eine überbetriebliche Ausbildung erforderlich ist, sollten junge Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam ausgebildet werden. Und zwar sowohl in Regel-Berufen wie auch als Fachpraktiker.
Auch die Berufsschule sollten Auszubildende mit und ohne Behinderung gemeinsam besuchen. Ermöglicht durch einen differenzierenden Unterricht.
Schließlich müssen Fachpraktiker-Ausbildungen in allen anerkannten Ausbildungsberufen möglich werden. Denn auch ein junger Mensch mit Behinderung hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen.
Die Fachpraktiker-Ausbildung als individualisierte Form der Ausbildung innerhalb des Regelsystems, orientiert an den Potentialen und Fähigkeiten eines jungen Menschen mit Behinderung – in diese Richtung lohnt es sich weiterzudenken!
Wow. Zum ersten Mal hat sich einer meiner Blog Beiträge inhaltlich überholt.
Und ist gleichzeitig weiter aktuell geblieben.
Vor gut einem Jahr hatte ich über fehlende Chancengleichheit geschrieben.
Fehlende Chancengleichheit für junge Menschen mit und ohne Behinderung, die in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der Jugendhilfe leben.
Denn:
Noch 2022 mussten junge Menschen in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe ein Viertel ihres selbst verdienten Geldes an das Jugendamt abgeben. Um sich an den Kosten für ihren Unterhalt zu beteiligen.
Noch härter traf es behinderte junge Menschen in geförderten Ausbildungsmaßnahmen, die anstelle eines Ausbildungsgehalts Ausbildungsgeld oder Berufsausbildungsbeihilfe erhielten.
Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe gelten nicht als Einkommen. Sondern als eine unterhaltssichernde Maßnahme. Daher konnten Jugendämter Ausbildungsgeld und Berufsausbildungsbeihilfe so gut wie vollständig einziehen.
Bereits seit langem war angemahnt worden, dass diese Art der Kostenheranziehung dem Auftrag der Jugendhilfe widerspreche:
„Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen.“ (Deutscher Bundestag – Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe wird abgeschafft)
Seit dem 1.1.2023 ist die Kostenheranziehung nun endlich Geschichte!
Allerdings nicht für alle jungen Menschen, die in Pflegefamilien oder Einrichtungen der Jugendhilfe leben.
Junge Menschen, die aufgrund einer Behinderung Ausbildungsgeld oder Berufsausbildungsbeihilfe erhalten, müssen nach wie vor den Großteil davon ans Jugendamt abgeben. Zur Deckung ihrer Unterhaltskosten.
Aktuell 126 Euro im Monat dürfen diese jungen Menschen jetzt behalten.
Ob das ausreicht für einen erfolgreichen Start in ein möglichst eigenständiges Leben?
Vor kurzem hat das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen Jahresbericht 2021/22 über die Menschenrechts-Situation in Deutschland veröffentlicht.
Im Mittelpunkt des Berichts steht diesmal die inklusive Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Mit sehr ernüchternden Ergebnissen:
Noch immer haben zu viele Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Deutschland keinen diskriminierungsfreien Zugang zu einem inklusiven Schulsystem.
Viele Landesregierungen bekennen sich zwar vordergründig zu einer inklusiven Bildung. Trotzdem halten sie am Sonderschulsystem für Schüler mit Behinderung fest.
Immer noch werden mehr als die Hälfte aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf exklusiv an Förder- und Sonderschulen unterrichtet.
Die meisten dieser Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss.
Als LeuchttürmefürinklusiveBildung gelten in Deutschland nur wenige Bundesländer, unter ihnen Hamburg.
Im Oktober 2009 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft einstimmig eine Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes. Seitdem haben Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Hamburg das Recht, allgemeine Schulen zu besuchen.
Im Juni 2012 verabschiedete die Hamburgische Bürgerschaft die Drucksache „Inklusive Bildung an Hamburgs Schulen„. Diese Drucksache enthält das Konzept, auf der die inklusive Umgestaltung des Hamburger Schulsystems fußt. Gleichzeitig war diese Drucksache der Startschuss für die praktische Umsetzung der Inklusion an Hamburgs Schulen.
Inzwischen sind 10 Jahre vergangen. Wie steht es um die inklusive Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Hamburg im Jahr 2022?
Ein Zeiger für den Stand von inklusiver Bildung ist die sogenannte Exklusionsquote.
Die Exklusionsquote zeigt, wie sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Schüler entwickelt.
Zu Beginn des inklusiven Umbaus des Hamburger Schulsystems betrug die Exklusionsquote 3,6. Das heißt, 3,6 Prozent aller Schüler in Hamburg wurden 2012 exklusiv in Sonderschulen unterrichtet.
Sechs Jahre später lag die Exklusionsquote bei 2,4. Ein beeindruckendes Ergebnis.
Allerdings: In den letzten vier Jahren ist die Zahl der Schüler an Sonderschulen annähernd gleich geblieben. Dementsprechend stagniert die Exklusionsquote.
Was sind das für Schüler, die nach wie vor an Sonderschulen unterrichtet werden?
Gut die Hälfte aller rund 4400 weiterhin nicht inkludierten Schülerinnen und Schüler hat einen speziellen Förderbedarf in den Bereichen geistige Entwicklung, körperlich-motorische Entwicklung, Hören, Sehen oder Autismus.
Diese Schüler werden in Hamburg an sogenannten speziellen Sonderschulen unterrichtet.
Betrachtet man die Entwicklung der Schülerzahlen an den speziellen Sonderschulen in den letzten 10 Jahren, zeigt sich ein frustrierendes Bild:
Seit Einführung der schulischen Inklusion vor 10 Jahren ist es in Hamburg nicht gelungen, die Zahl der an speziellen Sonderschulen unterrichteten Schüler zu verringern.
Die meisten Schüler mit speziellen Förderbedarfen nehmen an inklusiver Bildung weiterhin nicht teil.
Woran liegt das?
Zwar hat seit Einführung der Inklusion jedes Kind mit Behinderung das Recht, eine Regelschule zu besuchen. Allerdings muss es keine Regelschule besuchen.
Hamburg hielt 2012 am sogenannten Elternwahlrecht fest. Das bedeutet: Eltern und Sorgeberechtigte sollen wählen können, ob ihr Kind mit Behinderung eine Regelschule oder eine Sonderschule besucht.
Um dieses Elternwahlrecht sicherzustellen, blieben die speziellen Sonderschulen trotz Einführung der schulischen Inklusion unverändert erhalten.
Die Begutachtung spezieller Förderbedarfe findet nach wie vor an den speziellen Sonderschulen statt.
Außerdem bieten die speziellen Sonderschulen mit Fahrdiensten und gesicherter Ganztagsbetreuung ein jahrelang erprobtes „Rundum-sorglos-Paket“ an.
Dagegen ist die inklusive Beschulung eines Kindes mit Behinderung an einer Regelschule nach wie vor ein Abenteuer mit vielen Hindernissen. Ein Abenteuer, das enorme Kraft, starke Nerven, Durchhaltevermögen und Eigeninitiative von Eltern fordert. Und das mit einem zunehmenden Fachkräftemangel immer schwerer zu bewältigen wird.
Die zweite Hälfte der noch nicht inkludierten Schüler hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung.
Bis 2012 wurden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung in Hamburg überwiegend an Förderschulen (ehemalige Lernbehinderten-Schulen) unterrichtet.
2012 wurden diese Förderschulen zusammen mit Sprachheilschulen und regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) zu Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) zusammengefasst. Dieser Schritt fand bundesweit viel Beachtung und wurde als „Abschaffung der Förderschulen“ gelobt.
Allerdings: Durch das Festhalten am Elternwahlrecht behielten auch Eltern von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen einen Anspruch auf einen Schulplatz im Sondersystem. Daher blieb es eine zentrale Aufgabe der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren, Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen auf Dauer zu unterrichten.
Die Folge: Unter dem Deckmantel der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren blieben offiziell abgeschaffte Förderschulen weiter erhalten.Seit einigen Jahren werden sie als ReBBZ-Schulen ganz offen wieder unter Sonderschulen gelistet.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt:
Alle Schüler sollen zusammen lernen und aufwachsen – unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht.
Das funktioniert nur in einem inklusiven Bildungssystem für alle. Dieses muss kontinuierlich ausgebaut werden.
Im Gegenzug müssen Förder- und Sonderschulen nach und nach abgebaut werden.
Gemessen an den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zeigt sich die inklusive Bildung in Hamburg im Jahr 2022 alles andere als vorbildlich:
Nach wie vor gibt es ein gut ausgebautes schulisches Sondersystem in der Stadt.
Dort werden seit Jahren kontinuierlich weit über 4.000 Kinder und Jugendliche exklusiv beschult. Mit steigender Tendenz.
Perspektiven, dass sich daran etwas ändert, sind nicht in Sicht.
Ja, es stimmt. Hamburg hat 2009 das Recht auf inklusive Bildung in seinem Schulgesetz verankert. Das war ein mutiger und wichtiger Schritt!
Doch dann ist Hamburg nicht weitergegangen.
Vielmehr hat sich die Stadt über das Elternwahlrecht die Hintertür zum alten Sondersystem weit offen gehalten.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte findet in seinem aktuellen Jahresbericht deutliche Worte, was das Elternwahlrecht angeht:
Das Elternwahlrecht steht im Widerspruch zum Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention.
Aufgabe eines Staates ist es, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen, das den Bedarfen aller Schüler gerecht wird. Unabhängig davon, ob ein Schüler eine Beeinträchtigung hat oder nicht.
Eltern sollen erst gar nicht vor der Wahl stehen müssen, ob sie ihr Kind mit Behinderung an einer Regelschule oder besser an einer Sonderschule beschulen lassen sollen.
Der Verantwortung, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen, kann sich Deutschland nicht über „das Konstrukt des Elternwillens“ entledigen.
Unser Kind mit Behinderung arbeitet seit Mai in einer Firma für Veranstaltungstechnik. Und ist dort super glücklich.
Auch der Betrieb ist mehr als zufrieden mit der Arbeit unseres Kindes. Gerne möchte er unserem Kind die Möglichkeit zur Qualifizierung geben.
Hätte unser Kind keine Behinderung, wäre es bereits vor drei Monaten mit der Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik gestartet.
Doch mit Behinderung ist alles komplizierter.
Denn: Wegen seiner Lernschwierigkeiten schafft unser Kind keine Vollausbildung.
Das ist dem Betrieb egal. Der sagt: „Bis zu 80 Prozent der Ausbildung kann Ihr Kind schaffen. Das reicht uns.“
Ganz anders sieht das der für unser Kind zuständige Reha-Berater in der Agentur für Arbeit.
Die berufspsychologische Testung unseres Kindes durch die Agentur für Arbeit hat ergeben:
„Die Teilnahme an einer Vollausbildung ist unrealistisch. Dafür sind die behinderungsbedingten Lernschwierigkeiten zu groß.“
Daher empfiehlt das berufspsychologische Gutachten eine theoriereduzierte Ausbildung für „Förderschüler“. Mit entsprechend gestalteten Rahmenbedingungen wie einer kleinen Lerngruppe und einer intensiven sonderpädagogischen Unterstützung.
Der Haken an der Sache: Im Bereich Veranstaltungstechnik gibt es (noch) keine theoriereduzierte Ausbildung.
Also sagt der Reha-Berater: „Was es nicht gibt, kann auch nicht gefördert werden.“
Und empfiehlt unserem Kind eine Ausbildung zum Werker im Garten- und Landschaftsbau.
Auch wenn das nicht der Wunschberuf unseres Kindes ist.
Unser Kind könnte sich auch über eine Unterstützte Beschäftigung im Bereich Veranstaltungstechnik qualifizieren.
Bei einer Unterstützten Beschäftigung werden Menschen mit Behinderung direkt vor Ort in einem Betrieb angeleitet. Sie können ausprobieren, welche betrieblichen Tätigkeiten sie gut schaffen. Und sich darüber auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in dem Betrieb vorbereiten.
Allerdings: Die betriebliche Qualifizierung im Rahmen einer unterstützten Beschäftigung ist keine Ausbildung. Sie dient alleine dazu, behinderte Menschen auch ohne formale Bildungsabschlüsse in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen.
Für unser Kind hieße das, dass es nicht über den Status eines angelernten Hilfsarbeiters hinaus käme. Überdies würde es in der Zeit der Qualifizierung kaum etwas verdienen.
Doch unser Kind möchte mehr. Es will sich nicht mit einem direkten Einstieg in eine Anlerntätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zufrieden geben. Es möchte lernen und eine Ausbildung machen – so wie seine nicht-behinderten Freunde auch.
Bei uns in der Familie bin meist ich als Mutter für die Terminplanung zuständig.
Eine nicht immer leichte Aufgabe. Vor allem dann, wenn ein Kind mit Behinderung in der Familie ist.
Viele Termine drehen sich um die Themen Gesundheit und Therapie.
Da sind zunächst einmal die regelmäßigen Vorsorge-Termine für alle Kinder. Beim Zahnarzt, beim Kinderarzt, beim Augenarzt und beim Hals-Nasen-Ohrenarzt.
Hinzu kommen die Spezial-Termine. Beim Kinderneurologen, bei der Kinderpsychologin, bei der Ergotherapie – um nur einige zu nennen.
Wie wird es mit der Gesundheitsvorsorge funktionieren, wenn unser Kind mit Behinderung erwachsen ist und nicht mehr bei uns leben wird?
Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung haben ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.
Bei vielen von ihnen werden Krankheiten nicht rechtzeitig erkannt und behandelt.
Das liegt daran, dass unser Gesundheitssystem kaum eingestellt ist auf die besonderen Bedarfe vieler Menschen mit Behinderung.
Zu oft fehlen Zeit und Verständnis bei der medizinischen Behandlung.
Häufig gehen Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung erst gar nicht zum Arzt. Weil sie früher schlechte Erfahrungen gemacht haben. Weil sie Angst davor haben, dass der Arzt sie für dumm hält. Weil sie nicht verstehen, was der Arzt sagt. Oder weil ihnen nicht bewusst ist, dass sie krank sind und ein Arzt ihnen helfen kann.
Die Folgen sind gravierend: Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung leiden häufiger an Schmerzen als nicht behinderte Menschen. Einige sterben sogar früher.
Gleichzeitig ist es für Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung sehr schwer, Zugang zu Präventionsangeboten zu erhalten.
Also Zugang zu Angeboten, die die Gesundheit bereits im Vorfeld stärken. Die sich mit den Fragen beschäftigen:
Wie kann ich gesund essen?
Wie kann ich mich ausreichend bewegen?
Wie gehe ich mit Stress um?
Wie gehe ich mit Alkohol, Tabak oder anderen Drogen um?
In Hamburg gibt es jetzt ein neues Projekt, das genau das ändern möchte. Es heißt BESSER GESUND LEBEN.
Ziel dieses Projekts ist es, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung zu verbessern.
Das besondere an dem Projekt: Viele verschiedene Menschen, die sich mit Gesundheitsvorsorge beschäftigen, arbeiten zusammen mit Menschen mit Lernbehinderung oder geistiger Behinderung. Gemeinsam wollen sie voneinander lernen und herausfinden:
Wie können Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung gesund leben? Wie können Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung länger gesund bleiben? Was müssen sie dafür machen? Wie kann man Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung gut dabei unterstützen?
Dazu beraten Fachleute für Pflege mehr als 200 Menschen mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderungen. Ganz individuell und kostenlos.
Interesse an dem Projekt? Bis Ende des Jahres werden noch erwachsene Teilnehmer mit einer Lernbehinderung oder geistigen Behinderung gesucht!
Eigentlich wollte unser behindertes Kind direkt nach der Schule mit einer betrieblichen Ausbildung beginnen. So wie seine nicht behinderten Freunde auch.
Dazu hat unser Kind über ein Jahr lang Praktika gemacht, in unterschiedlichen Einrichtungen und Betrieben.
Am Ende der Praktika gab es von allen Seiten nur gute Rückmeldungen. Trotzdem hat unser Kind nach Abschluss der Schule mit keiner Ausbildung begonnen.
Hat sich unser Kind nicht ausreichend angestrengt? Hätten wir als Eltern mehr unterstützen müssen?
Inzwischen weiß ich:
Es liegt nicht an unserem Kind oder an uns, dass es mit einem nahtlosen Wechsel von der Schule in die Ausbildung nicht geklappt hat. Es liegt an einer strukturellen Diskriminierung von jungen Menschen mit Behinderung.
Nurwenigen Jugendlichen mit Behinderung gelingt in Deutschland ein nahtloser Wechsel von der Schule in eine betriebliche Ausbildung.
Etwas mehr schaffen den nahtlosen Wechsel in eine überbetriebliche Ausbildung.
Jugendliche mit einer geistigen oder psychischen Behinderung wechseln besonders häufig direkt nach der Schule in eine Werkstatt für behinderte Menschen.
Die meisten Jugendlichen mit Behinderung werden nach Schulende zunächst in Maßnahmen des sogenannten Übergangsbereich vermittelt.
Der Übergangsbereich ist für Jugendliche gedacht, die nach dem Ende ihrer Schulzeit noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
Ziel des Übergangbereichs ist es, die Ausbildungschancen dieser Jugendlichen zu verbessern.
Eine Vielzahl regional sehr unterschiedlicher Programme und Maßnahmen sollen die Berufsorientierung stärken und eine erste berufliche Qualifizierung ermöglichen. Auch Schulabschlüsse können im Übergangsbereich nachgeholt werden.
Allerdings führen die Angebote des Übergangbereichs zu keinem Berufsabschluss. Auf eine spätere Ausbildung werden sie nicht angerechnet.
Angelegt ist der Übergangsbereich als Notfallplan. Und damit als ein Plan B.
Ein Plan B, der nur dann in Kraft tritt, wenn es mit Plan A (dem nahtlosen Wechsel in eine Ausbildung) nicht geklappt hat.
Den meisten Jugendlichen ohne Behinderung gelingt in Deutschland tatsächlich ein nahtloser Wechsel von der Schule in eine Ausbildung. Für sie erübrigt sich damit der Übergangsbereich.
Anders sieht dies bei Jugendlichen mit Behinderung aus.
Für die meisten behinderten Jugendlichen ist der Übergangsbereich bereits Plan A und damit fester Bestandteil ihres Lebenslaufs.
Viele Lehrer und Berufsberater an den inklusiven Stadtteilschulen in Hamburg gehen einfach davon aus, dass behinderte Jugendliche nach Abschluss ihrer 10jährigen Schulzeit automatisch in ein sogenanntes Ausbildungsvorbereitungsjahr wechseln.
Auch bei unserem Kind war das so.
Den behinderten Jugendlichen und ihren Eltern wird gesagt:
Durch das Ausbildungsvorbereitungsjahr lässt sich das in Hamburg geltende 11. Pflichtschuljahr erfüllen. (Dass sich das 11. Pflichtschuljahr auch über den Besuch einer Berufsschule während des ersten Ausbildungsjahres erfüllen lässt, bleibt unerwähnt.)
Oft heißt es auch:
Jugendliche mit Behinderung sind nach dem Ende ihrer Schulzeit noch nicht reif für eine Ausbildung.
Beides hat zur Folge, dass sich behinderte Jugendliche während ihrer Schulzeit in der Regel erst gar nicht mit der Suche nach einem Ausbildungsplatz beschäftigen.
In der Agentur für Arbeit ist meist die sogenannte Reha-Abteilung für Menschen mit Behinderung zuständig.
In Hamburg beginnen die Berufsberater der Reha-Abteilung ihre Vermittlungstätigkeit generell erst am Ende der 11jährigen Pflicht-Schulzeit.
Damit wird das Ausbildungsvorbereitungsjahr im Anschluss an die 10jährige Schulzeit für inklusiv beschulte behinderte Jugendliche zum Pflichtjahr.
Und es geht noch weiter.
Am Ende des Ausbildungsvorbereitungsjahres empfehlen Hamburgs Reha-Berater oftmals die Teilnahme an einer weiteren berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme.
Das heißt: Behinderte Jugendliche sollen möglichst ein weiteres Jahr im Übergangsbereich verbleiben. Um weiterhin bestehende „Defizite“ auszugleichen.
Nur so lasse sich die Chance auf den erfolgreichen Abschluss einer anschließenden Ausbildung vergrößern.
Allerdings zeigt die Praxis: Genau das Gegenteil ist der Fall!
Je länger ein behinderter Jugendlicher im Übergangsbereich verbleibt, umso schlechter werden seine Chancen auf eine erfolgreiche Ausbildung und eine anschließende Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt.
Viele sagen daher:
Der Übergangsbereich ist wie eine Black Box. Wer einmal im Übergangsbereich ist, dem gelingt kaum noch der Sprung in Ausbildung und Beschäftigung.
Der Übergangsbereich ist ein Sondersystem, das gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt.
Einzige Aufgabe dieses Sondersystems ist es, ausschließlich defizitär definierte Gruppen von Jugendlichen aufzufangen, denen ein nahtloser Wechsel von Schule in Ausbildung verwehrt wird.
Durch das dauerhafte Bereitstellen dieses Sondersystems müssen sich bestehende Exklusionsmechanismen des Arbeitsmarkts nicht ändern. Inklusion wird verhindert.